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Studentenproteste erhöhen Druck auf Regierung in Sofia

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

"Universität bleibt so lange besetzt, bis bulgarische Regierung zurücktritt."


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Sofia. Strikte Einlasskontrolle am Sonntagabend an der besetzten Sofioter Universität Kliment Ochridski: Erst nach Vorzeigen ihrer Studentenausweise werden die Studierenden in den Hörsaal 272, das Auditorium Maximum, vorgelassen. Die Besetzer von Bulgariens größter Hochschule fürchten Provokateure. Vor zwei Wochen waren sie die aufmüpfige Vorhut, inzwischen streiken Studenten im ganzen Land. Ihre Forderung ist eine politische: Sie verlangen nicht weniger als den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident Plamen Orescharski.

Im mit Matratzen wohnlich hergerichteten Audimax hält Atanas Tschobanow eine Vorlesung über "Mafia und Medien". Als Bulgariens Kooperationspartner der Enthüllungsplattform Wikileaks ist Tschobanov eine prominente Figur der kritischen Publizistik des Landes. Einige hundert Studenten lauschen ihm aufmerksam, als er die personelle und korporative Verflechtung von Politik und Wirtschaftskriminalität in Bulgarien analysiert. "Rücktritt der Regierung, Neuwahl auf elektronischem Wege und Lustration - also Säuberung - des öffentlichen Lebens von allen Mitgliedern der kommunistischen Staatssicherheit", zählt Tschobanov die Voraussetzungen für einen Neubeginn für das politische Bulgarien auf. Und erhält dafür kräftigen Beifall der Studentenschaft.

Protestjahr 2013

Ein solches Protestjahr hat Bulgarien seit den frühen 1990er Jahren nicht mehr erlebt. Nachdem Massenproteste gegen hohe Stromrechnungen im Februar das rechtskonservative Kabinett Boiko Borissov aus dem Amt gezwungen hatten, ergaben vorgezogene Neuwahlen im Mai ein politisches Patt in der bulgarischen Nationalversammlung. Nur mit Duldung der nationalistischen Partei Ataka konnte die von Orescharski geführte Koalitionsregierung aus Bulgarischer Sozialistischer Partei (BSP) und der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) der türkischen Minderheit gewählt werden. Nach nur zwei Wochen im Amt handelte sich Ministerpräsident Orescharski Mitte Juni den Volkszorn ein, als er den umstrittenen Medienmagnaten Deljan Peevski zum Chef der Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) bestimmte. Seit über 140 Tagen wird nun schon auf Sofias Straßen für seinen Rücktritt demonstriert.

Entschlossener Kampf

Bereits in den vergangenen Monaten beteiligten sich viele Studenten an den Anti-Regierungsprotesten, doch eher in ihrer Eigenschaft als junge Bürger und nicht als Teil einer Studentenbewegung.

Mit der Besetzung der Sofioter Uni änderte sich dies schlagartig. Sie hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die dem zuletzt personell schwächelnden Anti-Regierungs-Protest neue Dynamik verliehen hat. Konnte sich Regierungschef Orescharski vor dem Studentenprotest noch begründete Hoffnung machen, es werde ihm gelingen, die Rücktrittsforderungen gegen ihn auszusitzen, so scheint seine Macht jetzt wieder stärker gefährdet. "Wir okkupieren unsere Unis bis zum Rücktritt der Regierung", geben sich die Studenten ultimativ.

Sozialisten im Aufwind

Fast seit Anbeginn seiner Amtszeit stehen Orescharskis Amtshandlungen und Entscheidungen im Schatten der gegen sie gerichteten Proteste. Warum klammert sich die Regierung so an die Macht, fragen sich manche, zumal zuletzt veröffentlichte Meinungsumfragen die Sozialisten bei Neuwahlen als stärkste politische Kraft sehen, vor Borissovs Partei Bürger für eine europäische Entwicklung (GERB) und der DPS. Ataka könnte den Einzug ins Parlament verfehlen.

Ein Rücktritt der Regierung wäre also für die Sozialisten nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Chance. Sie würden damit die Forderung nicht nur der Studentenbewegung, sondern der gesamten außerparlamentarischen Opposition zunächst erfüllen. Anschließend könnten sie bei einem tatsächlichen Wahlsieg mit neuer Legitimation eine Koalition mit der DPS bilden, ohne länger der politischen Willkür der rechtsradikalen Ataka ausgeliefert zu sein. Dies könnte Bulgarien aus dem politischen Chaos und zurück auf den Weg der Normalität führen.