Neuer Chef der UN-Organisation über Zukunft der Unido und Chinas Wirtschaft.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung":Gratulation zu Ihrer Bestellung als Generalsekretär der Unido.Li Yong: Vielen Dank.
Ich habe mir gerade noch einmal die Millenniumsziele der Vereinten Nationen, die im Zeitraum von 2001 bis 2015 umgesetzt werden sollen, angesehen. Die sind ziemlich weit gefasst, von Krankheiten, über Genderfragen und Bildung auf Volksschul-Niveau ist alles dabei. Welches der Ziele ist Ihres Erachtens am brennendsten?
Viele dieser Ziele sind eng miteinander verflochten. Am wichtigsten ist die Armutsverringerung. Wir werden aber nach 2015 eine Liste mit neuen Zielen haben, die Diskussion darüber beginnt schon jetzt. Es ist klar, dass wir nach 2015 eine Liste mit neuen Zielen haben werden. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass die neue Liste sehr eng mit dem Mandat der Unido zusammenhängen wird.
Wie kann man die extreme Armut ausrotten? Über Wohlfahrt? Produktion? Bildung?
Unido ist eine einzigartige Organisation, die sich mit industrieller Entwicklung beschäftigt. Und das ist wichtiger denn je, wenn wir es schaffen, nachhaltige Entwicklung auszuweiten. Wenn Sie sich die Geschichte ansehen, haben fast alle Länder der sogenannten westlichen Welt eine Industrialisierung vorgenommen. Industrielle Entwicklung gibt den Menschen eine Möglichkeit für Wachstum, Entwicklung, Arbeitsplätze, Wohlfahrt. Der Lebensstandard wird dadurch erhöht.
Verschiedene Staaten haben natürlich verschiedene Bedürfnisse bezüglich der industriellen Entwicklung. Wenig entwickelte Staaten, falls sie eine schnelle Entwicklung wollen, sollten die Industrie und den Agrarsektor ausbauen. Bereits gut industrialisierten Länder müssen wiederum ihre Industrie wetterfester machen und neue Technologien
einsetzen. Und die entwickelten Länder versuchen jetzt, nachdem die Finanzkrise langsam überwunden wird, eine Re-Industrialisierung. Unsere Organisation kann bei all diesen Problemstellungen Hilfe leisten und den Ländern Unterstützung zuteil werden lassen.
Gibt es international überhaupt noch Platz für die Unido? Man könnte sagen, dass in den vergangenen Jahren einzelne Länder, speziell Ihre Nation, die Industrialisierung speziell in afrikanischen Ländern vorangetrieben hat, indem China dort Fabriken gebaut und Ackerland gekauft hat. Wenn Sie Unido und China vergleichen bezüglich der Entwicklung des sogenannten "Globalen Südens", wo sind da die Unterschiede?
Es gibt sicher ein paar Unterschiede, wie man in einem Land die Industrie entwickelt. In China, seit es sich in den 70ern, 80er Jahren geöffnet hat, haben wir sehr viel von anderen asiatischen Ländern gelernt, etwa den vier Drachen (Taiwan, Südkorea, Singapur und Hongkong, Anm.), ja sogar von Japan. Wir haben gelernt, wie man eine exportgetriebene Industrie entwickelt. Zuerst fängt man mit Fließband-Produktion an, dann mit leichter Industrie und dann wertet man diese Industrien Schritt für Schritt auf, bis man ein hohes industrielles Niveau erreicht hat. Nach dreißig Jahren kann ich Ihnen nun sagen, dass Industrialisierung eine unabdingbare Rolle für die Entwicklung Chinas gespielt hat, nur so konnten wir das hohe Wachstum so lange halten. Das ist ziemlich einzigartig in der internationalen Wirtschaftsgeschichte. Sehen wir uns nun die afrikanischen Länder an: Einige stecken noch in den Kinderschuhen, manche sind schon ein bisschen weiter in ihrer industriellen Entwicklung, einige andere sind schon sehr weit. Diese Länder haben unterschiedliche Bedürfnisse. Unido kann hier eine Vermittlerrolle spielen, China wird in diesem Forum mitmachen, genauso wie die afrikanischen Länder, und es wird so einen Austausch geben, ein Voneinander-Lernen. Wir können es eine "Süd-Süd-Kooperation" nennen.
Eines der Millenniumziele ist auch die Umweltverträglichkeit. Wie realistisch ist eine Industrialisierung, die nicht auch Kohlekraftwerke und somit Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid mit sich bringt?
Jetzt haben Sie natürlich einen empfindlichen Punkt getroffen. Industrialisierung ist, wie eben erwähnt, wichtig. Nachhaltigkeit und der bewusste Umgang mit Ressourcen ist aber ebenso wichtig. Große und kleine Länder stehen jetzt vor denselben Herausforderungen, früher oder später. Es herrscht Konsens darüber, dass wir ökologische Konzepte brauchen. Die Frage ist nur, wie viel Augenmerk man letztlich darauf legt. Das hängt aber auch mit der Entwicklungsphase des Landes zusammen. Aber in der neuen Liste der UN-Entwicklungsziele wird eines der Ziele die Umwelt sein.
Das Unido-Headquarter ist in der Wiener UNO-City. Werden Sie in nächster Zeit in Wien leben?
Als Generalsekretär der Unido kann ich nirgends anders leben. Aber Wien ist eine schöne Stadt. Ich liebe sie.
Wie gut kennen Sie Wien?
Ich war schon vier, fünf Mal in Wien. Die Stadt hat diese reiche Kultur, die Architektur, die Musik - plus den Kaffee! (Lacht.)
Sie waren bis vor kurzem Vize-Finanzminister in China?
Ja, bis Montag, den 24. Juni. Da bin ich von der Unido als neuer Generaldirektor vorgeschlagen worden (am Freitag den 28. Juni wurde seine Wahl bestätigt, Anm.). Mit einem internationalen Job muss man seine nationalen Posten aufgeben.
Chinas Finanzmarkt hat vergangene Woche für internationale Schlagzeilen gesorgt. Die Kurse ratterten hinunter und dann wieder hinauf und haben Schockwellen über die ganze Welt gesendet. Auslöser war, dass China erklärt hatte, die exzessive Geldschwemme einzudämmen und nicht weiter Geld zu drucken. Nach der steilen Abwärtsspirale hat praktisch 24 Stunden später der Vize-Gouverneur der Notenbank in Schanghai erklärt, man werde doch alles tun, um die Zinsen auf einem "vernünftigen Maß" zu halten und man werde den Markt mit genügend Liquidität versorgen. Verstehen Sie, wenn einige internationale Kommentatoren Chinas Wirtschaft eine "Black Box" nennen?
Ich glaube, es gibt sehr viele Ansichten und Meinungen zur chinesischen Wirtschaft. Und ich weiß als Ökonom, dass Ökonomen immer mit Vermutungen arbeiten. Wir sagen typischerweise: "Meine erste Vermutung ist das, meine zweite Vermutung ist jenes, meine dritte Vermutung dieses." Ökonomen ändern ihre Meinungen und Konklusionen je nachdem, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Es ist normal, dass Chinas Aktienmarkt, Chinas Wachstum und Chinas Politik von der internationalen Gemeinschaft diskutiert wird. Es gibt über China gute, mittelprächtige und schlechte Ansichten. Der Aktienmarkt ist Teil des wirtschaftlichen Puzzles. Manchmal hat er geboomt und sich in einem Jahr verdoppelt. Manchmal ist er drastisch nach unten gefallen. Das ist eine Entscheidung des Markts. Ich glaube nicht, dass irgendetwas oder irgendwer den Markt manipulieren kann, und ich glaube, dass die Regierung sich dessen sehr bewusst ist. Mir macht es keine Sorgen, ob der Aktienmarkt gerade nach unten oder nach oben geht. Geldpolitik ist Makroökonomie. Ich selbst war Mitglied des Komitees für Monetäre Politik in China. Wenn es zu viel Liquidität gibt, gibt es Inflation. Das ist ein normales Phänomen. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass die Zentralbank eine der wirtschaftlichen Situation angemessene Entscheidungen fällt. Es wird immer wieder ein Feintuning geben. Die entwickelten Länder machen das ja genauso. Ich habe vollstes Vertrauen in Chinas Wirtschaft, denn die Fundamentaldaten sind gut. Jetzt versucht die Regierung, das Wachstum etwas zu drosseln und stärker auf die sozialen Aspekte und den Binnenkonsum zu fokussieren. Das ist alles gut, wie mir scheint.
Mit der potenziellen Immobilienblase, der möglichen Kreditklemme und der Inflationsbekämpfung, die in China an der Tagesordnung stehen, müssen Sie recht erleichtert sein, jetzt diese Art von Problemen nicht mehr täglich bekämpfen zu müssen.
(Lacht.) In keinem Land kann man sagen, dass so etwas ein leichter Job ist. In China sind wir 1,3 Milliarden Menschen. Das ist ein großes Land. Da müssen die Menschen Nahrung bekommen, mit Jobs versorgt sein, Unterkünfte haben. Wir haben das geschafft. Nun müssen wir uns nicht mehr um Nahrung oder Kleidung Sorgen machen. Jetzt gibt es andere Punkte. Bemerkungen von außen sind hilfreich, weil sie uns manchmal ein Problem verdeutlichen. Ich habe in meiner Zeit immer sehr deutlich den internationalen Einschätzungen gelauscht. Das half mir, einen klaren Kopf zu bekommen. Dank dieser Einschätzungen fokussieren wir jetzt auch auf die Immobilien-Blase, die Einkommensverteilung und auch auf die Umwelt. Das ist jetzt eine nationale Priorität. Vize-Finanzminister zu sein war also ein harter Job, und ich mag Herausforderungen. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass Generalsekretär der Unido ebenfalls ein harter Job ist. Aber ich habe Vertrauen in die Mitgliedsstaaten, dass wir einander helfen. Und ich würde auch gerne eine sehr gute Beziehung mit unserem Gastgeberland, Ihrem Land, aufbauen. Ich werde also nicht nur den harten Job genießen, sondern ich werde auch versuchen, das Leben in Wien zu genießen.