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Strom-Proteste bringen Bulgariens Regierung ins Wanken

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

Zehntausende auf den Straßen, Finanzminister muss gehen.


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Sofia. Finanzstabilität, Korruptionsbekämpfung und Autobahnbau waren drei Grundpfeiler, auf denen die Politik des rechtsgerichteten Kabinetts von Ministerpräsident Boiko Borissow seit seinem Amtsantritt im Juli 2009 ruhte. Nun sind ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen zwei dieser Pfeiler weggebrochen und die Regierung Borissow scheint zu wackeln. Ende Januar 2013 musste Bildungsminister Sergej Ignatov seinen Hut nehmen, weil er schwerwiegende Korruptionsvorwürfe gegenüber einem Wissenschaftsfonds hartnäckig ignorierte, nun hat Vize-Ministerpräsident und Finanzminister Simeon Djankov im Sog der zunehmenden Proteste gegen die Sparpolitik der Regierung sein Amt verloren. Der bis zur sozialen Kälte sparsame Djankov stand im Kabinett wie kein anderer für ein geringes Haushaltsdefizit und niedrige Auslandsverschuldung.

Entzündet hatten sich die seit einer Woche andauernden Massenproteste an den Strompreisen, die nach der Meinung der meisten Bulgaren viel zu hoch sind. Standen zunächst allerdings nur die drei ausländischen Stromversorger, die österreichische EVN und die tschechischen Unternehmen CEZ und Energo-Pro, im Zentrum der Kritik, wurde am Sonntag auch die Regierung zur Zielscheibe. Bei den Protesten, die in ganz Bulgarien zehntausende aufgebrachte Menschen auf die Straßen brachten, wurden Rücktrittsaufforderungen skandiert, neben Stromrechnungen wurden auch Porträts von Borissow verbrannt. In der Hauptstadt Sofia kam es sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Bei der EVN, für die Bulgarien das wichtigste Investment in Osteuropa darstellt, zeigt man sich bereits alarmiert. Nachdem in der Nacht auf Samstag neuerlich ein Dienstwagen in Brand gesteckt wurde, sind die Sicherheitsmaßnahmen laut EVN-Sprecher Stefan Zach deutlich verstärkt worden.

Massenproteste hatten bereits einmal eine bulgarische Regierung zu Fall gebracht. Am 10. Jänner 1997 musste der sozialistische Ministerpräsident Jean Videnov am Höhepunkt einer katastrophalen Wirtschaftskrise den Hut nehmen, nachdem der Druck der Straße zu groß geworden war. Manche Kommentatoren schreiben dem 17. Februar 2013 bereits eine ähnliche Bedeutung für das aktuelle Kabinett zu. Doch Borissow scheint angesichts der Proteste seine Prioritäten neu zu setzen. Weil Djankov im Staatshaushalt keine Kofinanzierungszahlungen für EU-Mittel für Landwirte vorgesehen hatte, drohten die Bauern für den 20. Februar 2013 mit Protestkundgebungen. Um diese zu verhindern, soll Borissow nun persönlich angewiesen haben, Haushaltsgelder lockerzumachen und an die Bauern auszuzahlen.

Borissow hatte 2001 als Hauptsekretär im Innenministerium die Verbrechungsbekämpfung im Land übernommen. Obwohl Erfolge ausblieben, erwarb er sich mit seiner ruppigen volksnahen Art große Popularität, die ihm eine politische Karriere ermöglichte. Von der Bürgermeisterwahl für Sofia 2005 über die Parlamentswahlen 2009 bis zur Präsidentschaftswahl 2011 ging Borissow mit seiner Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) aus allen Wahlen als Sieger hervor. Nun sehen Meinungsumfragen den einstigen Überflieger vor dem Absturz. Die Sonntagsfrage der Agentur Mediana weist GERB mit nur 19,3 Prozent erstmals hinter den Sozialisten mit 22,5 Prozent aus. Und auch wenn in den kommenden Monaten bis zur Wahl im Juli politisch noch viel passieren kann, so deutet derzeit nichts darauf hin, dass dies zugunsten von Borissow und seiner Partei geschehen könnte.