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Studieren im Hochgebirge

Von Thomas Veser

Reflexionen

Im Jahr 2000 wurde die "Universität von Zentralasien" beschlossen, deren erster Campus heuer im 2000 Meter hoch gelegenen Naryn in Kirgisistan eröffnet wurde.


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Der Campus in Naryn, gerahmt vom Tian-Shan-Massiv an der Grenze zu China.
© UCA/Gary Otte

Wer im mittelasiatischen Hochgebirge bauen will, muss mit einigen Stolpersteinen rechnen. Wi-drige Wetterbedingungen erschweren die Arbeiten, zudem drohen Bergstürze, im Winter Lawinen und bei der Schneeschmelze Hochwasserkatastrophen.

Derartige Vorhaben in luftiger Höhe haben ihre Tücken. Das wissen die Erbauer der privaten, an westlichen Vorbildern orientierten "Universität von Zentralasien" (UCA), auf Initiative des Genfer Aga-Khan-Entwicklungsnetzwerksakdn mit Tadschikistan, Kasachstan und Kirgisistan im Jahr 2000 vereinbart, aus leidvoller Erfahrung. Seit der Grundsteinlegung 2004 verstrichen 12 Jahre, bis der erste der drei Campusse nun den Lehrbetrieb aufnehmen konnte.

Von den steilen Felswänden des Tian-Shan-Massivs an der Grenze zu China gerahmt, erstreckt sich der Campus auf einem rund 2000 Meter hohen Plateau oberhalb der ehemaligen Bergbaustadt Naryn in Kirgisistan. Wo früher Nomaden mit ihren Herden durchzogen, fallen heute im Herzen eines großzügig bemessenen Landschaftsparks die schlicht gestalteten dreistöckigen Gebäude für Studienbetrieb, Unterkünfte sowie Freizeitaktivitäten ins Auge.

Im Erdbebengebiet

Die Gesamtkosten in Höhe von 250 Millionen US-Dollar stammen vornehmlich von Großbanken und mehreren westlichen Ländern. An der Spitze stehen die USA, Deutschland und Frankreich, auch die Schweiz beteiligt sich. Der kirgisische Campus ist zunächst für 150 Studierende und 100 Lehrpersonen ausgelegt. Im September hat knapp die Hälfte der Kursteilnehmer Quartier bezogen. Sie kommen aus den drei Partnerländern sowie aus Afghanistan und Pakistan.

Dass sich der ursprünglich ehrgeizige Zeitplan nicht einhalten ließ, geht nach Angaben von Nisar Keshvani, Pressesprecher der Hochschulverwaltung in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, auf langwierige Verhandlungen mit den drei Regierungen zurück. Die Suche nach geeignetem Baugelände und eine angemessene architektonische Gestaltung standen dabei im Vordergrund.

Sicherheitsprobleme sorgten für weitere Verzögerungen; als sich herausstellte, dass der Naryner Campus gefährlich nahe an einer seismischen Verwerfungslinie vorgesehen war, "mussten wir mit der Planung vollständig von vorne beginnen", berichtet Keshvani. Und auf dem mit Felsbrocken übersäten Standort im kasachischen Tekeli habe man die Kosten und den Zeitaufwand für die Beseitigung der Stolpersteine, aus denen das Material für die Gebäude gewonnen wird, krass unterschätzt. Derzeit herrscht in Bischkek das Prinzip Hoffnung: Der tadschikische Standort Khorog könne frühestens 2018 den Betrieb aufnehmen, im Fall von Tekeli müsse man sich noch mindestens zwei Jahre länger gedulden, heißt es.

Zeremoniell kirgisische Eröffnung der Universität.
© Veser

Erst wenn das Campus-Trio mit seinen verschiedenen Studienschwerpunkten komplett ist, lässt sich die zentrale Idee der Hochgebirgsuniversität verwirklichen. Die Kursteilnehmer sollen demnach während des Studiums von einem Campus zum anderen wechseln und die dreiseitige UCA auf diese Weise als regionale und auf die spezifischen Bedürfnisse der Bergbevölkerung ausgerichtete Gesamtuniversität begreifen. Nicht umsonst hatte man Wert darauf gelegt, dass die Standorte möglichst nahe an der einstigen Seidenstraße durch Zentralasien liegen. So sollte der verbindende Charakter der Hochschule auch symbolisch hervorgehoben werden.

Lernen, Leben, Freizeit

Nach einheitlichen Kriterien gestaltet, dürften die Campusse, in denen später maximal jeweils 1200 Studierende leben sollen, den akademischen Nachwuchs Mittelasiens zunächst in Erstaunen versetzen. Denn der japanische Stararchitekt Arata Isozaki, der bereits durch verschiedene Projekte in gebirgigen und erdbebengefährdeten Regionen auf sich aufmerksam machte, hat die Bereiche Lernen, Leben und Freizeit nicht wie sonst üblich deutlich voneinander getrennt angelegt.

Indem er zwischen den architektonischen Komponenten fließende Übergänge schuf, setzte er sie in enge Beziehungen. So führt in Naryn nach einer Vorlesung der Weg direkt in die Cafeteria, wo man sich entspannt. Und umgekehrt: Die Privatsphäre der Studierenden ist nur wenige Schritte von den Übungsräumen entfernt.

Fraglos übernimmt der Freizeit- und Sportbereich mit dem Landschaftspark die Schlüsselrolle. Diese Campusteile stehen nicht nur den Studierenden zur Verfügung. Sie dienen als offen gestaltete Begegnungsorte, an denen die akademische Elite und die Dorfgemeinschaft ins Gespräch kommen. Um die Bezüge zur umgebenden Bergwelt optisch in Szene zu setzen, hatte man lokalen Baumaterialien den Vorzug eingeräumt.

Auch der Aufbau der Studiengänge wird den Studienanfängern einiges abverlangen. Unterrichtssprache ist durchgehend Englisch. Da viele Teilnehmer den fremdsprachlichen Ansprüchen nicht genügen, wurden die Studiengänge, bei denen Fernunterricht eine wichtige Rolle spielt, durch ein Vorbereitungsjahr ergänzt. Immerhin können sie notfalls auf die in den zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach wie vor präsente russische Sprache zurückgreifen.

Die UCA versteht sich als moderner Gegenentwurf zu den darniederliegenden Staatsuniversitäten der drei Länder. Über ein Vierteljahrhundert nach der Unabhängigkeit weiterhin postsowjetischen Denkmustern verhaftet, befinden sie sich in den Hauptstädten und betreiben nicht selten eine Ausbildung am Arbeitsmarkt vorbei. Von den Bedürfnissen der Bewohner isolierter Randregionen sind sie nicht selten Lichtjahre entfernt.

Neue Arbeitsplätze

Die künftigen Absolventen der Hochgebirgsuniversität, die international anerkannte Bachelor- und Master-Abschlüsse in natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen anbietet, sollen nach dem Willen der Gründer vorrangig die sozioökonomische Entwicklung in den entlegenen und rückständigen Berggebieten ankurbeln, indem sie neue Arbeitsplätze selbst schaffen.

Während in Khorog Geo- und Umweltwissenschaften auf dem Programm stehen, empfiehlt sich Tekeli mit Ingenieur- und Verwaltungswissenschaften sowie einem Business- und Management-Schwerpunkt. In Nayrin kann man sich nicht nur auf Computer-, Medien- und Kommunikationswissenschaften spezialisieren: Dort wurde zudem das Institut für Kulturerbe und Geisteswissenschaften untergebracht.

Zwar haben die drei Länder seit 1991 politisch, wirtschaftlich und sozial unterschiedliche Wege eingeschlagen, dafür weisen sie in kultureller Hinsicht zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Das reiche Erbe der zentralasiatischen Gebirgswelt, etwa auf musikalischem und kunsthandwerklichem Gebiet, soll dort zusammen erforscht, dokumentiert und für die Nachwelt bewahrt werden.

Gemäß Gründungsvertrag muss die Hälfte des Lehrpersonals aus dem zentralasiatischen Raum stammen. "Die Suche fällt nicht leicht, viele geeignete Dozenten sind aus diesen Ländern abgewandert", bekennt der ukrainischstämmige UCA-Generaldirektor Bohdan Krawtchenko, der sich in Toronto auf dem Gebiet Verwaltungs- und Wirtschaftspolitik einen Namen gemacht hat. Auch die Stelle des Rektors ist nach wie vor vakant.

Berufliche Fortbildung

Bis die UCA den vollen Betrieb aufnehmen kann, wird man sich noch einige Zeit gedulden müssen. Ob die für mittelasiatische Verhältnisse ungewöhnliche Hochschule in ungebrochen zen-tralistisch verwalteten Ländern allerdings die Abwanderung aus den Randgebieten tatsächlich spürbar bremsen kann, wird sich erst noch weisen müssen.

Bereits beachtliche Fortschritte konnte die Universität indessen auf dem Gebiet der beruflichen Fortbildung erzielen. Seit 2006 haben sich an insgesamt sieben Lernzentren in den drei Ländern rund 73.000 Jugendliche und Erwachsene in die zertifizierten Kurse eingeschrieben, Frauen machen inzwischen die Hälfte aus. Buchhaltung, IT und Englisch führen nach UCA-Angaben die Beliebtheitsskala an. Damit schließt die Hochschule eine Bildungslücke, da solche Kurse im staatlichen Angebot der drei Länder immer noch Mangelware sind.

Der Ansatz hat sich jedenfalls bewährt und konnte inzwischen auf denkbar einfache Weise von Tadschikistan auf das Nachbarland Afghanistan übertragen werden: Kursteilnehmer aus der afghanischen Provinz Badachschan gründeten nach ihrer Rückkehr in den Dörfern ihrerseits Lernzentren und bilden neue Kursleiter heran.

Damit geht ein Kulturtransfer einher: Neuerdings zeigen dort auch Frauen, ungewöhnlich für afghanische Verhältnisse, stärker Flagge.