Bei der Parlamentswahl am Sonntag geht es um wesentlich mehr als um Prozente für einzelne Parteien.
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Rangun/Wien. Es sind Bilder, die vor ein paar Jahren in Myanmar (Burma) noch unvorstellbar gewesen wären. Bürger, die am Bankomaten Geld abheben. Poster der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die in Lokalen an der Wand hängen. Ein Parlament, in dem Abgeordnete miteinander debattieren.
Das südostasiatische Land war jahrzehntelang eine abgeschottete Militärdiktatur, es war so isoliert, dass es nicht einmal einen Geldautomaten gab. Das Sammelbecken der Opposition, die Nationale Liga für Demokratie (NLD) war verboten, deren Frontfrau, die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, hielten die Militärs unter Hausarrest, andere Dissidenten waren eingekerkert.
Doch dann, vor rund vier, fünf Jahren, begannen die Militärs plötzlich eine Demokratisierung einzuleiten. Sie waren offenbar selbst der Isolation müde, die das rückständige Myanmar immer abhängiger von China machte. Nun gibt es ein Parlament, in dem die NLD die Opposition bildet, politische Gefangene wurden freigelassen, und Myanmar hat sich wieder der Welt geöffnet.
Das hat bereits die ersten großen Investoren in das rohstoffreiche Land gelockt - etwa den US-Multi General Electric. Und auch Exil-Burmesen kamen zurück und suchten Geschäftsfelder. Doch viele von ihnen blieben vorsichtig, immer wieder sagten Rückkehrer, dass sie lieber die Wahl im Herbst 2015 abwarten wollen, bevor sie noch größer investieren.
Nun ist es so weit: Am Sonntag finden die Parlamentswahlen statt. Wie diese über die Bühne gehen, wird entscheidend dafür sein, ob die Reformen eine Fortsetzung finden oder das Land wieder in dunkle Zeiten zurückfällt.
Pragmatiker gegen Idealisten
91 Parteien treten an, die meisten davon sind Kleinparteien, die die verschiedenen ethnischen Gruppierungen in dem Vielvölkerstaat vertreten. Entschieden wird das Match zwischen den beiden großen Bewegungen: der Union für Solidarität und Entwicklung (USDP), in der ehemalige Militärs jetzt im zivilen Gewand sitzen und die derzeit die Geschicke des Landes leitet. Und der NLD, die nun erstmals landesweit gegen die USDP antritt.
Die USDP-Wähler würden ihre Entscheidung eher aus pragmatischen Gründen treffen, "sie sprechen der Partei etwa bürokratisches Geschick zu", erklärt der Südostasien-Experte Wolfram Schaffar vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Ein weiteres Argument, das USDP-Wähler nennen: Durch ihre Nähe zum Militär garantiert die USDP, das der Übergang stabil weitergeht.
Die NLD hingegen wird von viel mehr Idealismus getragen. Ihre Vertreter hatten dem Militär jahrzehntelang die Stirn geboten. Während die städtische Bevölkerung mehr zwischen den einzelnen Kandidaten abwägen würde, werde in den ländlichen Regionen vor allem Oppositionsführerin Daw Aung San Suu Kyi - auch aufgrund ihres Vaters, des Unabhängigkeitshelden Aung San - sehr verehrt, sagt die burmesische Politologin Chaw Chaw Sein, die das Institut für Internationale Beziehungen an der Universität Rangun leitet, zur "Wiener Zeitung". "Zudem profitiert die NLD davon, dass es einen großen Wunsch nach Veränderung gibt."
Der Ausgang der Wahl ist schwer vorhersehbar, da keine Meinungsumfragen durchgeführt werden. Doch gilt die NLD als Favoritin. Nach dem Votum müssen aber erst die beiden Parlamentskammern einen neuen Präsidenten bestimmen, der die nächste Regierung formt.
Die Verfassung wurde so zurechtgeschnitten, dass Suu Kyi diese Position nicht bekleiden kann. Niemand mit ausländischen Angehörigen darf Staatsoberhaupt werden - Suu Kyis Kinder sind britische Staatsbürger. Nichtsdestotrotz könnte die NLD die nächste Regierung stellen oder an ihr beteiligt sein.
Aber wird die noch immer mächtige Armee da mitspielen? Viele Argumente sprechen dafür: Das Militär hat sich seinen Einfluss ohnehin abgesichert, ein Viertel der Parlamentssitze sind für die Armee reserviert, womit sie jede Verfassungsänderung blockieren kann. Von den mit der Öffnung einhergehenden Investitionen haben Militärs und mit ihnen verbundene Geschäftsleute massiv profitiert. Zudem muss die Armee dringend modernisiert werden und angeblich wollen viele Generäle hier mit dem Westen zusammenarbeiten.
Gleichzeitig weiß aber kein Außenstehender so genau, wie stark die Hardliner im Militär sind, die ihre Felle vielleicht davonschwimmen sehen und die Demokratisierung noch einmal stoppen wollen.
Fragiler Prozess
Die Zukunft Myanmars wird noch an weiteren Bruchstellen entschieden: Noch immer ist ein Großteil der Bevölkerung bitterarm. Noch immer ist nicht das ganze Land befriedet, kämpfen die Streitkräfte gegen Rebellenarmeen verschiedener Minderheiten, die sich ökonomisch und rechtlich an den Rand gedrängt sehen. Und radikale buddhistische Mönche befeuern eine massive anti-moslemische Stimmung im Land, die immer wieder zu schweren Gewaltakten gegen Moslems führt.
Der Reformprozess bleibt also ein fragiles Gebilde, das die Armee jederzeit zerschmettern kann. Wenn nun aber die Wahl möglichst frei und fair verläuft und ihre Ergebnisse akzeptiert werden, dann hat das Land einen großen Schritt gesetzt, dass es sich weiter öffnet.