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Suche nach Rezepten gegen den Terror

Von Daniel Bischof und Michael Schmölzer

Politik

Dschihadismus-Konferenz in Wien, Europa versucht Gefahr mittels Grenzkontrollen und Aufklärung Herr zu werden.


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Wien. Seit dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris ist die Gefahr des islamistischen Terrors wieder in die Köpfe der Menschen in Europa zurückgekehrt. Kaum eine Woche vergeht ohne Meldungen über neue Terroranschläge oder heimkehrende Dschihadisten, die von den Kämpfen aus Syrien oder Irak nach Europa zurückkommen und ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen. Auch der islamistische Anschlag in Tunis am Donnerstag, der 20 ausländischen Touristen das Leben gekostet hat, bewies einmal mehr, wie nah der Terror an Europa herangerückt ist.

Angesichts der Bedrohung wird in Europa heftig darüber diskutiert, was im Kampf gegen den Terror getan werden muss: So auch in der Anti-Terror--Konferenz "Tackling Jihadism Together" am Freitag in Wien. Dabei verständigten sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, Außenminister Sebastian Kurz, Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft und hochrangige Vertreter mittel- und südeuropäischer Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen den Terror.

"Wir brauchen eine umfassende Strategie, die über die bisherige gemeinsame Strafverfolgung hinausgeht", so Mikl-Leitner gleich zu Beginn der Pressekonferenz. Gemeinsame Strategien, gegenseitiger Informationsaustausch und engere Kooperationen: Kein Politiker verabsäumte es in seiner Rede, diese Aspekte herauszuarbeiten. Demonstrativ zeigte man Einigkeit und Geschlossenheit - gleich mehrmals wurde betont, dass der Kampf gegen Extremismus und Terror eine gemeinsame europäische und globale Aufgabe sei. So sagte Außenminister Kurz, dass man sich nicht dem Irrglauben hingegeben dürfe, dass Österreich eine "Insel der Seligen" sei und sich "von dem, was woanders passiert", abkapseln könne.

Extremisten könnten über den Balkan einsickern

Einen Schwerpunkt der Konferenz bildeten die Westbalkan-Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien, über deren Grenzen Extremisten ein- und ausreisen könnten. Um dem entgegenzuwirken, sollen laut Mikl-Leitner die Grenzbehörden besser geschult, Informationen ausgetauscht und auch die Zusammenarbeit der Staaten mit Europol, dem EU-Anti-Terrorismus-Koordinator sowie der EU-Grenzschutzagentur Frontex intensiviert werden. Kritisch zeigte sich der serbische Außenminister und amtierende OSZE-Vorsitzende Ivica Dacic: "Der IS ist 2006 entstanden, die Anti-IS-Koalition 2014. Was haben wir in diesen acht Jahren getan?" Auch habe Serbien jahrelang gewarnt, dass Österreich - speziell Wien und Salzburg - ein Zentrum für wahhabitische Extremisten sei. Dacic sprach sich deswegen für ein "System der Früherkennung und Frühwarnung" im Rahmen der UNO und anderer internationaler Organisationen aus.

Auf der Konferenz wurde auch die Problematik der heimkehrenden Dschihadisten erwähnt. Laut Kurz gibt es tausende Kämpfer "die aus Europa in den ‚Heiligen Krieg‘ in den Irak oder nach Syrien gezogen sind. Sie sind dort als auch für uns ein extremes Sicherheitsrisiko, wenn sie wieder nach Europa zurückkehren".

Einer dieser Rückkehrer ist der 16-jährige Wiener, der vergangenen Dienstag am Flughafen Wien-Schwechat festgenommen wurde. Aufgrund von "Tatbegehungs- und Fluchtgefahr" verhängte das Wiener Straflandesgericht am Freitag die Untersuchungshaft über den 16-Jährigen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Er zeigte sich bei seinen Einvernahmen geständig.

Der 16-Jährige war mit einem gefälschten Pass über die Türkei in vom IS kontrollierte Gebiete gelangt und hatte sich der Terrorgruppe angeschlossen. Der Wiener dürfte innerhalb kürzester Zeit radikalisiert worden sein - er weist keinen Migrationshintergrund auf und hatte während seiner Schulzeit keinen Bezug zum Islam. Erst drei Monate vor seiner Abreise konvertierte er und brach seine Lehre zum Versicherungskaufmann ab. Innenministerin Mikl-Leitner hielt sich mit neuen Informationen zu dem Fall weitgehend bedeckt. Sie verwies und bedankte sich für die Kooperation zwischen der Türkei und dem österreichischen Außenamt, welche es möglich gemacht habe, den Wiener "nach Hause zu bringen".

Der 16-Jährige, gegen den wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird, hat nach Angaben seines Verteidigers Werner Tomanek der IS-Ideologie abgeschworen. Der 16-Jährige soll die Hälfte seiner Bekannten sterben gesehen haben, mit denen er in den Dschihad gezogen war.

Tomanek äußerte sich auch über das bisher spekulierte Ableben des 19-jährigen Firas H. aus Wien-Floridsdorf: "Mein Mandant hat seine zerfetze Leiche gesehen." Firas H., der mit dem 16-jährigen Burschen in den Dschihad gezogen ist, soll dem sogenannten Medienministerium des IS angehört haben.

Als Reaktion auf Radikalisierungstendenzen stellte das österreichische Unterrichtsministerium Ende Jänner 300 Extremismus-Workshops für Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung. Der Andrang darauf war enorm, die Kurse waren innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek hatdas Programm nun verdoppelt.

Islamistische Bedrohung aus Nordafrika

Unterdessen sieht sich die EU zunehmend aus dem Süden bedroht. In Libyen kontrollieren 5000 bis 7000 IS-Dschihadisten mehrere Städte entlang der Küstenlinie, die Vorposten des Kalifats in Syrien und im Irak reichen damit bis 300 Kilometer an EU-Territorium heran. Das Massaker an 20 Touristen in Tunis hat den EU-Entscheidungsträgern blitzartig die Gefahr vor Augen geführt. Die tunesische Regierung vermeldete am Freitag, dass die beiden Attentäter in Libyen von militanten Islamisten ausgebildet und mit Waffen versorgt worden waren. Dort haben die Dschihadisten just die alte Gaddafi-Hochburg Sirte weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht, sie setzen in einigen Gebieten ihre radikalen politischen Vorstellungen um. Die Gefahr besteht darin, dass sich weitere libysche Stämme und bewaffnete Kleingruppen dem IS anschließen.

Die Regierung in Rom reagiert umgehend auf den Anschlag von Tunis und wird zusätzliche Patrouillenschiffe in den zentralen Mittelmeerraum entsenden. Die Zahl der Militärflugzeuge und Drohnen wird ebenfalls erhöht. Man will auch hier die EU-Außengrenze genau unter Beobachtung halten, es herrscht die konkrete Angst, dass Offshore-Ölplattformen und Tankschiffe zum Ziel für Angreifer werden. Auch auf dem italienischen Festland werden neue Anti-Terror-Vorkehrungen getroffen. "Wir müssen unsere Grenzen und unsere Bürger schützen", so Außenminister Paolo Gentiloni.

Präsident Sergio Mattarella drängt zur Eile: "Wir dürfen keine Zeit verlieren", sagte er, "ganz Europa muss entschlossen die Terrorgefahr bekämpfen". Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach von einem "Angriff auf Europa". Europa müsse antworten. Für den 31. März kündigten Mogherini und EU-Ratspräsident Donald Tusk eine Reise nach Tunis an.

In Italien ist die Trauer nach dem Massaker von Tunis besonders groß, immerhin sind vier Landsleute unter den Getöteten. Präsident Mattarella geißelt den Anschlag als "Attacke auf die Demokratie". Mit dem Anschlag rückt auch das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer verstärkt in den Fokus. Zwar will die italienische Regierung keinen Zusammenhang zwischen islamischem Fundamentalismus und der Flüchtlingswelle herstellen. Man will in Rom aber nicht ausschließen, dass sich dschihadistische Kämpfer unter jene Flüchtlinge mischen, die von Libyen nach Europa strömen. Der IS hat gedroht, dass das Massaker von Tunis erst der Anfang gewesen sei.

Zuletzt war man davon ausgegangen, dass das Augenmerk des IS auf Syrien und dem Irak und dem Aufbau des dortigen Kalifats liegt. Die beiden Männer, die den Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion verübten, waren keine IS-Terroristen, die aus dem Krieg in Syrien und dem Irak heimkehrten. Sie bekannten sich zu Al-Kaida im Jemen. Die westlichen Opfer des IS, darunter Journalisten, waren zu Propaganda-Zwecken enthauptet worden. Ein vom IS geplantes und durchgeführtes Attentat in Europa hat es bis dato nicht gegeben. Doch die bange Frage lautet: Wann schickt der IS seine Soldaten nach Westen?

Attentäter von Tunis arbeitete in Reisebüro

Jetzt sind neue Details über die beiden Attentäter von Tunis bekannt geworden. Die Regierung gab an, dass die beiden Mitglieder einer "Schläfer-Zelle" von Salafisten gewesen seien. Die Angreifer sollen auch Sprengstoff mit sich geführt haben - sie hätten aber keine Zeit gehabt, diesen auch einzusetzen. Einer der Attentäter, Yassine al-Abidi, soll bis zuletzt in einem Reisebüro in Tunis gearbeitet haben. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie, soll zuletzt aber oft in der Moschee gewesen sein.