Zum Hauptinhalt springen

Stückwerk Sicherheit

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
0

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Suche nach dem "Warum" dient dazu, Schicksalsschläge wie den Absturz der Germanwings-Maschine mit 150 Menschen am Bord aufzuarbeiten und das Unmögliche zu versuchen: der Tragödie eine rationale Ursache abzutrotzen. Technisches Versagen, eine menschliche Nachlässigkeit, ein Fehler, das Wetter oder sonst eine höhere Gewalt, sogar ein Terroranschlag taugen für diesen Zweck. Weil sie eine nachvollziehbare Erklärung liefern.

Nicht nur die Angehörigen und Freunde der Opfer brauchen eine solche Ursache zur emotionalen Aufarbeitung, sie gehört auch zur Logik von Fluglinien und Behörden. Letztere können so ihre Sicherheitskonzepte weiter perfektionieren. Die Illusion dabei: Jeder Fehler, jedes unvorhergesehene Ereignis führt dazu, dass sich die Sicherheit letzten Endes erhöht.

Das ist die Logik unserer Zeit, von Ingenieuren und Technokraten. Seit den Anschlägen von 9/11, als islamistische Terroristen gekaperte Flugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon steuerten, wurde der Zutritt zum Cockpit erschwert. Auf dass kein Terrorist mehr eine Maschine in seine Gewalt bringen möge.

Dieser Schritt, der die Sicherheit erhöhen sollte (und auch tatsächlich erhöhte), erwies sich nun offenbar - nach derzeitigem Kenntnisstand - als tödliche Falle für die Menschen von Flug 4U 9525. Nur so konnte es dem Co-Piloten gelingen, den Piloten auszusperren und die Maschine zum gezielten Absturz zu bringen.

Die Möglichkeit, dass der Co-Pilot das Flugzeug mit Absicht in einen Berghang steuerte, führt unser Bemühen um Nachvollziehbarkeit ins Absurde. Die Suche nach dem "Warum" des Todes der 149 übrigen Opfer entzieht sich der Sehnsucht nach einleuchtenden Erklärungen.

Die Flugbranche kann auf dieses Trauma nur mit der Logik ihrer Ingenieure antworten, um das Vertrauen in das Fliegen wieder herzustellen. Norwegens Fluggesellschaft hat bereits reagiert: Künftig sollen zu jedem Zeitpunkt mindestens zwei Personen im Cockpit zugegen sein. Weitere Airlines werden folgen. Damit hätte die Tragödie von Flug 4U 9525 verhindern werden können. Aber nur diese. Das nächste Unglück wird andere Ursachen haben - und womöglich solche, die mit der neuen Vorgabe direkt zusammenhängen. Gegen die Abgründe von Mensch und Natur gibt es keine garantierte Sicherheit, nur Wahrscheinlichkeitsrechnungen.