"Wir haben hier nicht nur kriegsähnliche Zustände, Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat." So sprach die Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Weihnachtsbesuch vor deutschen Nato-Soldaten in Afghanistan. Also Schluss mit den semantischen Kapriolen ihres Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Dieser befand im November 2009, dass "in Teilen Afghanistans fraglos kriegsähnliche Zustände" herrschten. Im April 2010 gab er zu, man könne "umgangssprachlich von Krieg reden", obschon Kriege nur zwischen Staaten geführt würden. Zu Allerseelen sprach er unbeschönigt von "Krieg".
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Das Völkerrecht definiert Krieg als Konflikt zwischen Staaten. Aber niemand bekriegt Afghanistan. Also Bürgerkrieg in Afghanistan? Auch nicht, denn es kämpfen nicht Bürger oder Volksgruppen gegen einander, sondern reguläre Truppen gegen irreguläre (Taliban und Al Kaida). Der Unterschied zwischen "kriegsähnlich" und "Krieg" ist für die zivilen Opfer unsinnige Haarspalterei. Realpolitik tickt aber anders.
Elf Tage nach den Terrorangriffen auf New York und Washington am 9. September 2001 erklärte US-Präsident George W. Bush dem Terrorismus weltweit den Krieg, der nicht enden werde, "bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist". Seine Kriegserklärung stützte er auf das Urteil des Weltsicherheitsrats, der "bewaffnete Angriff auf die USA" bedrohe den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Obwohl kein Staat die USA angegriffen hatte und Bush daher keinem Staat den Krieg erklärte.
Folgerichtig verlief in Afghanistan der Krieg gegen irreguläre Truppen genauso, wie es der erfolgreiche Guerillastratege Lawrence von Arabien vor 80 Jahren beschrieben hatte: "Mühsam wie das Auslöffeln einer Suppe mit der Gabel."
US-Präsident Barack Obama bestätigte soeben diesen Befund: Zwar gebe es in Afghanistan "erhebliche Fortschritte", aber die Terroristen seien noch längst nicht besiegt. Deutlicher bewertet der Rotkreuz-Chef für Afghanistan, Reto Stocker, die Lage: "Der Konflikt ist jetzt in seinem zehnten Jahr. Er breitet sich aus, und kein Ende ist in Sicht."
2001 zog Bush mit einigen Nato-Alliierten in den Krieg zum "Schutz der Demokratie am Hindukusch". 2170 gefallene Nato-Soldaten, zehntausende afghanische Opfer und jährliche Kriegskosten im Ausmaß von sieben österreichischen Budgets später hat die "geschützte" Demokratie am Hindukusch die von Präsident Hamid Karzai gefälschten Wahlen erlebt. Er pokert pseudogeheim mit den Taliban über die Verteilung von Macht und Pfründen nach dem Abzug der Nato. Und ungerührt hörte er sich Merkels Vorwurf an, dass die zivile Aufbauhilfe in Korruption versande.
"Der Soldat beherrscht nur, worauf er sein Gewehr richten kann." Aus diesen Lehrsatz des Lawrence von Arabien ziehen USA und Nato nun die Konsequenzen: eine "Exit Strategy", die 2011 beginnen und 2014 enden wird.
Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".