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Sutjagin, der menschliche Schutzschild

Von Alexander U. Mathé

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Stanislaw Sutjagin, erfolgreich mit Youtube (Screenshot).

Die Moskauer Polizei setzt Autofahrer zu Blockadezwecken ein. Ein junger Russe hat per Internet dagegen protestiert und damit aus dem Fall ein Politikum gemacht.


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Stanislaw Sutjagin ist ein Held Russlands - obwohl er das nie sein wollte. Ohne, dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Tages auf dem Moskauer Autobahnring von der Polizei angehalten. Die Beamten wiesen ihn an, auf der Hauptverkehrsader gemeinsam mit anderen Autos eine Blockade zu errichten. Warum, erfuhr er nicht, und auch das Aussteigen war ihm nicht gestattet.

Dennoch sollte er innerhalb weniger Minuten den Grund für die Anweisungen erkennen, und zwar in Form eines Audis, der mit einem Höllentempo auf ihn zuraste. Darin saß - wie Sutjagin später erfahren sollte - ein flüchtiger Räuber. Der Audi durchbrach die Blockade und rammte dabei Sutjagins Auto. Der kam mit dem Schrecken davon, Verletzungen erlitt er keine.

Kräftig durchgeschüttelt, fragte er die Polizisten, wer ihm denn den Schaden an seinem Auto erstatten werde. Doch die gingen in diesem Fall offenbar von einem Erfolgshonorar aus: Da der Täter nicht geschnappt worden sei, werde ihm auch die Reparatur seines Wagens nicht bezahlt.

Als Sutjagin nach Hause kam, war er empört. Nicht nur wegen des Schadens an seinem Auto, sondern auch, weil ihm die Ungeheuerlichkeit der Aktion immer mehr bewusst wurde. Eines der demolierten Autos hatte einem Mann gehört, der mit seiner schwangeren Frau gerade auf dem Weg ins Krankenhaus war. Was, wenn der bewaffnete Räuber tatsächlich stehen geblieben wäre und die unfreiwilligen Helfer mitten in einen Schusswechsel geraten wären? Angesichts seiner Machtlosigkeit vor den Behörden machte er seinem Unmut in einem Video Luft, das er auf die Internet-Plattform Youtube stellte. Das ist in Russland ein zunehmend effektives Mittel des Protest einer Bevölkerung, die nicht länger willens ist, Ungerechtigkeiten schweigend zu ertragen.

"Sind unsere Leben im russischen Staat wirklich wertlos?", fragte er darin, und erzählte mit gesenktem Blick und leiser Stimme seine Geschichte. Die Stimme sollte innerhalb kurzer Zeit sogar bei Präsident Dmitrij Medwedew Gehör finden. Das Video verbreitete sich wie ein Lauffeuer, die Medien nahmen das Thema auf und Innenminister Raschid Nurgalijew geriet zusehend unter Druck, denn die Polizei war in der Vergangenheit schon öfter wegen Machtmissbrauchs in die Schlagzeilen geraten. Einer Umfrage zufolge halten 81 Prozent der Russen die Gesetzlosigkeit der Exekutive für eine ernstes Problem.

Mitglieder des russischen Unterhauses forderten eine Erklärung von der Polizei. Schließlich ließ Präsident Medwedew den Fall untersuchen. In der Folge wurde der Kommandant der an dem Fall beteiligten Polizisten entlassen. Sutjagin wurde der Schaden an seinem Auto gezahlt. Als ihn dann noch Polizeigeneral Sergeij Kazantsew für seinen Heldenmut auszeichnen wollte, lehnte Sutjagin dankend ab: Er habe diesen Dienst ja nicht freiwillig geleistet.