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Bei dem Überfall in dem türkischen Dorf Bilge, dem 44 Menschen zum Opfer fielen, sollte anscheinend eine ganze Sippe ausgelöscht werden. Die Ursachen werden diskutiert: Die türkische Regierung spricht von einer reinen Privatfehde. Organisationen der Kurden sehen das Verbrechen als Folge einer Politik des gewaltsamen Teilens und Herrschens. Sie weisen darauf hin, dass die acht Tatverdächtigen staatlich ernannte Dorfschützer sind.
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"Wenn diese Leute dieses Massaker mit Waffen, die ihnen der Staat gegeben hat, angerichtet haben, dann wäre es an der Zeit, das System der Dorfschützer zu überdenken", sagte Rustem Erkan, Professor für Soziologie in Diyarbakir gegenüber der Tageszeitung Hurriyet.
Als unmittelbarer Anlass gelten Konflikte innerhalb des großen Celebi-Clans, dem sowohl die Täter als auch die meisten Opfer angehören. Zum einen habe es seit langem einen Streit über Landbesitz gegeben. Zum anderen sei eine Frau aus dem Familienzweig der Täter von einem Mann aus einem anderen Zweig vergewaltigt worden. Daraufhin forderte der betroffene Teil der Familie, ein Mann aus seinen Reihen solle gewissermaßen als Entschädigung eine Ehefrau aus dem Zweig des Vergewaltigers erhalten.
Das sei aber abgelehnt worden, berichtete Hürriyet: Die junge Sevgi Celebi, die als Ehefrau in diesem Handel vorgesehen war, sollte am Montagabend mit ihrem Cousin Habip Ari aus einem dritten Familienzweig vermählt werden. Daraufhin sei das Hochzeits-Massaker beschlossen worden.
Eine in der Türkei viel diskutierte Tatsache ist, dass die acht festgenommenen Angreifer allesamt Dorfschützer sind, die ihre Waffen vom Staat erhalten haben.
Das System der Dorfschützer (koruculuk sistemi) ist eine 1985 eingeführte militärische Maßnahme im Kampf gegen die PKK aber auch gegen andere politische Aktivitäten in den kurdisch besiedelten Gebieten der Türkei. Die vom Staat bewaffneten Dorfschützer werden vom Staat bezahlt und stellen einen kaum kontrollierten Machtfaktor dar. Ihre Zahl liegt zwischen 60.000 und 70.000.
Unabhängige Organisationen kritisieren, dass Einzelne und Clans das System immer wieder als Deckmantel für Verbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen nutzen. Dies wird zumindest teilweise durch Beantwortungen parlamentarischer Anfragen belegt. Soziologen sind sich darüber einig, dass das System feudale und undemokratische Strukturen in den Kurdengebieten unterstützt und ausbaut.
Die DTP, die einzige in der Türkei zugelassene kurdische Partei, erklärte: "Das Massaker enthüllt, in welchem Ausmaß sich das System der Dorfschützer zu einem Mord-Netzwerk entwickelt hat." Die DTP fordert die Einsetzung einer parlamentarischen Kommission zur Abschaffung der Dorfschützer.
(Quellen: APA, Reuters etc.)