Die Strafverschärfung im Maßnahmenpaket zu Sexualdelikten bringe wenig, sagen Experten.
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Wien. Die Mindeststrafe bei Vergewaltigungen soll von einem auf zwei Jahre angehoben werden, und die Möglichkeit einer teilbedingten Haftstrafe soll fallen. Zudem droht einem zum dritten Mal einschlägig Verurteilten künftig zwingend eine um die Hälfte höhere Höchststrafe: Das sind nur einige der rund 50 Maßnahmen zu Sexualdelikten, die am Mittwoch den Ministerrat passierten. Diese sollen bei Delikten wie diesen beziehungsweise Gewalt gegen Frauen und Kinder strengere Strafen, aber auch mehr Opferschutz und Täterarbeit bringen. Fertige Gesetzesentwürfe gibt es noch nicht, diese sollen im Laufe des Jahres folgen, hieß es. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) gehen die Pläne der Regierung schon jetzt nicht weit genug. Er forderte eigene Tatbestände im Asylbereich.
Die Frauenmorde und Gewalttaten an Frauen schienen sich in den vergangenen Monaten zu häufen. Erst am Dienstagabend hat ein Mann laut Polizei in der Herthergasse in Wien-Meidling offenbar seine Ex-Freundin durch einen Kopfschuss getötet. Viele der nun beschlossenen Maßnahmen entspringen zwar der schon vor rund einem Jahr eingesetzten "Taskforce Strafrecht", einige wurden angesichts der aktuellen Gewalttaten aber bereits im Jänner vorgestellt. Für die Ausarbeitung war Karoline Edtstadler (ÖVP), Staatssekretärin im Innenministerium, zuständig.
"Symbolische Maßnahme"
Bei Kriminalsoziologen, Psychiatern und Strafrechtsexperten stoßen gewisse Maßnahmen und vor allem die vorgesehene Strafverschärfung jedoch auf Kritik. "Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz, dass strengere Strafen in diesem Deliktsbereich abschreckend wirken oder die Rückfallraten senken", sagt etwa Veronika Hofinger, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien, zur "Wiener Zeitung". Gerade bei Sexual- und Gewaltdelikten, die emotional besetzt seien, "überlegt niemand, ob es jetzt ein oder zwei Jahre Mindeststrafe gibt", sagt Hofinger. "So funktionieren die Menschen nicht."
Dass es überhaupt Sanktionen wie eine Freiheitsstrafe gibt und die Wahrscheinlichkeit, entdeckt und bei einer Anzeige verurteilt zu werden, hoch ist, sei freilich schon wichtig - die meisten wüssten jedoch gar nicht, wie hoch genau die jeweilige Strafe ist. Auch die höhere Höchststrafe bei rückfällig gewordenen einschlägig Verurteilten hält Hofinger für eine symbolische Maßnahme, betrifft sie doch nur Ausnahmefälle. Laut Statistik Austria ist die einschlägige Rückfallrate bei Sexualstraftätern viel geringer als bei anderen Delikten wie Vermögen oder Körperverletzung: Lediglich 5,5 Prozent aller verurteilten Sexualstraftäter werden innerhalb von vier Jahren wieder wegen eines Sexualdelikts verurteilt. Bei Vergewaltigungen ist die Rückfallrate nochmals deutlich niedriger. Einer Untersuchung des Instituts für Gewaltforschung und Prävention zufolge werden Sexualstraftäter mit Therapie etwa halb so oft rückfällig wie jene ohne Therapie. Wirklich wichtig ist daher laut Hofinger, dass man die Täter in Haft therapiert und dann bedingt entlässt, damit sie Bewährungshilfe bekommen.
Reinhard Haller, Psychiater, Psychotherapeut, Neurologe und psychiatrischer Gerichtsgutachter, sieht es ähnlich. "Bei Sexualdelikten oder Gewalt im Namen der Ehre, die auf einer zwischenmenschlichen Ebene passieren, ist es völlig egal, wie hoch die angedrohten Strafen sind", sagt er. Strengere Strafen hätten hier keinen präventiven Effekt - sie dienten lediglich dazu, das Sühnebedürfnis zu stillen. "Hier geht es um das Gerechtigkeitsgefühl und Werte", so Haller. Dasselbe gelte im Übrigen auch für die Todesstrafe, die zum Beispiel in den USA und China vollstreckt wird und "Ungerechtigkeit und Leid mit sich bringt". Die Anzahl der Morde reduziere sich durch sie nicht.
Strafrecht spiegelt Werte wider
In gewisser Weise sei das ja auch Aufgabe des Strafrechts, die Werte der Gesellschaft widerzuspiegeln, sagt dazu der Jurist und Strafrechtsexperte Alois Birklbauer von der Universität Linz. Hinsichtlich Prävention ändere die Strafhöhe nichts. Wenn es darum geht, bestimmte Normenverstöße als größeres Unrecht zu bezeichnen, aber schon. "Das ist die einzige Motivation dahinter", sagt Biklbauer.
Hallers Ansicht nach ist es daher der falsche Weg, Sexualdelikte härter zu bestrafen. Verharmlosen dürfe man diese aber auch nicht. "Im Zusammenhang mit der Strafrechtsreform 1975 unter Christian Broda (von 1970 bis 1983 zum zweiten Mal Justizminister in der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky, Anm.) hat man es ein bisschen übertrieben, glaube ich. Die Psychiatrie hat damals behauptet, man kann alle delinquenten Verhaltensformen therapeutisch beheben und bei allen und jedem Therapien anwenden, wo es schlicht und einfach um Kriminalität geht", sagt Haller. In den 90er Jahren habe sich das Blatt gewendet, seitdem werden die Strafen härter. 2015 hat der Nationalrat die Strafrechtsreform verabschiedet. "Das ist jetzt meines Erachtens wieder zu viel des Guten."
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Sinnvoll wäre daher auch laut Haller, genauso wie es Hofinger sagt, Strafe und Therapie stärker zu verknüpfen. Im Drogenbereich habe sich dieser Weg bewährt. Nicht Therapie statt Strafe, aber kombiniert. Dieser Punkt, eine fixe Verankerung der Täterarbeit, ist auch im Sinne der Regierung und im Maßnahmenpaket enthalten. Es sind bundesweite Gewaltinterventionszentren vorgesehen, von denen sich Täter verpflichtend betreuen lassen müssen.
Opposition vermisst Opferhilfe
Die Opposition vermisst allerdings mehr Maßnahmen für die Opfer. Im Bereich des Opferschutzes werden die Wegweisung samt Betretungsverbot für die Gewalttäter neu geregelt, es wird ein Annäherungsverbot auf 50 Meter verankert. Bei den Frauenhäusern soll ein Wechsel in ein anderes Bundesland möglich sein, und der Opfernotruf soll durch eine dreistellige Telefonnummer einfacher werden. Für Übergangswohnungen in den Ländern wird der Bund Geld zur Verfügung stellen. Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitsverpflichtungen sollen zum Beispiel im medizinischen Bereich gelockert werden.
"Vor allem Symbolik, aber kaum konkrete Hilfe für Opfer" ortete SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim am Mittwoch in einer Aussendung. Zudem fehle das Geld für Opferschutz und Täterarbeit, kritisierten Jarolim und SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek. Laut Maria Stern von der Liste Jetzt beinhaltet das Maßnahmenpaket "leere Worte".
Andreas Zembaty vom Verein "Neustart" schließt sich der Finanzierungsfrage an. Die Maßnahmen zum Opferschutz findet Zembaty zwar schon begrüßenswert, die Frage, inwieweit und vor allem wann diese finanziell gedeckt sind, sei allerdings unbeantwortet. Edtstadler hat bisher nur von Schätzungen von "mehreren Millionen Euro", aufgeteilt auf die verschiedenen Ministerien, gesprochen.
Als massives Problem des Maßnahmenpakets sehen Haller und Biklbauer jenen Punkt, in dem es um die Verschwiegenheitspflicht von Psychiatern, Psychotherapeuten und Ärzten geht. Diese sollen im Anlassfall künftig verpflichtend aussagen müssen. Ihre Verschwiegenheitspflicht soll bei einer "ernstlichen und erheblichen Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit anderer" aufgehoben werden. Betreffend Berufsstände, die auf Vertrauen basieren, stelle das einen Paradigmenwechsel dar, warnt Birklbauer. Laut Haller diene die Maßnahme zudem kaum der Sache. Denn "wenn der Täter weiß, dass es keine Verschwiegenheitspflicht gibt, wird er gewisse Dinge eben nicht äußern".