Vorzeitiger Mutterschutz ist nicht mehr so leicht möglich. | Neue Liste mit Gründen für Freistellung. | Vor der 15. Woche in Krankenstand. | Wien. Für schwangere Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen war es bislang üblich, vorzeitig in Mutterschutz zu gehen - die Arbeitgeber sparten Geld auf Kosten der Krankenkassen.
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Was früher nach einem Stempel des Amtsarztes problemlos durchging, ist seit Jahresanfang nicht mehr möglich. Auch Komplikationen zu Beginn einer Schwangerschaft sind kein erlaubter Anlass mehr, vorzeitig den Schreibtisch in der Firma zu räumen.
Bei der 33-jährigen Psychologin Klara B. war es in der 6. Schwangerschaftswoche, als plötzlich Blutungen einsetzten. Der Frauenarzt verordnete einige Wochen Bettruhe. Zusätzlich schrieb er ein medizinisches Gutachten: Die Patientin sollte vorzeitig vom Arbeitgeber dienstfrei gestellt werden - also früher, als die im Gesetz festgelegten acht Wochen vor der Entbindung.
Was bisher als abgemachte Sache galt, stellte sich als Fehleinschätzung heraus. Der zuständige Amtsarzt lehnte den Antrag auf ein früheres Arbeitsende ab, ohne die schwangere Patientin nochmals zu untersuchen. Die Begründung: Seit Jänner 2011 gelten strengere Regeln für die Anwendung des Mutterschutzgesetzes.
Bei Krankheit keineKarenzvertretung
Eine Liste - ausgearbeitet in einem Erlass von Sozialministerium, Ärztekammer und Arbeitsinspektionsärzten - nennt 18 Gründe für eine vorzeitige Arbeitsbeendigung. Nicht in der Liste stehen Blutungen, starke Migräne oder niedriger Blutdruck mit Kollapsgefahr - alles Beschwerden, bei denen bisher laut Frauenärzten ein vorzeitiges Beschäftigungsverbot sehr wohl durchging.
Eine weitere Neuerung: Vorzeitiger Mutterschutz ist in der Regel erst ab Ende der 15. Schwangerschaftswoche möglich. "Kommt es früher zu Problemen, muss der Arzt die Patientin in Krankenstand schicken", betont ein Mitglied der Österreichischen Ärztekammer. Ein Umstand, der Arbeitgebern freilich weniger gefällt. Anders als beim frühzeitigen Mutterschutz, bei dem die Krankenkasse Wochengeld zahlt, muss das Unternehmen während des Krankenstandes weiterhin das Gehalt überweisen. Solange der Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfällt, darf auch keine Karenzvertretung eingestellt werden.
Seit dem Jahr 2000 ist in Wien die Anzahl der frühzeitigen Freistellungen auf 7172 Fälle gestiegen - das ist ein Plus von 28 Prozent. Fast automatisch mit Bekanntgabe der Schwangerschaft wurden etwa Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen in vorzeitigen Mutterschutz geschickt. Langes Stehen im Unterricht oder verschnupfte Kinder wollte man ihnen nicht zumuten, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Von "Sozialbetrug" ist die Rede. Denn wenn das Arbeiten für eine werdende Mutter körperlich zu anstrengend wird, ist das Unternehmen dazu verpflichtet, die Arbeitsbedingungen zu ändern. Die Suche nach einem neuen Aufgabenbereich wollten sich jedoch die wenigsten Firmen antun; genauso wenig wie in kostspielige Umbauten zu investieren. Der "frühzeitige Mutterschutz" war da meist die bequemere Alternative.
"Neue medizinischeErkenntnisse"
Schuld daran ist freilich auch die unpräzise Formulierung im Mutterschutzgesetz. Kurz und knapp heißt es dort: "Eine werdende Mutter darf nicht beschäftigt werden, wenn Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet werden." Wann dies der Fall ist, darüber urteilte bisher jeder Arzt nach eigenem Ermessen.
Im Sozialministerium will man niemandem Sozialbetrug unterstellen. Die Liste mit den Freistellungsgründen sei aufgrund von "neuen medizinischen Erkenntnissen" erarbeitet worden, erklärte eine Mitarbeiterin des Ministeriums auf Anfrage. Das Mutterschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1979.