Wirtschaftsagentur Wien befragte Wiens Start-up-Landschaft und fand mehr privates Risikokapital als angenommen wurde.
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Wien. Die Landkarte, wo Wien als nennenswerte Start-up-City eingezeichnet ist, gibt es nicht. Der häufig genannte Grund dafür, liegt im fehlenden privaten Risikokapital (garantiefreie Investition von Geldgebern, Anm.) für Jungunternehmer. Im Vergleich zu anderen Städten ist dieses in Wien sehr niedrig. Zuletzt wurde es von einer EU-Studie mit 50 Millionen Euro pro Jahr für ganz Österreich beziffert.
Trotz der vielen Gründungen in Wien pro Jahr gibt es vor allem bei der Finanzierung ab einer Million Euro "eine große Lücke", sagt Philipp Kinsky, Anwalt und selbst Business Angel. Er hat gemeinsam mit der Wirtschaftsagentur Daten gesammelt, die vom IHS (Institut für Höhere Studien) und dem deutschen Start-up-Experten Thomas Funke analysiert wurden.
Das Ergebnis wirft ein neues Licht in die Gründer-Landschaft. Insgesamt wurden 500 Firmen kontaktiert, 211 haben konkrete Daten über ihre Investments geliefert. In 142 Start-ups steckte privates Risikokapital in der Höhe von rund 800 Millionen Euro in vier Jahren (2010 bis 2014). "Das sind immerhin im Durchschnitt 160 Millionen Euro pro Jahr", so Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien.
Private stecken 160 Millionen Euro jährlich in Start-ups
Mehr als gedacht floss in die Unternehmen. Kinsky zeigte sich überrascht. Er schätzt die Dunkelziffer jedoch doppelt so hoch ein. Er geht von rund 320 Millionen Euro privates Risikokapital aus. Das IHS geht in einer vorsichtigen Hochrechnung von knapp 900 Millionen Euro Gesamt-Privatinvestitionen pro Jahr aus.
Die Diskrepanz zwischen internationalen Hochrechnungen und den hauseigenen Zahlen erklärt Kinsky damit, dass Erstere oft auf unvollständigen Daten und Schätzungen beruhen würden. Viele Start-ups würden Zahlen nämlich nicht gerne herausgeben. An Infos komme man nur, wenn man Zugang zu den Szene-Netzwerken habe - was hier der Fall gewesen sei. "Die Hälfte der Start-ups geben keine Informationen über ihre Investments, dh die Dunkelziffer ist groß", bestätigt auch Thomas Funke der "Wiener Zeitung".
Laut Kinsky, der selbst in vier Start-ups investiert, kam mehr als die Hälfte der Summe von inländischen Kapitalgebern. Allerdings kämen die Investitionen ab einer Million Euro dann doch überwiegend aus dem Ausland.
Dass rund ein Drittel der Jungbetriebe, die an der Studie teilgenommen haben, keine privaten Gelder bekommen haben, begründet der Anwalt damit, dass einige Gründer selbst schon viel Geld für die Firma mitbringen, diese dann verkaufen und dann wiederum investieren.
Die Investitionen umfassen privates Risikokapital, auch Crowdfunding, Exits (Firmenverkäufe) oder Venture Capital (Investition von Eigenkapital plus Unternehmensbeteiligung). Derzeit gibt es in Wien rund 2500 Start-ups und rund 250 Investoren. Die Anzahl der "Super-Angels", die hauptberuflich in Start-ups investieren, liege bei rund 15 in Wien. Für die vielen Business Angels und Invstoren ist das Geschäft ein oft lukrativer Nebenjob.
"Wir haben gespürt, dass das nicht wirklich stimmen kann"
Dass Ernst & Young für 2014 lediglich 25 Millionen Euro Risikokapital berechnet hat und die genannte EU-Studie von 50 Millionen Euro für das ganze Land ausgeht, ließ Hirczi nicht gelten. "Wir haben gespürt, dass das nicht wirklich stimmen kann, wollten aber das Gefühl durch Wissen ersetzen", sagt er. Mit 542 Millionen Euro floss ein Großteil des Geldes in die Wiener Life Sciences (Biowissenschaften). Ein zweiter großer Brocken (190 Millionen Euro) ging in den Bereich IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie). Die restlichen 60 Millionen teilten sich Dienstleistung und Produktion.
Die befragten Firmen waren nicht älter als sieben Jahre und hatten ein Finanzierungsvolumen von mindestens 50.000 Euro pro Finanzierungsrunde. Mehr als die Hälfte der Unternehmen haben mehr als zwei Business Angels, die ihnen unter die Arme greifen. Das IHS stellte einen Fokus auf die innerstädtischen Bezirke 1 bis 7 sowie 15 fest. Thematische Cluster bestehen vor allem in den Bereichen Dienstleistungen und Kreativwirtschaft im 7. Der Bereich Life Scienes konzentriert sich vor allem im 3. Bezirk (Vienna Bio Center), im 18. und 19. Bezirk (Boku) sowie im 21. Bezirk (die VetMed).
Öffentliche Förderungen als Referenz für Investoren
Wie viele öffentlichen Förderungen an die 500 angeschriebenen Unternehmen geflossen sind, werde derzeit eruiert, so Hirczi. Fest steht, dass städtische Finanzspritzen insofern von hoher Bedeutung seien, als sie eine Hebelfunktion für Risikokapital hätten. "Denn das heißt, dass man sich bei diesen Projekten schon die Qualität angeschaut hat", ergänzte Anwalt Kinsky.
Wiens privates Risikokapital für Start-ups mit anderen Städten zu vergleichen, ist laut Funke schwierig. "Ich finde die absolute Zahl wenig aussagekräftig für einen internationalen Vergleich. In Berlin wurde im Jahr 2014 allein in Delivery Hero 550 Millionen Euro investiert. Das ist ein Ausreißer, aber nicht die Norm", so Funke. Allgemein sieht er Wien positiv. Die Lage sei deutlich besser als noch vor fünf Jahren. "Es hat sich in einigen Bereichen deutlich etwas weiterentwickelt." Aber es sei immer noch viel Luft nach oben. Im Vergleich zu Berlin würden Wien jedoch drei bis vier Jahre Entwicklungszeit fehlen.