Österreich propagiert im Ausland die duale Lehrlingsausbildung - aber es gibt Probleme.
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Wien. Die österreichische Lehrlingsausbildungsoll ein Exportschlager werden, wenn es nach Sozialminister Rudolf Hundstorfer geht. In Griechenland, Spanien, Frankreich und Kroatien könnte Österreich bei der Errichtung von Modellregionen für eine duale Lehrausbildung (Ausbildung in Betrieb/Lehrwerkstätte und Berufsschule) behilflich sein. Und am Mittwoch hat Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl in Serbien das österreichische Lehrlingsausbildungssystem propagiert und Hilfe angeboten.
In Österreich scheint die Lehre allerdings auf dem absteigenden Ast zu sein. Egon Blum, er war von 2003 bis 2008 Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung, kritisiert in der "Wiener Zeitung" mangelnde Qualitätsstandards bei der Lehrausbildung. "Man muss sich nicht wundern, dass Eltern skeptisch sind, wenn zwischen Ausbildungsbeginn und -ende kein einziges Mal überprüft wird, ob das Gelehrte auch angekommen ist", sagt Blum. "Wir haben ein gutes System, das bröckelt aber an allen Ecken und Enden."
Die Arbeitslosenzahlen vom Jänner zeigen, dass für 5500 Lehrstellensuchende nur 2500 Lehrstellen angeboten werden. Es klafft also eine Lücke von 3000 Lehrstellen. Diese Zahlen seien trügerisch, sagt Alfred Freundlinger, Experte für duale Ausbildung in der bildungspolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer. Tatsächlich hätten viele Betriebe Schwierigkeiten, Lehrlinge zu finden. Er macht für die sinkenden Lehrlingszahlen allgemein den Trend zu höherer Bildung mitverantwortlich. Verstärkt würden Jugendliche eine weiterführende Schule, etwa eine HTL oder eine Handelsakademie oder Handelsschule, besuchen. "Dieser Trend zu höherer Bildung geht deutlich zulasten der Lehrlingsausbildung", sagt Freundlinger.
Es fehlt an Kulturtechniken
Ende 2013 waren 111.400 Lehrlinge in Betrieben und 9180 Lehrlinge in überbetrieblichen Ausbildungsstätten - insgesamt sind also 120.580 Jugendliche in einer Lehre. Egon Blum kritisiert, dass die Zahl der Lehrlinge seit 2008 um 17.000 zurückgegangen ist, nur rund 13.500 lassen sich aber durch die demografische Entwicklung erklären. Schuld dafür sei unter anderem das mangelnde Ausbildungsvermögen der Jugendlichen, die teilweise die Kulturtechniken nicht mehr beherrschen würden. Die Deutsch- und Rechenkenntnisse seien früher vielleicht auch nicht besser gewesen, aber heute seien die Anforderungen höher, sagt Blum. "Wir brauchen dringend Ganztagsschulen, um diese Defizite auszugleichen."
Es mangelt an Qualität
Die betriebliche Ausbildung leide an Attraktivität. Hier rät Blum dazu, anstatt überbetriebliche Ausbildungsstätten zu fördern, mehr in die Betriebe zu geben. Das sei unwesentlich teurer, bringe aber mehr. 2008 habe es noch 40.000 Ausbildungsbetriebe gegeben, jetzt seien es schon um 5000 weniger und der Rückgang gehe weiter. Wichtig sind aber Qualitätsstandards für die Lehre und die Lehrausbildner. Wenn die Ausbildung nicht in Abständen kontrolliert werde, könne sie auch nicht verbessert werden. Das Resultat sei: "Wir haben viele gute Ausbildungsbetriebe, aber wir haben zu viele Betriebe, die schlecht ausbilden."
In Österreich muss pro ausbildenden Betrieb mindestens eine Person die Ausbilderqualifikation nachweisen. Lorenz Lassing, Experte für duale Ausbildung am Institut für höhere Studien, kritisiert, dass diese Lehrlingsausbilder im Betrieb aber nicht unbedingt die Person ist, die ausbildet, es handle sich um eine rein formale Anforderung an den Betrieb. Außerdem reichten in Österreich Kurse mit 1,5 bis 6 ECTS-Punkten, in der Schweiz werde eine drei- bis zehnfache Punkteanzahl für einen Ausbilder gefordert. Auch Blum merkt kritisch an, dass in der internationalen Debatte Österreich deshalb so gut davon komme, weil die Schweiz eben kein EU-Land sei und daher auf diese bei Vergleichen häufig vergessen werde. Freundlinger bescheinigt dem dualen Ausbildungssystem grundsätzlich "viel Potenzial". Aber es sei nicht das Allheilmittel gegen hohe Jugendarbeitslosigkeit, wie das auf europäischere Ebene manchmal vermittelt werde. Dafür gebe es viele andere Faktoren.
Der große Vorteil der dualen Ausbildung sei die Praxis während der Ausbildung. Die Hürde, dass viele Betriebe eine Berufserfahrung verlangen, werde hier ausgeschaltet.
Image der Facharbeiter
Einen weiteren Grund für den Lehrlingsmangel sieht Blum im schlechten Image der Facharbeiter. Hier müsse dringend nachgebessert werden. Er fordert, endlich eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten umzusetzen. Eine Trennung, die im Ausland kaum noch verstanden wird.
Die Lehre mit Matura sei ein sehr gutes System, um hier eine Gegenbewegung zu schaffen, sagt Blum, warnt aber gleichzeitig davor, dass nicht die Botschaft vermittelt werde: "Nur, wenn du Matura hast, bist du etwas wert." 1267 Lehrlinge haben in diesem System die Matura bereits abgelegt, derzeit sind 11.061 Lehrlinge im Maturaprogramm.
Österreich brauche dringend Facharbeiter, diese seien für die Wertschöpfung im Land verantwortlich. "Wir brauchen Fachkräfte, die eine Idee zum Produkt machen", sagt Blum. Es müsse eine ausgeglichene Qualifikationskultur zwischen Theoretikern und Praktikern geben.