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Entgegen einem althergebrachten Missverständnis braucht es für einen wirklich guten Streit mehr als nur zwei.
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Woran liegt es, dass ein Vergleich der politischen Diskussionskultur zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich fast zwangsläufig zum heimischen Nachteil ausfällt? Nicht immer und ausnahmslos natürlich, aber doch eben fast.
Die politische Sprache ist bei unseren Nachbarn klarer, die dahinterstehende Botschaft für den Durchschnittsbürger verständlicher (sofern man Schweizerdeutsch versteht). Und im Fall von Konflikten - wobei sich Politik fast zwangsläufig im Konflikt entlädt - hat man nicht das Gefühl, dass die jeweilige Sachfrage die größtmögliche Nebensächlichkeit darstellt.
Der diskursive Rückstand (politische Entscheidungen sind eine andere, nämlich interessegeleitete Frage) beschränkt sich aber nicht nur auf den Kernbereich des Politischen; auch die Medienlandschaft hinkt den Nachbarn hinterher, und zwar im Qualitätssegment ebenso im Tabloidbereich.
Im Fall Deutschlands lassen sich die Unterschiede noch mit der Größe und dem ungleich höheren Stellenwert des Landes argumentieren. Für ehrgeizige Talente ist die Politik des mächtigsten Landes Europas zweifellos attraktiver als die politische Bühne eines kleinen Landes. Und mit der Bedeutung steigt in aller Regel auch die Qualität (die USA sind allerdings auf dem besten Weg dazu, zur ständigen Ausnahme dieser Regel zu werden, zumindest wenn es um klassische Innenpolitik wie den Budgetstreit geht).
Versuche, die Qualitätsunterschiede zur Schweiz zu erklären, fallen deutlich schwerer. Noch dazu, wo es deutliche Parallelen in der politischen Kultur der beiden Länder gibt, etwa die ausgeprägte Konsenskultur. Gemeinsam ist beiden Ländern aber auch ein starkes rechtspopulistisches Lager, das sich außerhalb der etablierten Strukturen etabliert hat.
Der größte Unterschied besteht zweifellos in der Tradition bindender Volksabstimmungen als Korrektiv zur Regierung in der Eidgenossenschaft. In Österreich fehlt ein solches institutionalisiertes Gegengewicht zu den organisierten Interessen von Parteien und Verbänden fast vollständig. Hinzu kommt, dass die Schweiz dank ihrer Geschichte und wirtschaftlichen Struktur über eine ausgeprägte liberale Tradition verfügt - ein Umstand, der nicht nur die Politik prägt, sondern sich auch in der Medienlandschaft niederschlägt. Man diskutiert automatisch ausgewogener, weniger verbissen, wenn es statt links-rechts und gut-böse auch noch eine dritte, eine liberale Alternative gibt. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass Individualisten, Selbständige und Unternehmer in den Reihen der Schweizer Parteien zahlenmäßig deutlich stärker vertreten sind, als dies in Österreich der Fall ist, wo gemeinhin Verbändevertreter quer durch alle Parteien die Mehrheit stellen. Zumindest jedoch was die Qualität TV-Diskussionen betrifft, ist die Lage in der Schweiz ähnlich düster wie in Österreich. Spannende und innovative Politikinformation gehört offensichtlich nicht zu den Kernkompetenzen sogenannter Konkordanzrepubliken.
Vielleicht fällt das hierzulande nur stärker auf, weil wir auch ansonsten allenfalls über eine höchst mediokre Streitkultur verfügen.