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Stresstest-Zwist: "Inhalt ist wichtiger als der Zeitplan"

Von Claudia Peintner aus Belgien

Europaarchiv
Das Atomium in Brüssel entstand anlässlich der "Expo 58". Es gilt als Symbol für das Atomzeitalter und die friedliche Nutzung der Kernenergie. Foto: corbis

EU-Kommissar hält an strengen Tests für AKW fest. | Einigung mit Aufsichtsbehörden verzögert sich. | Brüssel. Das Atomium-Bauwerk in Brüssel war wohl selten zuvor ein passenderes Symbol für das aktuelle politische Ringen: Ein EU-Gipfeltreffen hatte Ende März als Reaktion auf das Atomunglück im japanischen Fukushima Stresstests für alle EU-Atomreaktoren vereinbart. Welche Kriterien zur Sicherheits-Überprüfung der 143 Atommeiler angewendet werden sollen, darüber ist vorerst jedoch keine Einigung in Sicht.


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Auf dem Tisch liegt ein umstrittener 13-seitiger Entwurf der Westeuropäischen Atomaufsichtsbehörden (Wenra). Dieser geht dem deutschen EU-Energiekommissar Günther Oettinger und Österreichs Umweltminister Nikolaus Berlakovich, der die Stresstest-Diskussion initiierte, allerdings zu wenig weit. Demnach sollen die AKW unverbindlich auf die Auswirkungen von Erdbeben und Überflutungen sowie auf einen Ausfall der Stromversorgung oder der Kühlsysteme überprüft werden. Konsequent eingefordert wird aber, dass auch Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder menschliches Versagens in das Szenario der Stresstests aufgenommen werden.

Optimistische Stimmung

Wie der finale Stresstest tatsächlich aussieht, darüber beraten bis heute Freitag die für nukleare Sicherheit zuständigen europäischen Aufsichtsbehörden (Ensreg) der 27 EU-Staaten. "Inhalt ist wichtiger als der Zeitplan", unterstrich Oettinger während der Verhandlungen.

Dieser Ansicht ist auch Berlakovich, der sich am Donnerstag in Brüssel mit dem EU-Kommissar zu einem Vieraugengespräch traf: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass am Ende umfassende Stresstests herauskommen, die für alle EU-Staaten verbindlich sind, deren Ergebnisse verglichen werden können und bei denen unabhängige Experten dabei sind." Bei der Sicherheit dürfe es keine Kompromisse geben, so der Umweltminister. Der größte Widerstand kommt von Großbritannien. Berlakovich vermutet dahinter die "allgemeine Europa-Skepsis der Briten".

Tatsächlich könnten rigide Stresstests die Anlagenbetreiber zu einem drastischen Umdenken in der Kernkraftsicherheit zwingen. Um die Gefahr eines Terroranschlages zu eruieren und sicherere Anlagen zu bauen, müssten die Kraftwerksbetreiber intensiver mit den Innenministerien und Terrorbekämpfungsstellen zusammenarbeiten, heißt es von Atomexperten in Brüssel. Dasselbe gelte für die Zusammenarbeit mit Fluglinienbetreibern.

Aus für Kraftwerks-Duo

Strenge Stresstests könnten vor allem Standorte mit zwei Kraftwerken ins Wanken bringen. "Bei den Überprüfungen muss sichergestellt sein, dass bei einem Ausfall der Kühlsysteme genug externe Energie verfügbar ist", so Atomexperten. Atomkraftwerke, die an einem Standort sich gegenseitig mit Energie versorgen würden, seien in diesem Fall nicht ausreichend.

Diese Strategie werde derzeit etwa in einigen französischen AKW gefahren, aber auch in Temelin und Mochovce. Eng könnte es auch für Kraftwerke ohne ausreichende stabile Schutzhüllen werden. Die Stresstests sollen im nächsten Halbjahr durchgeführt werden. Das geplante Procedere: Die nationalen Atomaufsichtsbehörden geben die von der EU auferlegten Überprüfungs-Kriterien an die jeweiligen Betreiber weiter. Dass dann auf Knopfdruck alle "beim Test durchgefallenen" AKW abgeschaltet werden, sei unrealistisch, so Berlakovich. Die Staaten müssten sich langfristig ein Ausstiegsszenario überlegen. Länder wie Frankreich oder Großbritannien, die vom Atomstrom abhängig sind, müssten sich nach neuen Quellen für ihre Energieversorgung umsehen.

Sollte es in Brüssel bis zum Ende der Ensreg-Tagung am Freitag keine Einigung geben, ist schon ein neuer Termin fixiert: Oettinger hat für nächste Woche (19./20. Mai) in Prag ein neuerliches Treffen einberufen. Inzwischen könnte die Diskussion auf Arbeitsebene weitergehen, erklärte die Kommission.