Die Diskussionsreihe "dialogic" widmete sich dem Philosophen Edgar Zilsel und seiner Theorie der Genieverehrung.
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Schon vor 100 Jahren erforschte der Wiener Philosoph Edgar Zilsel, der auch Anhänger der positivistischen Richtung des "Wiener Kreises" war, die Genieverehrung und den Personenkult. Ob seine Erkenntnisse von damals auch noch in der Gegenwart gelten, darüber diskutierten Dienstag Abend im Rahmen der Diskussionsreihe "dialogic" die Philosophinnen Elisabeth Nemeth und Donata Romizi von der Universität Wien und der Philosoph Friedrich Stadler vom Institut Wiener Kreis. Eine gewisse Inhaltsleere und Substanzlosigkeit in Bezug auf solche Phänomene sei erkennbar.
Das Phänomen der Verehrung und Heroisierung sei nichts Besonderes in der Geschichte, betonte Stadler. Man denke an die Helden in der Antike oder auch die Heiligen im Christentum, die auch bestimmte Tugenden hatten, ergänzte Romizi. Die damalige Verehrung "war ein ausdrückliches ,ich will auch‘". Die Welt der Social Media habe hingegen Köpfe hervorgebracht, "die nur berühmt sind, weil sie berühmt sind". Genieverehrer sei man heute nur mehr um des Enthusiasmus wegen. "Es gibt keine Substanz mehr", urteilte die Philosophin.
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Austausch und Gegeneinander in der Wissenschaft
Nemeth betonte, dass sich die Verehrung verändert habe hin zu einem Personenkult, wo nicht mehr das inhaltliche Ziel der Person verehrt werde, "sondern die Tatsache, dass jemand etwas Herausragendes geleistet". Diesen Unterschied habe auch Zilsel in diesem modernen Phänomen gesehen.
Für Romizi führt diese Verehrung des Genies letztlich zur Verachtung der Masse. Nämlich in dem Sinne, dass dieser Geniekult verursache, "dass Sachen gesagt und durchgesetzt werden, die nicht intersubjektiv überprüfbar sind." Doch diese intersubjektive Überprüfbarkeit sei ein ganz wesentlicher Zug der Wissenschaft.
Wiederum seien Wissenschaft und Forschung geradezu geprägt von Pluralismus, betonte Stadler. Es fänden ein Austausch und ein Gegeneinander der Argumente, die nachvollziehbar sind, statt. Zur Kommunikation brauche es wiederum Personen, die imstande und fähig sind, zu erklären. Mit Sicht auf die Debatten zu Covid-19 meinte er, dass diese Zuschreibungen an einzelne Personen überhöht und wieder mit Emotionalisierung und übermenschlichen Fähigkeiten verbunden seien. Das führe dazu, "dass sofort das Argument der Masse kommt: Nicht einmal in der Wissenschaft sind sich die Leute einig. Löst man das auf, kommt man in das Fahrwasser, dass politische Positionen gleichbedeutend sind wie wissenschaftliche Hypothesen".
Notwendigkeit von Vertrauen
Sehr wohl bestehe auch die Notwendigkeit, Vertrauen zu schenken. Doch auf welcher Basis schenke man dieses Vertrauen? Vermutlich "eher jemandem, der sachlich spricht, der versucht, Inhalte zu erklären, auf empirische Daten verweist, wissend, dass die Wissenschaft fehlerhaft ist und diese Fehlerhaftigkeit der Wissenschaft kein Einwand gegen die Wissenschaft selbst ist", betonte Romizi. "Wir können von ihr nicht verlangen, dass sie alle Probleme löst und uns eine Hundertprozentgarantie gibt, dass es wahr ist." Jedoch sei Vertrauen auch entlastend, was dazu führen kann, dass man sich eigene Denkarbeit erspart. Wesentlich sei, immer wieder zu überprüfen, was wir glauben, denn es gehe nicht darum, "dass ich verehre und blind glaube".
"Wir müssen empirisch herausfinden, was das Phänomen eigentlich ist, dabei aber auch nicht übertreiben", sagte Nemeth abschließend. Dieses Urteil hätte auch Zilsels sein können.
Es diskutierten<span> </span>Elisabeth Nemeth, (Institut für Philosophie an der Universität Wien und Vize-Präsidentin der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft),<span> </span>Donata Romizi, (Institut für Philosophie Universität Wien), und<span> </span>Friedrich Stadler<span> (Institut Wiener Kreis, Universität Wien und Wiener Kreis Gesellschaft). </span>Walter Hämmerle, Chefredakteur der "Wiener Zeitung", moderierte die Veranstaltung.