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Streitet EU, übernehmen USA die Führungsrolle

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Interview mit Volkswirt Schleicher. +++ Ausnahmen für Schlüsselindustrien notwendig. | "Wiener Zeitung": Wie wichtig ist die Einigung auf die Umsetzung der EU-Klimaschutzziele beim EU-Gipfel Donnerstag, und Freitag?


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http://www.wienerzeitung.at/bilder/artikel/948_008_221118_111206schle.jpg Stefan Schleicher: Extrem wichtig, weil damit die ganze Glaubwürdigkeit der EU-Klimapolitik auf dem Spiel steht. Wenn aus Brüssel das Signal kommt, dass die EU intern Probleme hat, dann hat das ganz schwere Rückwirkungen auf die internationale Szene.

Was passiert, wenn sich die EU nicht einigt?

Es wird dann zu einer Entwicklung kommen, die sehr überraschend ist: So unglaublich es klingt, könnten die USA die Führungsrolle beim Klimaschutz übernehmen. Wir bekommen starke Signale, dass sich die Obama-Administration sehr engagieren wird.

Kann man dann auch Schwellenländer wie Indien oder China an Bord bekommen?

Ohne die geht es nicht, weil die große Expansion bei den Treibhausgasen in diesen Ländern stattfindet. Sie einzubeziehen wird wesentlich leichter. Es ist zwar schwer vorstellbar, dass sie ein gesamtnationales Ziel (zur Emissionsreduzierung, Anm.) akzeptieren. Aber sie könnten für die energieintensive Industrie Sektorenziele übernehmen.

Das würde dann auch für die energieintensiven Industrien in der EU faire Voraussetzungen schaffen, die durch den neuen Emissionshandel um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten.

Das ist das Stichwort. Es wird starken Druck für Sektorziele geben, die sicherstellen, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen gibt.

Wenn der EU-Gipfel gelingt, ist also der Grundstein für ein Gelingen eines globalen Abkommens bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen gelegt?

Unbedingt.

Der Emissionshandel ist ein Kernstück des EU-Klimapakets und besonders umstritten. Führt auch die Gratiszuteilung der CO2-Zertifikate durch die jährliche Verknappung zu den Klimazielen, oder müssen sie versteigert werden?

Der Versteigerungsvorgang bewirkt, dass die Unternehmen ein Preissignal bekommen, das Technologieentscheidungen auslöst - etwa dass die Stromerzeuger erkennen, sie müssen effizientere Kraftwerke bauen. Das zweite Argument ist, dass durch die Auktion Einnahmen entstehen, die den Mitgliedsstaaten wieder zur Verfügung stehen. In Wirklichkeit sind die Auktionen eine europäische Emissionssteuer.

Wie groß wäre im Gegenzug die Gefahr, dass im Falle einer Versteigerung Betriebe wegen der hohen Kosten abwandern müssten?

Das ist von Branche zu Branche sehr verschieden. Am härtesten betroffen wäre Zement. Der würde sich um gut 30 Prozent verteuern. Das würde nicht bedeuten, dass man die bestehenden Fabriken sofort schließt. Aber neue Anlagen würden außerhalb des EU-Bereichs errichtet.

Es muss also Ausnahmen für bestimmte Branchen geben, außer es kommt ein internationales Sektorabkommen?

Genau. Aber weil es bis zu den Sektorabkommen noch dauert, brauchen wir freie (CO2-)Zertifikate, um einige europäische Schlüsselindustrien wie Zement, Stahl, Papier oder die Grundstoffchemie nicht zu gefährden.

Der italienische Premier Silvio Berlusconi überlegt laut, das Klimapaket wegen der Finanzkrise zu verschieben. Ist das nachvollziehbar?

Ganz im Gegenteil: Gerade weil wir eine ganz gravierende Finanzkrise haben, die auf den realen Sektor überschwappt, brauchen wir Impulse für die inländische Nachfrage. Etwa im Bereich der Gebäuderenovierung könnten wir mehrere Ziele gleichzeitig erreichen: Es gebe starke wirtschaftliche Impulse, die Wohnqualität würde verbessert und im Windschatten fahren auch die Interessen der Energie- und Klimapolitik mit.

Eine Studie, die auch von Ihnen erstellt wurde, bescheinigt Österreich ein Potenzial von maximal 28 Prozent erneuerbarer Energie. Jetzt scheint Wien 34 Prozent bis 2020 zu akzeptieren. Ist das machbar?

Über die 34 Prozent können wir erst dann reden, wenn wir wissen, wie hoch der Endenergiebedarf sein wird. Es ist denkbar, dass wir die erneuerbare Energie mengenmäßig um ungefähr 50 Prozent ausweiten. Aber dann erreichen wir die 34 Prozent nur, wenn es uns gelingt, den Endenergiebedarf auf dem Niveau von 2005 zu stabilisieren. Wenn wir mit dem gegenwärtigen Trend weiterfahren, haben wir keine Chance.

Zur Person

Universitätsprofessor Stefan Schleicher (65) unterrichtet Volkswirtschaftslehre in Graz und ist Konsulent des Wifo. Seine Forschungsschwerpunkte sind Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Umwelt, Energie und Klimaschutz.

Foto: Ökosoziales Forum Österreich