Die Prophezeiungen vom Niedergang der USA haben sich bisher stets als falsch erwiesen. Ein ums andere Mal gelang es der westlichen Führungsmacht, sich am eigenen Schopf - und im Bedarfsfall auch mithilfe eines mehr als billigen Dollars - aus dem Schlamassel zu ziehen.
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Doch das Tief, in dem die USA so hartnäckig stecken, ist aus anderem Holz geschnitzt. Mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Sieg im Kalten Krieg sind sie in eine tiefe Sinnkrise gestürzt. Das Land ist tief gespalten - keine Rede mehr vom so lange erfolgreichen Melting Pot, der Immigranten jeden Glaubens und jeder Hautfarbe zu waschechten Amerikanern formt - und wirtschaftlich am Boden.
Die Midterm-Wahlen werden daran wohl nicht nur nichts ändern, sondern die Lage noch verschärfen. Die beiden großen Parteien des Landes haben sich radikalisiert. Eifrige Handlanger haben sie in einer Medienöffentlichkeit gefunden, der es in erster Linie darum geht, den politischen Gegner verächtlich zu machen. Zwischen Republikanern und Demokraten gibt es dabei allenfalls graduelle Unterschiede, keine grundsätzlichen. Was den einen die "Witzfigur" George W. Bush war, ist den anderen nun der "Kommunist" Barack Obama.
Die Medien haben diese völlig aus dem Ruder gelaufene Polarisierung kräftig geschürt. Statt Nachrichten werden immer häufiger nur noch Meinungen verbreitet - und die allesamt stramm auf Linie. Trendsetter bei diesem traurigen Niedergang des einst stolzen US-Journalismus war der konservative Nachrichtensender Fox News; andere, auch liberale, sind längst dabei, ebenfalls auf diesen Weg des Meinungsjournalismus einzuschwenken.
Spätestens nach Vorliegen der Wahlergebnisse wird Obama wohl endgültig vom politischen Heilsbringer zum normalen Sterblichen an der Spitze der USA reduziert sein. Für den Präsidenten muss das nicht unbedingt ein Nachteil sein. Mit all den unrealistischen Erwartungen und Ansprüchen wäre es dann zumindest endlich vorbei. Und es böte sich die Chance für einen Neustart, der die Selbstblockade der US-Politik überwinden könnte. Aber dafür braucht es stets zwei Partner. Den USA und dem Rest der freien Welt wäre es zu wünschen. Die Zweifel allerdings überwiegen.