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Stresstest für Demokratie

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Können Regierungen mit Klimaschutz bei Wahlen siegen? Und was, wenn doch nicht?


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Er sei neugierig, so erklärte kürzlich der Wiener Meinungsforscher Christoph Hofinger, wann erstmals wohl eine Regierung wegen ihrer Klimapolitik wiedergewählt wird. Tatsächlich ist die Bilanz diesbezüglich eher ernüchternd: Eine ambitionierte Klimaschutzpolitik hat, bisher jedenfalls, die Chancen einer Regierung auf Verlängerung im Amt nicht wirklich erhöht.

Wenn man bedenkt, wie allergisch viele Wähler bereits auf verhältnismäßig geringe Preissteigerungen reagieren - der Anblick der "Gelbwesten" in "La France profonde", dem ländlichen Frankreich, steckt allen europäischen Regierungsparteien noch in den Knochen -, erfordert es doch erstaunliche Vorstellungskraft, dass die für einen ökologischen Kurswechsel nötige Neubepreisung unseres gesamten Wirtschafts- und Konsumverhaltens dereinst je an den Urnen belohnt werden könnte. Geschweige denn im Hier und Heute.

Diese Erfahrung wird zweifellos auch die Arbeit der türkis-grünen Task Force zur Ökologisierung des Steuersystems leiten, die kommende Woche ihre Arbeit aufnimmt. Zumindest hat daran die ÖVP als stärkste Kraft ein naheliegendes Interesse.

Die Ökologisierung wird überhaupt ein Stresstest für unsere massendemokratisch und zugleich radikal individualistisch verfasste Gesellschaft. Deren grundlegende Mechanik ist auf Verzögerung und Ausdehnung hin konzipiert, was im Umkehrschluss bedeutet, dass schnelle Richtungsänderungen zumeist auf hartnäckigen Widerstand stoßen. Ausreichend Zeit ist deshalb eine entscheidende Ressource, Veränderungen Schritt für Schritt durchzusetzen.

Genau diese Zeit aber, so sind die Befürworter eines entschlossenen Kurswechsels beim Klimaschutz überzeugt, stehe nicht mehr zur Verfügung. Jetzt oder nie mehr, lautet daher die Devise auf entsprechenden Demonstrationen.

Egal, ob man diese Sicht der Lage nun teilt oder nicht: Der angestrebte Umbau unserer Konsum- und Wirtschaftsgesellschaft hin zu einer ökologisch verträglichen Variante, wird unsere eingelernten demokratischen Entscheidungsprozesse auf eine harte Probe stellen.

Damit diese Klippen halbwegs unbeschadet umschifft werden können, ist es tatsächlich ratsam, wie dies Ex-Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny in dieser Zeitung empfiehlt (https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/2051388-Die-Geldboerse-als-Korrektiv.html), die Geldbörse der einfachen Menschen als sicheres Korrektiv gegen eine Überforderung zu verwenden. Mit aufrüttelnden Katastrophenszenarien allein ist noch keine Politik gemacht. Klimaschutz benötigt, soll er von den Vielen und nicht nur den Wenigen mitgetragen werden, den Ausgleich mit anderen legitimen Interessen.