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"Strom für alle ist möglich"

Von Veronika Eschbacher

Politik

Laut Rachel Kyte ist Energie das Um und Auf für nachhaltige Entwicklung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Rund 1,2 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu Strom. Bei einer weiteren Milliarde ist die Versorgung nur unzuverlässig. Das macht es gleichzeitig schwer, der Armut zu entkommen, da Energie ein wichtiger Faktor für Wachstum ist. Die UNO und die Weltbank haben sich daher im Zuge ihrer "Sustainable Energy for All"-Strategie (SE4ALL) extrem ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2030 soll eine weltweite Komplettversorgung mit Strom erreicht werden. Gleichzeitig will man den Anteil an erneuerbaren Energien global verdoppeln. Die "Wiener Zeitung" sprach am Vienna Energy Forum mit der Vizepräsidentin der Weltbank, Rachel Kyte, über die Gratwanderung zwischen steigendem Energiebedarf durch Bevölkerungswachstum und der gleichzeitigen Eindämmung des Klimawandels.

"Wiener Zeitung": Wieso ist Energie so wichtig für nachhaltige Entwicklung?

Rachel Kyte: Wenn man nachhaltige Entwicklung als Wirtschaft, Umwelt und Soziales betrachtet, dann liegt Energie dort, wo diese drei Themen einander kreuzen. Energie ist absolut fundamental für wirtschaftliches Wachstum: Unternehmen können nicht produzieren, kleine Kinder können nicht lesen, ohne Wärme oder Kochen ist es schwierig für Familien, zu überleben. Von gleich fundamentaler Wichtigkeit ist der Energiemix - aus verschiedensten Gründen: der Umweltsicherheit der Welt etwa. Eine effiziente Nutzung von Rohstoffen wird immer wichtiger auch aufgrund des Klimawandels. Zudem hat "schmutzige" Energie riesige Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Und der Zugang zu Energie beeinflusst die Art, wie Arme innerhalb einer Gesellschaft agieren können. Energie befindet sich also direkt im Herzen aller Bemühungen, Armut zu lindern, mitten im Herzen der Lösungen für den Klimawandel und das ist einfach nachhaltige Entwicklung.

Am Vienna Energy Forum wurden Wege aus der Energiearmut gesucht. Heute haben 1,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Strom. Die Internationale Energieagentur (IEA) sagt voraus, dass 2030 annähernd gleich viele Menschen keinen Zugang zu modernen Energiedienstleistungen haben werden wie heute. Teilen Sie diese pessimistische Ansicht?

Wir stehen aufgrund der heutigen Lücke in der Energieversorgung vor einer wirklichen Herausforderung. Wenn wir unsere Bemühungen, den Zugang zu Energie zu steigern, nicht verdoppeln, dann werden - aufgrund des Bevölkerungswachstums - sich immer mehr Menschen in dieser Lücke befinden. Ich glaube aber, dass wir hier auch eine riesige Chance haben. Viel von dem Wissen, das nötig ist, um den Energiezugang auszubauen, besitzen wir bereits. Zudem gibt es weltweit einen gewissen Konsensus darüber, wie wichtig das ist. Diesen Konsensus gab es vor 20 Jahren noch nicht. Lösungen für Energiefragen werden zunehmend von effektiver Public Policy kommen, die es dem Privatsektor erlaubt, derjenige zu sein, der Energie zur Verfügung stellt. Es wird viel harte Arbeit von Regierungen benötigen, um das richtige Investitionsklima und Regelwerke zu schaffen. Aber es gibt eine Menge von Unternehmen, die nur darauf warten, in gut regulierte und strukturierte Energiemärkte zu kommen. Ich denke also, es gibt nichts an dieser Herausforderung, das nicht erreichbar wäre.

Die Weltbank arbeitet mit vielen Regierungen zusammen und berät diese. Welche Anreize werden benötigt, damit Länder ihren Anteil an erneuerbaren Energien erhöhen und in Richtung der Erreichung globaler Ziele arbeiten?

Die meisten Regierungen, mit denen wir arbeiten, wollen ihrem Privatsektor und Haushalten verlässliche und leistbare Energie zur Verfügung stellen - und das so sauber wie möglich. Die schwierigen Fragen, mit denen die Menschen zu kämpfen haben, sind daher folgende: In welcher Weise sollen wir unser Energiesystem aufbauen, wie soll die Preispolitik aussehen, wo wenden wir Subventionen an, die dann effektiv sind? Wir haben viele Beispiele von Ländern rund um die Welt, die all das bereits erfolgreich geschafft haben. Staaten beginnen zudem zu realisieren, dass sie Armutsprobleme gemeinsam mit Problemen im Bereich Energie-, Nahrungsmittel- und Wassersicherheit lösen müssen.

Sehen Sie eine ansteigende Tendenz, dass Entwicklungsländer mehr in Richtung erneuerbarer Energie gehen? Und trifft das auch für Länder mit umfangreichen Öl- und Gasressourcen zu?

Momentan sind alle möglichen Arten von Übergangsprozessen in Gang. Einer davon ist die Möglichkeit des Übergangs von Kohle auf Gas, da während der letzten Jahre Gasfunde in vielen Entwicklungsländer realisiert wurden. Das ist ein wichtiger Teil einer Energiewende. Jetzt fallen und fallen aber die Preise für erneuerbare Energie. Sie werden daher in manchen Teilen der Welt wettbewerbsfähiger und die Tendenz zu Investitionen in erneuerbare Energien ist auch steigend. Eine andere wichtige Sache ist, dass eine Ära anbricht, in der es möglich ist, in manchen Entwicklungsländern, wo es vorher noch keine Energiesysteme gab, erneuerbare Off-Grid-Lösungen (Energierzeugung unmittelbar vor Ort, etwa durch Solaranlagen, Anm.) zu finanzieren. Das ist etwas, worauf wir lange gewartet haben.

Die Weltbank finanziert gleichzeitig aber nach wie vor Projekte mit fossilen Energieträgern. Werden diese Projekte in Zukunft gen null reduziert?

Wir finanzieren nur ganz wenige Kohlekraftwerks-Projekte. Wir werden aber freilich niemals nie sagen. Es gibt Länder, für die das saubere Verbrennen von Kohle Teil ihrer Energiegeschichte sein wird für die nächsten zehn Jahre. Und es gibt Länder, die extrem arm sind und die öffentliche Entwicklungshilfe zur Energieerzeugung brauchen. Wir werden solche Fälle entsprechend unserer sehr strengen Regeln erwägen.

Bei diesem Event haben Sie einen neuen Weltbank-Bericht zum Thema Energie vorgestellt, den "Global Tracking Framework". Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Zuallererst gibt uns dieser Bericht erstmalig einen Orientierungswert und stellt fest, wo wir heute stehen. Das ist wirklich wichtig, denn so können wir die Fortschritte messen. Der Bericht zeigt uns auch, dass es absolut machbar ist, die "Sustainable Energy For All"-Ziele zu erreichen. Und das sind wirklich gute Nachrichten. Das heißt aber auch, dass manche Länder noch viel Arbeit vor sich haben. Der Bericht zeigt uns auch, dass wir beim Anteil an erneuerbaren Energien von den jetzigen 18 Prozent auf 36 Prozent kommen können, aber das wird gemeinsame Anstrengungen benötigen.

Länder wie China, Brasilien oder teilweise auch Indien sind die neuen, großen Investoren auf der Welt, tun dies aber nicht immer in einer klimafreundlichen Weise. Wie sehen Sie diese Investments und die Rolle der Weltbank, um die Einhaltung internationaler Standards zu sichern?

Zum Ersten sind sich die meisten Länder mittleren Einkommens und die schnell wachsenden Volkswirtschaften wie China, Brasilien, Indien sehr stark dessen bewusst, dass sie so sauber wie möglich wachsen müssen. Sie tun es, weil sie wettbewerbsfähig sein wollen. Zweitens haben sie nach wie vor eine große Anzahl an armen Menschen, die Wohlstand benötigen, und drittens bescheren ihnen die Gesundheits- und andere soziale Auswirkungen, wenn sie nicht sauber wachsen, eine massive Bürde, die sie nicht übernehmen wollen. In Indien und China enthalten die Fünf-Jahres-Pläne extrem aggressive Energie- und Klimaziele. Unser Job ist es, diese Länder mit globalem Wissen zu versorgen und Investitionsstandards für private Firmen zu setzen.

Welche Investitionen sind nötig, um Energiearmut zu reduzieren?

Um die SE4ALL-Ziele zu erreichen, müssten wir die heutige Finanzierung, die üblicherweise bei 400 Milliarden US-Dollar liegt, verdoppeln oder verdreifachen. Geht es um den Energiezugang, müssten wir diese um das Fünffache erhöhen. Heute liegen wir bei rund 10 Milliarden Dollar, würden aber 50 Milliarden benötigen.

Die Weltbank arbeitet hauptsächlich mit Entwicklungsländern. Aber wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht, wären doch die Ersten, an die man sich wenden müsste, die Industrieländer.

Wir sind uns des Faktums sehr bewusst, dass wir in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen arbeiten und in schnell wachsenden Volkswirtschaften. Wir arbeiten nicht in Ländern mit hohen Einkommen. 80 Prozent der globalen Emissionen werden von etwa 20 Volkswirtschaften verursacht. Es wird extrem schwer, Armut bis 2030 zu beenden, wenn wir nicht etwas gegen den Klimawandel machen, den wir bereits heute erfahren. Als eine globale Organisation sehen wir die Verbindung zwischen Armut und Klimawandel, zwischen Umwelt und Entwicklung jeden Tag und wir müssen ganz klar darauf hinweisen. Aus einer Emissionen-Reduzierungs-Perspektive kann man nur sagen, dass alles, was wir tun, einen Unterschied machen kann. Aber was die Welt wirklich braucht, sind ambitionierte, nationale Emissionsreduzierungsziele, vor allem in den Ländern, die heute die größten Emittenten sind.

Weltbank und Umweltpolitik
Die Weltbankgruppe mit Hauptsitz in Washington ist global die wichtigste Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Armutsreduzierung. Regierungen können sich an die Weltbank wenden, um Kredite, nicht rückzahlbare Zuschüsse oder andere zweckgebundene Zuwendungen zu erhalten. Damit werden in den jeweiligen Ländern Wirtschaftssektoren, Sozialprogramme, Umweltmaßnahmen oder einzelne Großprojekte gestützt oder finanziert.

2012 wurden von der Weltbankgruppe Energiefinanzierungen in der Höhe von 8,2 Milliarden US-Dollar zugesagt. Davon gingen 3,6 Milliarden in Projekte mit erneuerbaren Energien, das sind 44 Prozent. In der Vergangenheit erhielten etwa durch ein Solar-Projekt in der Mongolei 100.000 Hirtenfamilien Zugang zu Strom oder wurden in Mexiko 23 Millionen Energiesparlampen verteilt.

Zur Person
Rachel Kyte ist seit September 2011 Vizepräsidentin der Weltbank für nachhaltige Entwicklung. Die Britin ist unter anderem für die Bereiche Landwirtschaft, Energie, Umwelt und soziale Entwicklung zuständig.