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Strenge Regeln für das Kapital

Von Hermann Sileitsch aus Straßburg

Politik
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EU-Parlament winkt mit großer Mehrheit Basel III durch.


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Straßburg. Die Krise ist im verflixten siebenten Jahr angekommen - und das Ende nicht absehbar. Die entstandenen Kosten sind gewaltig: Allein zwischen 2007 und 2010 sind bei Europas Banken laut dem Internationalen Währungsfonds krisenbedingte Verluste von fast 1000 Milliarden Euro aufgelaufen. Schon in den ersten zwei Jahren der Finanzkrise - zwischen Oktober 2008 und 2010 - wurden bei der EU-Kommission rund 4600 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen für die Banken angemeldet. Das sind 39 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung eines Jahres. Wer garantiert, dass nicht auch künftig Steuerzahler zur Kasse gebeten werden?

Erfahrungen aus der Vergangenheit stimmen skeptisch. Auch bei früheren Finanzkrisen war rasch klar, wie gegengesteuert werden müsste. Nur passiert ist es nicht. Um die Regulierung zu verschärfen, bleibt meist nämlich nur ein winziges Zeitfenster offen - haben sich die gröbsten Probleme gelegt, schwindet rapide die Bereitschaft für strengere Regeln.

Bleibt somit wieder einmal alles beim Alten? Keineswegs. Diesmal soll es anders sein. Geschockt von den reihenweise kollabierenden Banken und dem dramatischen Wirtschaftseinbruch, beschlossen die 20 größten Wirtschaftsmächte (G20) im September 2009 bei ihrem Gipfel in Pittsburgh, dass die bisherigen Bankenvorschriften (Basel I und Basel II) völlig überarbeitet werden müssen. Und zwar global. Am Ende soll ein stabilerer Finanzsektor stehen. Die Institute sollen weniger Risiko eingehen und besser für Notfälle gerüstet sein. Gut die Hälfte der G20-Länder hat sich an diese globalen Vereinbarungen (Basel III) bisher gehalten und sie umgesetzt. Die übrigen sollen im Laufe des Jahres nachziehen. In Europa steht der zentrale Stützpfeiler der neuen Sicherheitsarchitektur seit Dienstag: Das EU-Parlament hat mit der Abstimmung im Plenum in Straßburg seinen Schlussstrich unter das neue Regelwerk gesetzt.

Strengere Kapitalregeln

Mit der überwältigenden Mehrheit von 608 gegen 33 Stimmen wurden die neue Eigenkapitalrichtlinie und die begleitende Bremse für Banker-Boni angenommen. Jetzt muss dieses Paket nur noch von den Mitgliedstaaten im Rat offiziell angenommen und veröffentlicht werden, damit es in Kraft treten kann. Dem Start per 1. Jänner 2014 stehe somit nichts mehr im Weg, sagt Parlaments-Chefverhandler Othmar Karas (ÖVP). Den Durchbruch zur politischen Einigung hat der Österreicher - nach monatelangem Tauziehen mit den Staats- und Regierungschefs - im März erreicht.

Mit einer Richtlinie und einer Verordnung setzt die EU die strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften in europäisches Recht um, die global unter dem Stichwort Basel III bekannt sind. Damit müssen die rund 8300 europäischen Banken verpflichtend höher und besser dotierte Kapitalpuffer bereithalten, um im Krisenfall Verluste abzufedern, vergleichbar mit dem Airbag oder der Knautschzone eines Autos: Wenn dieses an die Wand fährt, wird die Wucht des Aufpralls abgefedert, bevor die Insassen zu Schaden kommen.

Ähnlich funktioniert das Eigenkapital einer Bank: Dieses soll bei Verlusten zuerst aufgezehrt werden, bevor das Institut pleite ist. So sollte es auch schon bisher sein. Allerdings hat sich in der Krise gezeigt, dass ein Teil dieses Kapitals zwar in der Bilanz stand, aber gar nicht verfügbar war, wenn es gebraucht wurde. Das war etwa bei den britischen Banken Royal Bank of Scotland, Lloyds, der Bank of Ireland, der spanischen Cajasur oder der Bayerischen Landesbank der Fall.

Basel III verlangt nun mehr und höherwertigeres Kapital; also solches, das die Verluste voll mitträgt. Zunächst steigt die geforderte Quote auf 8 Prozent. Bis 2019 soll sie 10,5 Prozent erreichen. Für Sonderfälle können die nationalen Aufseher noch höhere Quoten vorschreiben.

Wie viel ist damit erreicht? "Es ist ein gewaltiger Schritt. Die Sorge der Welt war, dass Europa die Regeln nicht umsetzt", sagt Franz Rudorfer, Chef der Bankensparte in der Wirtschaftskammer Österreich. "Europa hat aber gezeigt, dass es handlungsfähig ist. Mehr Kapital schafft Vertrauen - wie wichtig das ist, hat gerade erst wieder Zypern gezeigt, wo eine vermeintlich kleine Sache Riesendimensionen erlangt hat."

"Risikofreie" Staatsanleihen

Der Interessenvertreter der Branche ist froh, dass in der EU-Version von Basel III auf die Besonderheiten des heimischen Bankensektors Rücksicht genommen wurde. "Die globale Fassung zielt auf internationale Großbanken ab. Wir haben mit den Raiffeisenbanken oder Sparkassen ganz andere Strukturen." Ein Erfolg für Österreich sei auch die Besserstellung von Krediten für kleine und mittlere Unternehmen - für diese müssen die Banken nicht so viel Kapital bereithalten. Und zudem gilt Basel III erst ab einer Kredithöhe von mehr als 1,5 Millionen Euro. "Damit ist sichergestellt, dass Projekte von kleineren und mittleren Unternehmen mit keinem bürokratischen Mehraufwand rechnen müssen", sagt die EU-Abgeordnete Evelyn Regner (SPÖ). Bisher war die Grenze mit einer Million Euro festgelegt.

Ein großes Manko der alten Regulierung bleibt mit Basel III bestehen: Die Banken dürfen europäische Staatsanleihen weiterhin als "risikofrei" bewerten und müssen dafür kein Kapital unterlegen. Nicht, dass alle Staatspapiere als so besonders sicher gelten würden, ganz im Gegenteil: Es würde die Euro-Staatsschuldenkrise massiv verschärfen und die Krisenländer in arge Probleme stürzen, wenn gerade jetzt die Schrauben angezogen würden.

Neu: Liquiditätsvorschriften

Völlig neu in Basel III sind Liquiditätsvorschriften: Die Banken müssen ausreichend viele Wertpapiere besitzen, die sie im Krisenfall - wenn die "Märkte austrocknen" - immer noch verkaufen können. So soll sichergestellt werden, dass sie selbst unter Stressbedingungen (etwa bei einem Banken-Run) mindestens 30 Tage lang überstehen können.

Und auch auf Sicht eines Jahres müssen die Kredite und die Refinanzierungsquellen besser abgestimmt sein als bisher. Noch in der Erprobungsphase ist eine Bremse für die Gesamtverschuldung (Leverage Ratio): Diese soll künftig verhindern, dass Risiken "kleingerechnet" werden können.

Eine Umstellung kommt auf Spitzenbanker zu, die in ihren Instituten Entscheidungshoheit über Risikogeschäfte haben. Bei ihnen dürfen künftig die variablen Gehaltsbestandteile (die Boni) nicht höher ausfallen als das Fixum. So soll es keinen Anreiz für hochriskante Geschäfte mehr geben. Einzige Ausnahme: Die Aktionäre beschließen eine doppelt so hohe Prämie für die Topleute. Am meisten macht diese Regel Großbritannien zu schaffen: London hatte noch Anfang März versucht, diese Bonusbremse zu blockieren, scheiterte aber an der Mehrheit der anderen Staaten. "Das zielt auf andere ab, Österreich ist kein exzessives Bonusland", sagt Rudorfer.

Karin Küblböck von der finanzkritischen NGO Attac sieht in der Bonus-Begrenzung einen "Fortschritt" - noch wichtiger wäre ihr jedoch, den Banken klar aufzutragen, "welche Geschäfte sie machen dürfen und welche nicht." Die Debatte über Managergehälter geht der Attac-Mitbegründerin noch nicht weit genug: Sie würde begrüßen, wenn für alle Branchen über eine Obergrenze oder ein fixes Verhältnis zu den Durchschnittslöhnen diskutiert würde.

Das Finanzkasino ist noch nicht ganz geschlossen, das Motto "Die Bank gewinnt immer" hat aber seine Gültigkeit eingebüßt. "Wir müssen diesen Schwung der gelungenen Bankenregulierung jetzt mitnehmen zur Verwirklichung der Bankenunion und in weiterer Folge der Fiskalunion sowie beim Kampf gegen Steueroasen und das Schattenbankensystem", fordert Karas. Genau beim nahezu unregulierten Wildwuchs bankähnlicher Konstrukte geht auch nach Ansicht von Österreichs Bankenvertreter Rudorfer zu wenig weiter: "Das zieht sich hin." Zentrale Einlagensicherung, Abwicklungsregeln für Pleitebanken, Aufsplittung in Geschäfts- und Investmentbanken, Schattenbanken: Die Liste der unerledigten Vorhaben ist noch lang.

Was noch großteils unerledigt ist.

(hes) Ähnlich bedeutend wie Basel III sind die Pläne einer Bankenunion in Europa mit drei Zielen: einer gemeinsamen Aufsicht, Regeln zur geordneten Abwicklung von Pleitebanken und einer europäisch abgestimmten Einlagensicherung. Konkret ist davon bisher nur die Aufsicht: Die nationalen Finanzaufseher konnten mit der transnationalen Verflechtung der Banken bisher kaum Schritt halten - und sie stehen im Verdacht, im Krisenfall allzu gerne ein Auge zugedrückt zu haben. Die Bündelung der Aufsicht bei der EZB soll das beheben. Damit ist erst Schritt eins der Bankenunion abgehakt.

Bei der geordneten Abwicklung von Pleitebanken sollen künftig nicht mehr immer die Steuerzahler einspringen müssen. Erst sollen Eigentümer (Aktionäre), Anleihengläubiger und notfalls Großanleger bezahlen. Falls das nicht genügt, muss ein - von den Banken selbst vorab dotierter - Abwicklungsfonds bluten. Erst als Allerletzter hielte der Staatshaushalt her. Im dritten und letzten Schritt würde dann auch die Einlagensicherung auf eine neue, europäische Basis gestellt.