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Supermärkte sollen fair handeln

Von Andrea Möchel

Wirtschaft
© Kwangmoo/Fotolia

Eine neue EU-Regelung will Lebensmittelproduzenten vor übermächtigen Handelsketten schützen.


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Brüssel/Wien. "Es ist Zeit, den Bauern einen fairen Anteil des Kuchens zu geben - mit fairen Einkommen und einer besseren Verhandlungsposition." Mit diesen Worten hat EU-Agrarkommissar Phil Hogan, Sohn irischer Bauern, eine EU-Regelung gegen unfaire Handelspraktiken im Lebensmitteleinzelhandel angekündigt. Und er macht deutlich, warum Brüssel im Frühjahr 2018 die Sache in die Hand nehmen wird: "Selbstregulierungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken haben bisher nur zu unzureichenden Ergebnissen geführt", lautet der Vorwurf des EU-Kommissars. Von einem "Krieg der EU gegen die Supermärkte" ist seither die Rede. Doch was steckt wirklich dahinter?

Fakt ist, dass Europas Landwirte ihre Produkte dank einer stetigen Marktkonzentration an immer weniger große Händler verkaufen müssen. Dass die daraus resultierende Abhängigkeit der Produzenten zu unfairen Handelspraktiken führt, hat das Europäische Parlament bereits 2016 festgestellt und die Kommission zum Handeln aufgefordert.

Angst vor Auslistung

In der Österreichischen Landwirtschaftskammer (LKÖ) wird die angekündigte EU-Regelung begrüßt. "Nicht primär, weil damit alle Probleme gelöst wären, sondern weil ein politisch-rechtliches Signal gesetzt wird, dass unfaire Handelspraktiken kein Kavaliersdelikt sind, und die rechtliche Landschaft in den Mitgliedstaaten harmonisiert würde", sagt Christian Jochum, Experte für Marktpolitik in der LKÖ. Derzeit hätten die meisten Mitgliedstaaten ähnliche nationale Regelungen wie Österreich, mit Gesetzen gegen unlauteren Wettbewerb und einem Kartellrecht mit Regelungen bezüglich des "Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung". "Die sind aber oft zahnlos", so Jochum. "Mit einer EU-Rahmenregelung würden solche nationalen Regelungen mehr Gewicht bekommen."

Es gibt aber auch EU-Staaten, die im Kampf um mehr Fairness schon weiter sind. "Seit 2013 gibt es die freiwillige ,SupplyCha!nge Initiative‘ der EU, die sich der Problematik unfairer Handelspraktiken annimmt", erklärt Martin Wildenberg von Global 2000 "Während einige Länder wie Ungarn, Slowakei oder Tschechien detaillierte gesetzliche Regelwerke geschaffen haben, berufen sich Deutschland und Österreich auf existierende allgemeine Rechtsvorschriften." Die Umweltorganisation fordert hingegen Regelungen, die Betroffenen ermöglichen sollen, unlautere Handelspraktiken anonym zur Anzeige zu bringen. "Das Problem ist die faktische Abhängigkeit der Produzenten. Sie befürchten, dass sich Beschwerden bei ihren Handelspartnern herumsprechen, sie als renitent gelten und ihre Produkte ausgelistet werden", sagt Wildenberg.

Druck von allen Seiten

Die angeprangerten unfairen Praktiken reichen unter anderem von Gebühren für die Listung und/oder ausreichend Regalplatz, über nachträgliche Vertragsänderungen, unilaterale Preissenkungen, bis hin zu verschleppten Zahlungen. Erschwert wird die Situation der österreichischen Produzenten auch dadurch, dass sich die drei größten Lebensmittelhändler - Rewe-Gruppe, Spar-Gruppe und Hofer - fast 90 Prozent Marktanteil teilen.

"Auch in Österreich kommen solche Praktiken durch das ‚Recht des Stärkeren‘ immer wieder vor", bestätigt LKÖ-Experte Jochum. "Es gibt aber auch österreichische Besonderheiten wie zum Beispiel Qualitätsmaßnahmen, die den Landwirten aufoktroyiert werden." So würden etwa Nachhaltigkeitsprogramme derart unterschiedlich konzipiert, dass ein Produzent trotz bester Produktqualität sein Gemüse nur an einen Abnehmer liefern kann, weil er nur dessen spezielle Auflagen erfüllen kann. "De facto ist es ein Missbrauch von Marktmacht", beklagt Jochum.

Die Lobbyverbände des europäischen Lebensmitteleinzelhandels fühlen sich zu Unrecht ins Visier genommen. "95 Prozent der Einkäufe der Supermärkte kommen von großen verarbeitenden Unternehmen wie Nestlé und Danone und nicht direkt von den Produzenten", kontert Neil McMillan, Geschäftsführer des europäischen Lobbyverbands (EuroCommerce).

Ein Argument, das Martin Wildenberg nicht gelten lässt: "Starke Konzentration im Handel bedeutet, dass Zulieferer in ihrem wirtschaftlichen Überleben von sehr wenigen Akteuren abhängig sind. Das gilt, wenn sie an den Lebensmitteleinzelhandel direkt liefern, aber auch für Landwirte, die Rohstoffe an verarbeitende Betriebe wie Molkereien verkaufen. Die Interaktion zwischen Lieferant und Händler ist dann zwar nur noch indirekt, aber der wirtschaftliche Druck wird im Normalfall über die Lieferkette weitergegeben."

Ein Befund, den LKÖ-Experte Jochum teilt: "Die Praxis zeigt, dass diese Zwischenebene in der Regel ohne größeren Widerstand Auflagen und Nachteile durch den Lebensmitteleinzelhandel 1:1 an die nächste Ebene weiterreicht, bis sie schließlich beim Bauern landen."

Direktvermarktung

Die Landwirtschaftskammer fordert daher ein umfassendes Problembewusstsein für Fairplay im Umgang mit Lieferanten. Jochum: "Wenn nur die Starken, sprich Brutalen, überleben, gibt es nur noch Große. Die österreichische Lebensmittelwirtschaft lebt jedoch von den kleinen und mittleren Strukturen, in der Urproduktion ebenso wie in der Verarbeitung. Dabei geht es um die Erhaltung der Landschaften und der ländlichen Regionen, also um das, was so typisch für Österreich ist."

Auch bei Global 2000 fürchtet man um die Existenz der kleineren und mittleren Betriebe. Ein Ausweg aus der Abhängigkeit könnte die Direktvermarktung sein, glaubt Wildenberg: "In Zukunft wird es für die Landwirtschaft wichtig sein alternative Vertriebswege zu finden, wie Ab-Hof-Verkauf, Bio-Kisten oder Food-Coops."

Infos zum SupplyCha!nge Projekt: www.global2000.at/faire-lebensmittel