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Stundenlange Arbeitswege für Pendler in den Westen

Von Jochen Wiesigel, AP

Politik

Stundenlange Anfahrtswege, Staus und verstopfte Straßen - für die Ostdeutschen, die zur Arbeit in die alten deutschen Bundesländer pendeln, gehört dies längst zum Alltag. Rund 100.000 Firmen fehlen derzeit nach einer aktuellen Studie des Institutes für Wirtschaftsforschung Halle zwischen Eisenach und Stralsund. Viele von denjenigen, die aktiv sind und nicht Däumchen drehen wollen, haben sich deshalb längst dorthin auf den Weg gemacht, wo es Arbeitsplätze gibt.


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Zur Zeit der politischen Wende trug mancher von ihnen noch Transparente mit der Aufschrift "Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr" - nun heißt es eher: "Kommt die Arbeit nicht zu uns, machen wir uns zu ihr auf die Socken."

Und so pendelten von Sachsen aus nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Jahr 2002 insgesamt 34.998 Arbeitnehmer ins südliche Nachbarland Bayern, von Sachsen-Anhalt zog es im gleichen Jahr 42.035 und von Mecklenburg Vorpommern 8.102 Menschen zur Arbeit nach Niedersachsen. Besonders mobil sind die Thüringer, die im Nordwesten, im Westen und im Süden von einem alten Bundesland umgeben sind. 37.815 Thüringer pendelten 2002 in das CSU-regierte Land, 26.638 fuhren nach Hessen und 13.359 suchten sich Arbeit in Niedersachsen. Damit ist Bayern unbestritten das Lieblingsland der Pendler.

Wie die Statistik aussähe, wenn es sie nicht gäbe, liegt auf der Hand. In manchen Regionen ist ihre Zahl etwa so hoch wie die Zahl der Arbeitslosen. Gut für die Statistik ist auch, dass Pendler ihr Einkommen im Osten versteuern. Viele von ihnen denken nicht daran, den Wohnort zu wechseln und in die alten Bundesländer abzuwandern, auch wenn für sie der Alltag mit den langen Fahrwegen sehr hart ist.

"Am meisten nervt dieses zeitige Aufstehen", sagt Sarah Schütt. Spätestens um 4.30 Uhr muss die 20-Jährige ihr Auto starten, wenn sie rechtzeitig zur Ausbildung als Bankfachfrau im 180 Kilometer von Erfurt entfernten Goslar sein will. Dabei hat sie es noch gut getroffen. Der Elektromonteur Siegfried Hübenthal legt auf der Jagd nach Arbeit pro Woche nach eigenen Angaben gleich mehr als tausend Kilometer zurück.

"Ich wurde über eine Zeitarbeitsfirma vermittelt und habe unter anderem in München, Stuttgart, Freiburg, Bochum, Düsseldorf, Essen, Mühlheim, Braunschweig, Osnabrück, Hamburg gearbeitet", berichtet der 55-Jährige, der in einem Dorf im thüringischen Eichsfeld ein Häuschen hat, in das er auch nach der Wende noch viel investierte. Allein schon darum war ihm nie der Gedanke gekommen, wegzuziehen.