Die neue Rektoren-Chefin rät Studentenvertretern zu Protestaktionen und lehnt Studiengebühren generell ab.
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"Wiener Zeitung": Sie sind seit Anfang des Jahres Präsidentin der Universitätenkonferenz (Uniko). Es gab keine Gegenkandidatur. Ist der Job so unbeliebt?
"Eva Blimlinger": Unbeliebt würde ich nicht sagen. Aber es war auf jeden Fall sinnvoll, im Vorfeld viele Gespräche mit allen Rektoren und Rektorinnen zu führen. Letztlich gab es keine Gegenkandidatur. Die Uniko-Präsidentschaft wird mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt, und gerade in Zeiten wie diesen war es mir wichtig, dass es nicht zu Abspaltungen in Lager und einer Kampfabstimmung kommt. Es gibt die Forderung, dass die Uniko-Präsidentschaft nicht immer die Wiener machen, aber schnell zu reagieren ist von Wien aus einfacher.
Freuen Sie sich über die neue Aufgabe?
Ich habe mich über den Zuspruch sehr gefreut, denn die anderen kennen mich natürlich als eine, die mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält. Als ich Rektorin der Akademie geworden bin, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich einmal Uniko-Präsidentin werden würde. Der Job ist eine schöne Herausforderung.
Die erste Herausforderung ist, dass die Studiengebühren-Befreiung für berufstätige Langzeitstudierende im Juni ausläuft. Wie viele Studierende arbeiten neben dem Studium?
An manchen Unis sind es viel mehr als an anderen. Im technischen Bereich etwa arbeiten Studierende oft studienbezogen, dadurch verzögert sich das Studium. Die Zahlen, die bisher genannt wurden, waren Schätzungen, wir sind dabei die genauen Zahlen zu erheben.
Einige Unis wollen die Gebühren zurückzahlen. An der Uni Linz hat der Senat die Rückzahlung der Studiengebühren an berufstätige Studierende bereits beschlossen. Sollen die Gebühren arbeitenden Studierenden erlassen werden?
Wir diskutieren das derzeit in der Uniko. Das Problem hätte man schon länger lösen können und ich sehe nicht ein, dass die Unis jetzt etwas reparieren, bei dem die Politik sagt: "Das ist uns wurscht." Im Gegenzug heißt es: "Wenn die Unis das zurückzahlen können, wozu braucht ihr dann zusätzliches Geld?" Die Argumentation für die Studienplatzfinanzierung mit der Rückzahlung der Studiengebühren zu untergraben, ist politisch gefährlich.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Wir müssen das rechtlich prüfen und dann einheitlich vorgehen. Dafür haben wir bis Herbst Zeit. Der soll sich nicht wiederholen, dass der Verfassungsgerichtshof die Studiengebühren aufheben muss, wo es damals ein Hin- und Her gab und Unis autonom Gebühren eingehoben haben. Wir wollen unsere Zeit für Studierende aufbringen, nicht für solche Dinge.
Unter welchen Bedingungen wären Studiengebühren sozial verträglich?
Unter keinen. Wenn man Gebühren einführen will, müsste man zuerst argumentieren, warum. Im Regierungsprogramm ist von der Einführung "moderater Studiengebühren" die Rede. Diese "moderaten" Gebühren tragen aber nicht zur Finanzierung der Unis bei, weil der Betrag zu gering ist. Wissenschaftsminister Heinz Faßmann sieht Studiengebühren als Steuerungsinstrument. Er meint, dass Studierende ihr Studium ernster nehmen, wenn sie dafür zahlen. Davon bin ich nicht überzeugt. Das unterstellt ja, dass Studierende ihr Studium nicht ernst nehmen. Will man eine Finanzierung über Studiengebühren, müsste man wie in England 5000 bis 7000 Euro pro Semester verlangen, aber dann habe ich bis hin zur oberen Mittelschicht niemanden mehr, der sich ein Studium leisten kann. Man hat das Lehr- und Schulgeld abgeschafft. Niemand käme auf die Idee, das wieder einzuführen. Manche argumentieren, Akademiker würden später viel mehr verdienen. Ja, sie verdienen durchschnittlich mehr, aber sie zahlen auch mehr Steuern.
An der Novelle zur Unifinanzierung wird derzeit gearbeitet. Sie soll bis Ende Jänner dem Parlament vorgelegt werden.
Wir hoffen, dass wir möglichst bald einen Entwurf zu sehen bekommen, noch bevor er in den Ministerrat geht. Wir sollten schon einen Blick darauf werfen können. Es macht keinen schlanken Fuß, wenn wir das aus der Zeitung erfahren.
Sollte es die 1,3 Milliarden Euro nicht geben . . .
. . . die 1,3 Milliarden gibt es, die stehen schon im Gesetz. Sie müssten von der Regierung gestrichen werden, und dafür gibt es keine Anzeichen. Die ÖVP hat gegen die 1,3 Milliarden gestimmt, die FPÖ dafür. Was immer heftig diskutiert wird, ist die Verteilung. Die schlechten Betreuungsverhältnisse müssen sich verbessern, aber gleichzeitig dürfen die guten sich nicht verschlechtern. Es war ja so, dass manche auf Biologie und Chemie ausgewichen sind, weil sie in der Medizin keinen Platz bekommen hatten. Und auf einmal hatte man dort auch schlechte Betreuungsverhältnisse. Wir müssen es schaffen, dass alle Unis gleichermaßen profitieren.
Minister Faßmann hat gesonderte Deutschklassen angekündigt. Was halten Sie davon?
Gesonderte Deutschklassen sind wenig sinnvoll, zusätzliche Deutschangebote könnte man am Nachmittag anbieten. Das wäre ein integrativerer Ansatz: vormittags gemeinsamer Unterricht, am Nachmittag Deutschkurse. Aber schauen wir einmal, wie er das umsetzt.
Nachdem die Regierung angekündigt hat, die Rechte der "Österreichischen HochschülerInnenschaft" (ÖH) einzuschränken, haben Sie der ÖH zu Protestmaßnahmen geraten. Wieso?
Den Begriff "Service" kann man weit interpretieren. Wenn es heißt, die ÖH soll nur noch Serviceeinrichtung sein, soll sie ruhig das Audimax besetzen. Die Besetzung eines Hörsaals ist auch eine Serviceleistung, wenn damit die Verbesserung der Studienbedingungen erreicht werden soll. Es gibt keine Interessensvertretung, keinen Betriebsrat ohne politische Fraktionen. Auch die ÖH hat eine politische Aufgabe. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wovor die Regierung Angst hat. Sind das die Nachwirkungen des Café Rosa-Trauma? Man könnte zum Beispiel definieren, dass die ÖH keine gewerblichen Ziele verfolgen darf.
Heute werden sieben der 21 Unis von Frauen geleitet. Als Sie vor 26 Jahren als Gleichbehandlungsbeauftragte angefangen haben, gab es in Österreich gerade einmal 1,9 Prozent Professorinnen. Heute ist es ein Viertel.
Es sollten 50 Prozent sein, keine Frage. Aber es hat sich wahnsinnig viel geändert. Heute sind die Unis autonom: Sie beschließen ihre Satzung gemeinsam mit dem Senat, müssen nicht mehr für jede Planstelle am Minoritenplatz vorsprechen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt.
Gab es eine #metoo-Debatte an den Unis?
Das Thema ist schon seit langem sehr präsent und im laufenden Betrieb gibt es Bewusstsein für sexuelle Belästigung. Wir haben das geschafft, indem wir die Gleichbehandlung institutionalisiert haben, mit Arbeitskreisen und Gremien, in denen 50 Prozent Frauen sitzen. Das war eine ganz zentrale Änderung. Ich kann mich an die Debatten in den 90er Jahren erinnern, in denen es hieß, eine 50-Prozent-Quote wäre eine "dramatische Veränderung". Ich habe dann immer gesagt: "Ja, die braucht es, denn die Situation ist dramatisch." Rückblickend war das der goldrichtige Weg. Die österreichischen Unis sind der beste Beweis, dass Quoten Sinn machen.
Acht von zehn Jungmedizinern aus Deutschland verlassen Österreich, sobald sie das Studium abgeschlossen haben. Braucht es eine europaweite Lösung?
Nein. Es gibt genügend Medizin-Studienplätze. Das Zusammenspannen von Ärztemangel und angeblichem Mangel an Studienplätzen ist absoluter Unsinn. Jungärzte gehen weg, weil die Arbeitsbedingungen in Österreich nicht dem europäischen Standard entsprechen. Die Arbeitszeitregelung hat sich leicht verbessert, aber die Vereinbarkeit kaum. Wenn wir die Situation für niedergelassene Ärzte und für jene in Krankenhäusern verbessern, werden sie bleiben. Heute gibt es Telemedizin, Gruppenpraxen. Den Landarzt mit Hund gibt es doch nur noch im Fernsehen.
Wenn Sie drei Dinge am österreichischen Bildungssystem ändern könnten, was wäre das?
Die flächendeckende Ganztagsschule der 10- bis 14-Jährigen hat ganz klar Vorrang. Die Matura spielt für viele Studienfächer keine Rolle mehr, denn studieren dürfen in etlichen Studiengängen nur jene, die zuerst die Eingangsprüfung schaffen. Mittelfristig muss man die Übergänge zwischen Kindergarten und Schule und AHS und Studium neu denken. Außerdem muss das tertiäre Angebot für Studienanfänger klarer werden. Das funktioniert nicht mit besserer Studienberatung, das versuchen wir seit 30 Jahren. Wir müssen die Studienanfänge treffsicherer gestalten. Viele Studienanfänger inskribieren drei oder vier Studien, weil sie sagen: "Ich schaue mir das mal an". Das ist verständlich, aber zu teuer.
Eva Blimlinger (56) ist seit 2011 Rektorin der Akademie der bildenden Künste und seit 1. Jänner 2018 Uniko-Rektorin. Ihre Karriere startete die Historikerin als Gleichstellungsbeauftragte der Rektorenkonferenz (heute "Uniko").