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Strengerer Sittenkodex im Gottesstaat

Von Arian Faal

Politik

Teheran nimmt westliche Lebensweise ins Visier. | Teheran. Ein Bus mit dutzenden schwarz gekleideten Frauen nähert sich dem Valie Asr Boulevard im Herzen Teherans. Die Sittenwächterinnen "zur Einhaltung des Islams", die aussteigen, sind fast vollständig in den Tschador gehüllt, ungeschminkt und schauen sehr grimmig. Von der jungen Teheraner Bevölkerung werden sie mit Missmut und Verachtung begutachtet. "Lass uns schnell weg, sonst pöbeln sie uns wegen meiner Flip Flops an", sagt Lale, 23, zu ihrer Freundin und eilt davon. Keine zwei Minuten später sind die Gesetzeshüterinnen schon dabei, junge Mädchen, die ihr Haar zu freizügig oder ihren Mantel zu locker tragen, fleißig zu verwarnen. Jeglicher Widerstand ist sinnlos, denn wer nicht sofort reagiert und Korrekturen an Ort und Stelle durchführt, muss einsteigen und landet im Gefängnis. Wenn ein Kopftuch nicht sittenkonform ist, haben die Wächterinnen ein neues zur Hand und verlangen, dass es sofort austauscht wird. Rechtzeitig vor Beginn des Fastenmonats Ramadan am 11. August hat der Iran seinen Sittenkodex verschärft und einen neuen Katalog herausgegeben, an den sich die Bevölkerung strikt halten muss. Verstöße werden mit Folter, Peitschenhieben, Gefängnis oder Geldstrafen abgestraft.


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Re-Islamisierungen vogue

Schon sein Beginn der islamischen Revolution 1979 gelten für Frauen im Iran sehr strenge Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften. In den 80er Jahren wurde auf deren Einhaltung sehr stark geachtet, in den 90er Jahren entspannte sich die Situation, nun soll die Re-Islamisierung der Gesellschaft nach dem Willen der Führung hurtig voranschreiten, denn seit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinejad versucht die Jugend, sich noch westlicher zu geben. Neuerdings sieht man immer mehr Frauen, bei denen unter der staatlich verordneten Kopfbedeckung Locken und Haarsträhnen herausschauen. Es ist ihre Art zu zeigen, dass sie gegen das herrschende Regime sind.

Bei der Zensurbehörde ist der westliche Einfluss an sich ist sehr verpönt. So wetterte ein Freitagsprediger kürzlich, dass es in Europa Menschen gebe, die eine innigere Beziehung zu ihrem Hund hätten als zu ihren Ehegatten oder Kindern. Ahmadinejad spöttelte vor wenigen Tagen über das WM-Orakel, die Krake Paul, den er als Symbol für westliche Dekadenz und Aberglauben sieht. Mit all diesen Dingen wolle sein Land nichts zu tun haben, so der Präsident.

Der neue Sittenkodex betrifft auch die Männer. Im Iran gilt die Haartracht als eine Art politisches Zeichen. Bartträger gelten als fromm und regierungstreu. Träger gescheitelter Frisuren à la Ahmadinejad sind ebenfalls gern gesehen. Doch die Anzahl der Liebhaber anderer, eher westlich orientierter Haarschnitte ist groß. Man sieht zum Beispiel im Straßenbild Teherans viele Jugendliche mit langen Haaren, Pferdeschwanz, Vokuhila, Irokesenschnitt, Punk-Styles, Stachelfrisur und Hair-Tattoos.

Um dieser unerwünschten Frisurenvielfalt Einhalt zu gebieten, hat das Kulturministerium jetzt eine Liste mit Männerfrisuren veröffentlicht, die den Sittenwächtern gefallen und nicht als "westlich" gelten: Darunter brave Kurzhaarfrisuren, einfache Faconschnitte, Scheitelfrisuren und Kotelettenbärte. Jeder Friseur wurde bereits angewiesen, die Liste der erlaubten Frisuren in seinem Salon sichtbar auszuhängen. Fortan laufen Männer mit "nicht genormten" Frisuren Gefahr, verhaftet, gefoltert oder gar hingerichtet zu werden. Dass auch das Zupfen der Augenbrauen für Männer künftig tabu ist, wird allerdings von sehr vielen Persern milde belächelt: "Da müsste man ja mehr als die Hälfte aller Jungs in Teheran verhaften", meint Arash G. im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" lächelnd.