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Wie baut man einen Industrieroboter? Haben Säuglinge eine eigene Ursprache? Wie entwickelt man eine perfekte Datenverschlüsselung? Die Antworten auf diese Fragen gibt es bald unter http://web.mit.edu - der Internet-Seite des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Und dieses Wissen, für das Studenten pro Jahr 26.000 Dollar (29.382 Euro/404.303 Schilling) bezahlen, steht für Websurfer in aller Welt künftig kostenlos bereit - mit einem einzigen Haken: Sie können damit keinen MIT-Studienabschluss erwerben.
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DDie Welt sähe anders aus, wenn es das 136 Jahre alte MIT nicht gäbe. In Boston entstanden allein in den vergangenen Jahrzehnten Erfindungen wie künstliche Haut für Patienten mit schweren Brandwunden oder Laser-Katheter für die Mikrochirurgie. Dazu kommen grundlegende Erkenntnisse über die Entstehung des Universums und die Entwicklung von Krebszellen. Auch an der Wiege des Internet standen MIT-Forscher, und deshalb fühlt sich die altehrwürdige technische Universität besonders verpflichtet, auch die Zukunft des World Wide Web zu definieren.
Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen alle Studienmaterialien aus MIT-Kursen online verfügbar sein. Das schließt das geballte Fachwissen von vielen der insgesamt 47 Genies mit ein, die als Absolventen oder Lehrende der Uni den Nobelpreis erhielten. "Wir bieten jetzt eine natürliche Verflechtung von amerikanischem Bildungswesen und den Möglichkeiten des World Wide Web", beschreibt MIT-Präsident Charles M. Vest das Internet-Projekt mit dem Titel "OpenCourseWare" (OCW).
Zu Beginn der sechziger Jahre entwickelten MIT-Forscher erstmals ein Konzept für die Vernetzung von Computern; daraus entstand die militärische Vorstufe des Internet, das ARPA-Net. 1989 schuf Tim Berners-Lee im europäischen CERN-Labor für Teilchenphysik den ersten funktionstüchtigen Browser - das World Wide Web war geboren. Seit 1994 arbeitet er in Boston und leitet am MIT das von ihm gegründete internationale World Wide Web Consortium (W3C). In Zusammenarbeit mit CERN entwickelt das W3C die technischen und technologischen Grundlagen des Internets.
Als Vorreiter bei der Internet-Entwicklung möchte das MIT nun auch ein Vorreiter bei der Bereitstellung von Online-Inhalten sein. Das OCW-Angebot soll schon während der Pilotphase, die im kommenden Herbst beginnt, von Forschern in aller Welt und auch von interessierten Laien genutzt werden. Charles Vest gibt offen zu, dass zunächst ein kommerzielles Unterrichtsprogramm geplant war. "Aber dann fiel unserer Fakultät etwas ganz Gewagtes ein. OpenCourseWare richtet sich gegen den Trend zu materiellen Werten", preist Vest ganz ungeniert einen Plan, der in seinem Umfang tatsächlich weltweit einmalig ist.
Andere Unis bieten wesentlich kleinere, kostenpflichtige Online-Programme; gebührenfrei gibt es im Internet außerdem ausgewählte wissenschaftliche Artikel. Das MIT will aber das gesamte Unterrichtsprogramm der technischen Uni kostenlos präsentieren. Vom Grundseminar für Studienanfänger bis zum letzten Schliff für Prüfungskandidaten sind das insgesamt 2.000 Kurse. Abgedeckt werden nicht nur technische und naturwissenschaftliche Disziplinen, sondern auch Bereiche wie Sprachforschung und Soziologie.
Die Professoren machen gerne mit. "Ich hoffe sehr, dass unser gesammeltes Vorlesungsmaterial die populärste Web-Adresse wird", sagt Olivier Blanchard, Leiter des Fachbereichs Betriebswirtschaft. Ganz uneigennützig ist der Enthusiasmus der Universität und ihrer Forscher natürlich nicht. Der ehrgeizige Online-Plan dient dem weltweiten Ruhm des MIT, und er dient auch der Publikationsliste der Professoren. Was online steht, gilt als akademische Veröffentlichung. Und wer viel veröffentlicht, steigert Prestige und Gehalt.
(Hompage des Massachusetts Institute of Technology - MIT: http://web.mit.edu)