Zum Hauptinhalt springen

Südseeparadies mit Ablaufdatum?

Von Herbert Hutar

Reflexionen
Bis heute strahlen die Moai, trotz Verwitterung und vieler Besucher, eine souveräne Ruhe aus.
© Hutar

Migrationsprobleme, Verwitterung, Touristenströme: Rapa Nui, die Osterinsel, steht vor einer Reihe von Herausforderungen. - Ein Lokalaugenschein.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sie haben sich sehr laut unterhalten, die beiden untersetzten Damen mit den großen Gesichtern, als sie ihre Plätze im Flugzeug suchten, in einer extrem hart und aggressiv klingenden Sprache, als ob sie Streit hätten. Ihre Gesichter aber waren freundlich, dann lachten sie. Eine der beiden saß in unserer Reihe am Fenster, und bald kam die obligate Frage auf dem Flug nach der abgelegenen Osterinsel. Ja, sie sei von dort, eine Rapa Nui, sagte sie, sie arbeite als Fremdenführerin, und sie sei zu einer kurzen Behandlung im Spital in der Hauptstadt gewesen. Auf der Insel gebe es zu wenige Fachärzte.

Rund fünf Stunden fliegt man von Santiago de Chile nach der Osterinsel, nach Rapa Nui, wie sie die Ureinwohner nennen. Rapa Nui nennen sie sich auch selbst, ebenso wie ihre Sprache. Die rund 40-jährige Südseeinsulanerin neben uns spricht ein perfektes und ungewöhnlich gepflegtes Englisch. Wo sie das gelernt habe? Die Antwort wirft ein Schlaglicht auf das Leben der Rapa Nui:

"Eine amerikanische Archäologin, die bei uns auf der Insel gearbeitet hat, hat mich nach der Grundschule nach Kalifornien mitgenommen, dort habe ich die High School, also die Oberschule, besucht", erzählt Rosita. Dann hat sie ein paar Semester in Chile Tourismus studiert, jetzt arbeitet sie in einer Tourismusagentur. Archäologie und Tourismus sind die Lebensgrundlage der rund 7000 Menschen auf Rapa Nui, neben der Landwirtschaft, die knapp zur Selbstversorgung reicht.

Erinnerung an Heyerdahl

"Und meine Mutter Felicita verkauft Souvenirs", erzählt Rosita weiter, "sie ist schon 84 Jahre alt". Arbeit noch im hohen Alter: Das private chilenische Pensionssystem ist mehr als löchrig, es geht auf den Militärdiktator Pinochet zurück und provoziert immer wieder Massenproteste. Kurzes Nachrechnen: Dann müsste ihre Mutter Mitte 20 gewesen sein, als der norwegische Forscher Thor Heyerdahl mit einem Team von Archäologen 1955/56 auf der Insel war. Hat ihre Mutter Thor Heyerdahl vielleicht gekannt? "Aber ja", bestätigt Rosita, "sie hat mit seiner Tochter Anette gespielt!"

Ein paar Tage später treffen wir die kleine alte Dame an ihrem Souvenirstand bei der Ausgrabungsstätte Akahanga am Westufer der Osterinsel, wo es Höhlen zu sehen gibt, die als Unterschlupf und Versteck ebenso dienten wie als Kultstätten. "Das war eigentlich meine schönste Zeit", meint sie auf unsere Frage nach damals. "Ich war gerade mit meiner ersten Tochter schwanger, meine Mutter hat Arbeit als Wäscherin bekommen, und wir konnten uns eine Menge Sachen kaufen. Die Tochter habe ich dann Anette genannt, wie die Tochter von Thor Heyerdahl." Und sie fügt mit einem Lächeln hinzu: "Einer seiner Matrosen hat ein Baby bei uns hinterlassen, ein Mädchen. Sie ist dann Bürgermeisterin von Rapa Nui geworden."

Die Insel wurde zu Ostern 1722 vom niederländischen Seefahrer Jacob Roggeveen entdeckt, daher der Name. James Cook folgte 50 Jahre später, hat sich aber wenig beeindruckt gezeigt. Wer heute die Osterinsel besucht, kommt wegen der weltweit einzigartigen großen schwarzen Skulpturen, die wie zufällig verteilt herumstehen. Mit den langgezogenen Köpfen und dem gleichmütigen Gesichtsausdruck strahlen sie eine souveräne Ruhe aus. Diese Moai, so viel steht fest, sind Bestandteil des Ahnenkults auf der Insel gewesen. Erfolgreiche Anführer einer Großfamilie wurden nach ihrem Tod mit einer Statue verewigt.

Die Blickrichtung des Moai war auf das Dorf zu dessen Schutz gerichtet. Bei einer Fehde zwischen den Clans wurde der gegnerische Moai umgestürzt, und zwar auf das Gesicht. Seine Augen konnten so das Dorf nicht mehr schützen, glaubten die Rapa Nui. Schätzungsweise seit dem 18. Jahrhundert wurden keine Moai mehr hergestellt, warum, ist unklar.

Thor Heyerdahl, "Señor Kon Tiki", wie er sich gerne nennen ließ, sah 1955 seine wissenschaftliche Lieblingsidee bestätigt: Ein paar Mauern mit Plattformen obendrauf, auf denen die Moai stehen, gleichen frappant Mauern der Inka-Kultur in Peru, haben dieselben fugenlosen Strukturen aus großen Steinblöcken. Also meinte Heyerdahl, der sich 1947 auf dem Floß Kon Tiki von Südamerika nach Ozeanien treiben ließ, auch die Kultur der Osterinsel müsse denselben Weg genommen haben. Eine These, die sich als nicht haltbar erwies, die Osterinsel wurde aus der Gegenrichtung, aus Ozeanien, besiedelt, hat sich herausgestellt. Trotzdem hat Heyerdahl Erstaunliches zutage befördert:

Viele der großen Tuffsteinskulpturen lagen auf dem Rücken oder mit dem Gesicht nach unten. Heyerdahl hat im Experiment an Ort und Stelle nachgewiesen, dass zwölf Mann mit drei Holzstangen und allmählich immer mehr untergelegten Steinen eine viele Tonnen schwere Statue in 18 Tagen senkrecht aufrichten konnten. Auch den Transport der Steinriesen über die Insel hinweg konnte er nachstellen. Dafür waren allerdings hunderte Arbeitskräfte nötig.

12 Monate für einen Moai

Am eindrucksvollsten war sicher Heyerdahls Versuch, einen Moai neu aus dem Berg herauszuschlagen. Obwohl die Rapa Nui in der Vergangenheit nahezu ausgerottet wurden, hat sich dennoch das nötige Wissen bis in unsere Zeit erhalten. Thor Heyerdahl beschreibt das Ritual am Abend vor Beginn der Arbeit: "Wir hörten ein rhythmisches Stampfen auf dem Grasboden. Wir sahen eine Gruppe kauernder Gestalten. Mit Kriegskeulen, Paddeln und Steinäxten trommelten sie auf den Boden. Die Melodie dazu klang wie ein Gruß aus einer verschwundenen Welt. Eine einzelne, grotesk schrille Stimme hob sich eigenartig aus dem rauen Männerchor heraus."

Auch die Arbeit selbst am nächsten Morgen unterlag einem strengen Ritual: "Jetzt hielt jeder sein Steinbeil wie einen Dolch in der bloßen Faust, und es erklang wieder jenes merkwürdige Lied. Alle erhoben den Arm und klopften im Takt der Melodie gegen die Bergwand. Sie lachten, sie sangen und hämmerten. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten erschollen wieder Beilhiebe im Rano Raraku", schreibt Heyerdahl. Rano Raraku ist der Steinbruch im Norden, in dem die Statuen aus dem Berg geschlagen wurden. Nach einigen Tagen ließ er die Arbeit einstellen. Er und seine Archäologen hatten die Dauer der Herstellung mit zwölf Monaten richtig berechnet.

Das erstaunlich lange Gedächtnis der Rapa Nui zeigt sich auch an einer anderen Begebenheit: Sie weigerten sich strikt, auch nur einen Strich ins Gästebuch an Bord von Heyerdahls Expeditionsschiff zu malen. Der Grund liegt lange zurück: Zu Weihnachten 1862 ankerten peruanische Sklavenjäger vor der Osterinsel, und die Inselbewohner "durften" Kringel an Bord der Schiffe in ein Buch malen. "Damit hatten die Unglücklichen einen Kontrakt als Arbeiter auf den Guanoinseln vor Peru unterzeichnet", schreibt Heyerdahl.

In der Folge wurden die Rapa Nui systematisch deportiert und versklavt, ist bei den beiden Autoren Andreas Mieth und Hans-Rudolf Bork in "Die Osterinsel" aktuell zu lesen. Die Bevölkerung von mehr als 4000 Menschen sank in zwei Jahren auf rund 1700. Als einige Menschen aus der Sklaverei zurückkehrten, schleppten sie die Pocken ein, später brachten Europäer die Tuberkulose mit. Etwas mehr als 100 Einwohner blieben übrig. Nur allmählich erholte sich die Inselbevölkerung, auch durch Zuwanderung.

Nachdem Chile die Osterinsel 1888 durch Betrug de facto annektiert hatte, wurde sie durch Pachtverträge mit Privaten zu einer einzigen, 160 Quadratkilometer großen Schaffarm. Die einheimische Bevölkerung wurde im Hauptort Hanga Roa zusammengepfercht. "Ihr in Europa nennt das Ghetto", sagt ein Rapa Nui mit einem Schuss Bitterkeit zu uns Besuchern. Noch heute leben mehr als 90 Prozent der Menschen in Hanga Roa, nur wenige in den grünen Hügeln der Umgebung.

Das Misstrauen der Rapa Nui gegenüber der Regierung in San-tiago de Chile ist allgegenwärtig, obwohl sich in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren gewendet hat. Seit 1967 gibt es einen Flughafen, Voraussetzung für den umfangreichen Tourismus. Ausgerechnet der berüchtigte Diktator Augusto Pinochet hat den "Pasqueros", wie die Bewohner der Osterinsel auch heißen, das volle Bürgerrecht verliehen. Bis dahin herrschte Kriegsrecht.

Unsichere Zukunft

Bis heute sind restriktive Gesetze zum Grunderwerb gegen Spekulanten und Großinvestoren wirksam. Trotzdem ist auf einem Transparent zu lesen: "Der Rapa Nui Ozean wird nicht verkauft! Mr. Trump go home!" - Was es damit auf sich habe, fragen wir unsere Führerin. Sie zeigt auf den wenige hundert Meter langen Sandstrand am Nordufer der Insel, wo sechs imposante Moai-Statuen in einer Reihe nebeneinander ins Land hineinblicken: "Das hier ist der einzige Strand auf der ganzen Insel", erklärt sie, "sonst gibt es nur schwarze Basaltklippen. Es gibt Gerüchte über Pläne für eine riesige Hotelanlage. Damit wäre die Bucht zerstört. Und ein großer Hafen für Kreuzfahrtschiffe soll dazukommen. Eine Katastrophe."

Amerikaner haben nach wie vor großen Einfluss in Chile, und - so die Befürchtung - nicht immer zum Segen des Landes und der Insel. Der Tourismus sorgt zwar derzeit für Wohlstand, aber die Zukunft der Moai und der Petroglyphen, Hauptattraktionen der Südseeinsel, ist unsicher. Der Tuffstein verwittert und wird von den Hufen der mehr als 5000 frei umherlaufenden Pferde beschädigt. Restauration und Konservierung sind erst im Versuchsstadium, ein durchgreifendes Zukunftskonzept fehlt. Dazu kommt: In der Hochsaison, also zwischen Dezember und März, wird die Osterinsel von Touristen nahezu überrannt. "Gut wären Touristenkontingente wie auf den Galapagos-Inseln", meint die junge Fremdenführerin Elisa.

Für großen Unmut sorgt die Zuwanderung vom Festland. Die einheimischen Rapa Nui sind mit 30 Prozent deutlich in der Minderheit. Chile hat seit Mitte Dezember mit Sebastian Piñera einen neuen alten Präsidenten. Der hat schon 2011 in seiner ersten Amtszeit nach heftigen Protesten der Einwohner über ein neues Migrationsgesetz für die Osterinsel verhandelt. Ob er den Rapa Nui nun entgegenkommt oder ob es zu neuen Protesten kommen wird, weiß derzeit niemand.