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Seehofer kalmiert bei der Zurückweisung von Asylwerbern an der deutsch-österreichischen Grenze.
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Wien/Berlin. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz und Deutschlands Innenminister Horst Seehofer Mitte Juni zusammentrafen, verfolgten sie ein gemeinsames Ziel: besserer EU-Außengrenzschutz, damit weniger Migranten nach Europa gelangen. Mit Italien sollte eine "Achse der Willigen" gebildet werden. Die historisch unglückliche, da an den Zweiten Weltkrieg gemahnende Formulierung wiederholte Kurz nicht mehr. Und auch die Interessenlage hatte sich binnen drei Wochen verschoben.
Von "sehr schwierigen Gesprächen" ging Seehofer am Donnerstag aus - die "sehr freundschaftliche Atmosphäre" hin oder her. Er legte aber bereits im Vorfeld fest, dass es in der ersten Runde mit Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl keine Abschlüsse geben werde. Thema war der Asylkompromiss zwischen CDU und CSU. Die konservativen Schwesterparteien legten damit ihren erbitterten Streit - vorerst - bei. Die Einigung kann der Wiener Regierung aber nicht behagen. Sieht diese doch vor, dass Personen, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl gestellt haben, dorthin zurückgeschoben werden - sofern es ein Abkommen mit dem Erstaufnahmeland gibt. Besteht dieses nicht, werden sie an der deutsch-österreichischen Grenze abgewiesen - falls wiederum Berlin und Wien darüber Einigung erzielen.
Das reale Problem ist überschaubar. Rund 100 Personen werden monatlich an drei Übergängen aufgegriffen, die Deutschland bereits kontrolliert. Doch nachdem Kurz angekündigt hat, keinen für Österreich nachteiligen Deal zu schließen, ist Seehofer spürbar um Kalmierung bemüht: "Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die es nicht zuständig ist." Damit verkleinert sich der Personenkreis; Österreich ist laut Seehofer nur noch "zuständig" für Menschen, die hierzulande Asyl beantragen, dann in Deutschland einen Antrag stellen.
"Deutschland darf nicht der Dumme sein"
Seehofer kündigte Gespräche mit Griechenland und Italien zur Abschiebung von bereits dort registrieren Asylwerbern an. Ihm zufolge sind drei Viertel der Migranten an der österreichisch-deutschen Grenze über diese beiden Staaten in die EU eingereist. Doch dazu müssten erst einmal Abkommen mit den beiden Ländern geschlossen werden. Mit Griechenland sowie Spanien erzielte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche eine prinzipielle Übereinkunft. Diese muss aber noch ausgehandelt werden. Im Fall von Italien blieb Merkel ohne Erfolg, was ihr Seehofer vor der Einigung zwischen CDU und CSU ankreidete. CSU-Generalsekretär Georg Blume droht bereits Richtung Italien: "Deutschland darf nicht der Dumme sein, wenn sich andere der Kooperation verweigern", sagte er zur "Süddeutschen Zeitung".
In der kommenden Woche soll ein Treffen der Innenminister Kickl und Seehofer mit ihrem italienischen Amtskollegen Matteo Salvini in Innsbruck stattfinden. Dabei soll über Maßnahmen zur Schließung der "Südroute" von Afrika über das Mittelmeer nach Italien gesprochen werden.
Damit wäre die ehemalige "Achse" wieder zurück bei ihrem Kernthema, den Außengrenzen. Nur so kann sie ihre inneren Spannungen kaschieren: Kurz betonte am Donnerstag, solange es keine neue Regelung gebe, gelte die Dublin-Verordnung. Das heißt, Asylverfahren sind in jenem EU-Land durchzuführen, in das Asylwerber zuerst eingereist sind. Italien will Dublin überwinden und fordert Solidarität ein, sprich Aufnahmequoten für Flüchtlinge. Doch von einer derartigen Regelung ist Europa weit entfernt.
Gelingt Seehofer kein Abkommen mit Österreich, wird Österreich seinerseits den Druck weitergeben und seine Grenzen zu Slowenien kontrollieren, vor allem aber den Brenner. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sprach von einem gewollten Domino-Effekt. Für Italien hieße das jedoch eine doppelte Belastung: Personen aus dem Norden kämen wieder zurück. Und aus dem Süden kommen weiterhin Personen, welche die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer in Kauf nehmen - sei es aufgrund von politischer Verfolgung oder auf der Suche nach einem wirtschaftlich besseren Leben. Dieses Jahr kamen bisher knapp 17.000 Migranten an Italiens Küsten an, mehr als 11.000 von ihnen wählten die Route über Libyen. Mit dem nordafrikanischen Land hatte noch die sozialdemokratische Vorgängerregierung ein Abkommen zum Stopp von Booten getroffen. Aus Libyen kamen daher in den ersten sechs Monaten 2018 um 86 Prozent weniger Personen als im Jahr zuvor. Ungeachtet dessen setzt Salvini auf symbolträchtige und öffentlichkeitswirksame Aktionen wie die Ablehnung von NGO-Schiffen mit Asylwerbern. Hier treffen sich die Interessen mit denen Seehofers. Er spricht von einer "echten Asylwende" in Deutschland.
Das ist ein Seitenhieb auf Merkel, fällt aber gleichzeitig auf die CSU zurück. Schließlich war sie als Koalitionspartner maßgeblich daran beteiligt, dass die Migrationspolitik ab 2016 restriktiver wurde. Die CSU redet damit ihre eigenen Erfolge klein.
Zwei weitere Spitzen gegen Merkel setzte Seehofer bei einer Bundestags-Debatte am Donnerstag. Er bemängelte nicht nur die EU-Gipfelergebnisse der Kanzlerin, sondern schob ihr noch eine Aufgabe zu: "Ich gehe davon aus, dass wegen der Komplexität und der europäischen Dimension am Ende die wichtigsten Punkte dieser Vereinbarung von den Regierungschefs fixiert werden müssen", sagte er über die bilateralen Abkommen zur Rücknahme von Asylwerbern. Genau dafür sah Merkel noch tags zuvor Seehofer verantwortlich. Bereits jetzt will niemand für den Misserfolg zuständig sein, sollte es keine Abkommen geben.
Die Kanzlerin traf am Donnerstag Ungarns Premier Viktor Orbán - jenen Mann, zu dem Seehofers CSU einen ausgezeichneten Draht hat, während Merkel infolge des Offenhaltens der Grenzen 2015 mit Orbán aneinandergeriet. Sie habe lange genug hinter einem Zaun gelebt, um jetzt wieder neue Zäune errichten zu lassen, soll Merkel damals gesagt haben. Mittlerweile trägt auch sie den Abschottungskurs der EU-Außengrenzen voll mit. Auf diese bezog sich Orbán bei seinem Besuch in Berlin: Ungarns Grenzpolizisten würden tausende Migranten abweisen, die andernfalls nach Deutschland reisten. Dies sei auch eine Form der Solidarität. Merkel entgegnete: "Wir müssen immer daran denken, dass es um Menschen geht, die zu uns kommen. Das hat etwas mit Europas Grundhaltung zu tun, und das heißt: Humanität."
Durchbruch im Asylstreit
Nach wochenlangem Machtkampf in der Union und Ärger in der deutschen Regierungskoalition haben sich CDU, CSU und SPD indes auf ein Paket gegen illegale Migration und eine Verschärfung der Asylpolitik geeinigt. SPD-Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz erklärten am Donnerstagabend nach einem Koalitionsausschuss in Berlin, man habe sich auf schnellere Asylverfahren verständigt.
Zudem solle ein Einwanderungsgesetz noch heuer durchs Kabinett gebracht werden. Letzteres war eine zentrale SPD-Forderung gewesen. Es werde keine nationalen Alleingänge geben und "keinerlei Lager", betonte Nahles. Vor Beginn des Treffens hatte sie erklärt, dass es einen neuen Vorschlag gebe. Auch Innenminister Seehofer hatte sich optimistisch gezeigt. Bis dahin war es vor allem um die Unionsvorschläge für verschärfte Maßnahmen gegen illegale Migration an der deutsch-österreichischen Grenze gegangen. Bei dem neuen Vorschlag gehe es auch um eine Orientierung an humanitären und solidarischen Grundsätzen, hatte Nahles gesagt. Die SPD hatte im Gegenzug für eine Zustimmung zum Unionsvorschlag unter anderem die rasche Vorlage eines Einwanderungsgesetzes gegen den Fachkräftemangel gefordert. Zudem gab es zuletzt Koalitionsvorschläge zu einer verstärkten Schleierfahndung in ganz Deutschland, um nicht nur in Bayern verschärft gegen illegale Migration vorzugehen und die Verfahren für Rückführungen deutlich zu beschleunigen.
Beim Unionskompromiss geht es vor allem darum, an der deutsch-österreichischen Grenze Migranten abzufangen und zurückzuschicken, die schon in anderen EU-Ländern einen Asylantrag gestellt haben. Seehofer warb am Abend in Berlin für "Transferzentren" an der Grenze zu Österreich. Bisher hatte die Union den Begriff "Transitzentren" genutzt, den die SPD aber abgelehnt hatte.
Diese "Transferzentren" würden in bestehenden Polizeistationen untergebracht. "Da gibt es keinen Stacheldraht oder Ähnliches", sagte der CSU-Chef. Da kämen jeden Tag zwischen zwei und fünf Flüchtlinge an, die spätestens nach 48 Stunden wieder die "totale Freiheit" haben müssten, sie dürften nur eben nicht nach Deutschland einreisen. Es handle sich nicht um "Massenlager", wie teilweise behauptet werde.
Entgegen den Zusicherungen de Seehofers will Deutschland weiterhin Asylbewerber, deren Rücknahme von anderen EU-Staaten verweigert wird, nach Österreich zurückschieben, geht aus dem Einigungspapier von CDU, CSU und SPD hervor. "In den Fällen, in denen sich Länder Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung verweigern, findet die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich statt", heißt es in dem Text.