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Sven-Eric Bechtolf

Von Julia Urbanek und Christoph Irrgeher

Reflexionen

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Wiener Zeitung:In der Opernwelt standen einst Komponisten im Zentrum. Heute sind es Regisseure - läuft da etwas falsch?Sven-Eric Bechtolf: Ich halte nichts davon, ein Metier gegen das andere auszuspielen. Aber: Wenn der Komponist nicht mehr im Mittelpunkt steht, ist irgendwas faul. Wir verwalten das Werk ja nur und sollten in der Rangliste ganz am Ende stehen, hinter dem Dirigenten, den Musikern, den Solisten. Dass sich das nun verschoben hat, halte ich für verkehrt.

Sie stoßen sich ja an oberflächlichen Regietheater-Gags...

Es ist schwierig, so etwas zu sagen, weil man damit schnell in den Ruch kommt, ein konservativer Onkel zu sein. Bin ich gar nicht! Das klebt man mir nur deshalb an, weil ich es gewagt habe, dem Mainstream ein Streichholz in den Weg zu legen. Indem ich sage: Lasst uns doch einmal nachdenken, ob Werke nicht auch eine Autonomie haben.

Es käme Franz Welser-Möst (Dirigent des neuen "Ring", Anm.) doch auch nicht in den Sinn, jetzt noch ein bisschen mitzukomponieren. An der Oper ist es geringfügig, am Theater dagegen sehr oft zu beobachten, dass das Werk als so eine Art Steinbruch, lediglich als Material behandelt wird, mit dem man nach Belieben umgehen kann. Und ich habe so meine leisen Zweifel daran formuliert. Vielleicht sollten wir viel mehr junge Autoren fördern und auch mit Niederlagen leben, um Heutigkeit am Theater einzufangen.

Und nicht an den Klassikern herumdoktern?

Da wünschte ich mir manchmal etwas mehr - Respekt ist vielleicht das falsche Wort - Lust darauf, sich die Sache genauer anzukucken, bevor man alles kaputtmacht und übermalt. Dennoch: In der Oper haben wir schon viel gewagtes Zeug gemacht, der Franz und ich, was vielen Leuten nicht geschmeckt hat, aber wir haben das immer in Rückverbindung mit dem Werk getan. Wir haben versucht, Sachen zuzuspitzen, vom Staub zu befreien. Und das führt dazu, dass es anders aussieht, als viele Leute erwarten. Was ich verkehrt finde, ist diese Etikettenzuteilerei in "altmodische" und "moderne" Regie.

Ärgern Sie sich über Kollegen?

Es ist nicht etwas, das mich besonders erregt. Das Haus meines Herren hat viele Wohnungen, natürlich darf und soll jeder machen, was er will. Nur wenn man mir Verzopftheit vorwirft, erkläre ich meine Interessenslage und dass es vielleicht lohnt, sich ein bisschen eingehender damit zu beschäftigen. Mehr nicht. Frank Castorf zum Beispiel ist ein ganz toller Theatermann, ich liebe Christoph Marthaler, ich finde René Pollesch witzig.

Zuerst waren Sie Schauspieler, wurden in Hamburg auch Theaterregisseur, kamen in Zürich zur Opernregie. Gab es, auch weil Sie sich über die Entwicklungen am Theater ärgern, eine Hinwendung zur Oper?

Überhaupt nicht. Es ist nicht so, dass ich mich dauernd ärgere. Etwas gefällt mir oder nicht. Ich sitze nicht verbockt im Theater rum. Es ist mir viel zu anstrengend, so ein Waldschratt zu sein. Das mit der Oper ist Zufall gewesen - man hat mich gefragt, und ich habe gesagt: Keine Ahnung, ob ich das kann, aber auf eure Verantwortung mache ich das. Dann hat es mir riesigen Spaß gemacht.

Wie waren die ersten Erfahrungen mit dem Wechsel vom Theater zur Oper? Spürten Sie da spezifische Unterschiede?

Es sind komplett andere Bedingungen. Erstens haben Sie an der Oper wenig Zeit. Zweitens gibt es einen immensen handwerklichen Anspruch. Und dann lässt man sich natürlich mit der Musik ein: Das braucht lange, bis man sie aus dem Effeff kennt. Alles hat höheren professionellen Anspruch.

Demnächst werden Sie 50 Jahre alt. Muss man ein gewisses Alter und Lebenserfahrung haben, um Opern zu inszenieren?

Da ich mit zwölf Jahren aufgehört habe, mich zu entwickeln, kann ich da keine großen Unterschiede feststellen. Außer, dass ich müder werde . . . nein Quatsch, Opernregie kann man auch als junger Mensch machen.

Sie haben im Vorfeld des neuen "Rings" ein Buch geschrieben. In "Vorabend" verquicken Sie die "Rheingold"-Geschichte mit Ihrem Leben. War das eine Möglichkeit, sich dem Wagner-Kosmos zu nähern, oder bloß eine Gelegenheit zur Autobiografie?

Ich empfinde das Buch ja überhaupt nicht autobiografisch, es sind halt Kindheitsgeschichten drin. Aber nachdem ich mich mit dem "Ring" beschäftigt habe - und es gibt entsetzlich viel Sekundärliteratur -, sagt man sich: Was bedeutet der "Ring" wirklich für mich? Ich habe das dann mit dem eigenen Kram verquickt, um den Zuschauern Lust zu machen, es genauso zu tun. Mein Ehrgeiz als Autor ist gering, ich habe nicht vor, Schriftsteller zu werden. Man hat von meinem "Erstling" gesprochen, aber das ist mein "Letztling"!

Geht der "Ring" uns alle an?

Wagner berührt unendlich viele Punkte, die in unserem Leben eine Rolle spielen. Insofern geht er wohl jeden Menschen an, der sich darauf einlassen will.

Haben Sie durch die Arbeit auch Wagner für sich entdeckt? Ihre erste Reaktion war ja "Oje, der Antisemit!".

Ich habe mich mit Wagner nicht wirklich gut ausgekannt. Ich habe ein paar Opern gesehen, das war´s. Ich wusste, dass er ein Irrer war. Da hat man natürlich zuerst einmal Berührungsängste mit so einem Exzentriker. Der aber ein echter Avantgardist war und äußerst modern. Also: Man erschreckt sich erst mal und wird dann eines Besseren belehrt. Weil er eine so abenteuerliche Biografie hat und dieser Antisemitismus nur ein - wenngleich widerlicher - kleiner Teil dieser monströsen Persönlichkeit ist.

Beim "Ring" habe ich gedacht: Um Gottes willen! Germanen und dieses ganze Zeug! Komischerweise war meine Haupterkenntnis jetzt während der "Walküre", dass das überhaupt nicht stimmt. Sondern dass die Oper ganz kammerspielhaft ist. Es gibt riesige Gefühlsladungen, sie sind aber immer wieder rückführbar auf menschliche Vorgänge.

Wie ist Ihr Zugang zu Wagners Musik? Haben Sie sich den erarbeiten müssen?

Sehr. Das muss ich noch weiter. Man kennt seine Opern ja recht oberflächlich - ich jedenfalls, muss ich zugeben. Wagner muss man sich mit viel Fleiß erarbeiten - die "Walküre" habe ich gehört, bis ich dachte, ich könnte sie nie wieder hören.

Hat das Stück nicht auch Längen? Wenn etwa Wotan etwas erzählt, das der Hörer schon weiß?

Ich habe lange nachgedacht, was die Wotanerzählung in der "Walküre" soll. Dramaturgisch scheint sie unnötig. Aber dann habe ich es psychologisch verstanden. Weil Wotan ein Wesen ist, das an einer Schnittstelle seines Lebens für sich selbst resümiert, um zu einem gewissen Satz zu kommen, nämlich: "Siegmund, falle! Dies sei der Walküre Werk." Um das aussprechen zu können, braucht Wotan einen irrsinnigen Vorlauf. Musikalisch ist das sehr modern: Dieses Riesenorchester anzuhalten für eine Stille von 20 Minuten, in denen sich der Kerl umwühlt. Wagners Opern sind wie Drogen, da kommt es auf die Dosierung an. Und Wagner dosiert ordentlich. Unter vier, fünf Stunden will er´s nicht haben. Er will ja an den Kern der Leute heran. Der meint´s nicht irgendwie lala, der will mit dem Stock richtig in unsere Existenz hineinprügeln.

Sie haben Ihre Inszenierung als episches Kammerspiel bezeichnet. Wie passt das zu einem Gesamtkunstwerk, das Menschen überwältigen soll?

Wagner glaubte daran, dass seine Bilder so stark sind, dass sie auch unterhalb des kritischen Verstandes, und vor allem dort funktionieren. In der "Walküre" singen zwei Leute, drei Leute, dann wieder zwei . . . das sind oft ganz schmal geführte Szenen. Episches Kammerspiel soll auch heißen: die Fantastik dieser Bilder als innere Bilder zu behandeln. Man muss sich fragen, in welche Welt Wagner da geht. Ich will darauf zurückverweisen, dass sich das ein Mensch ausgedacht hat, und das nicht komplettieren, sondern in einem fantastischen Bereich unkomplett lassen, so dass es der Zuschauer zu Ende denken muss. Das wird sicher eine schwer zu besprechende Inszenierung, Kritiker wird das nicht freuen.

Wagner peilte selbst eine Zeitlosigkeit an, einen wilden Naturzustand - und stieß sich bei frühen Aufführungen an Helmen und Fellen. Wollen Sie dem puren Wagner da nahe kommen?

Man muss Wagner erlösen von diesem unerträglichen Germanenscheiß. Kein Mensch will heute mehr diese geschnürten Sandalen und Bärenröckchen sehen, das ist ja grotesk. Eigentlich hat der "Ring" keine zentrale Message. Es lässt sich nur Albernes ableiten, wie: "Ich bin gegen den Welthunger", nona. Wenn man auf so etwas reduzieren will, ist das wenig. Der "Ring" ist mehr als die Summe seiner Absichten. Er ist auch die Chronologie von Wagners Geistesentwicklung über mehr als 20 Lebensjahre, der "Ring" muss also in sich disparat sein.

Sie sagen: "Was will Wagner da?" Manche fragen: "Was will Bechtolf da?" Details Ihrer Regie haben Sie vorab nicht genannt.

Weil ich das doof finde. Die Leute sollen sich das anschauen. Ich weiß, dass es speziell beim Wagner-Publikum eine geradezu absurde Leidenschaft gibt, der Sache einen Namen, ein Etikett zu geben. Das wird aber bei mir nicht gehen, dem gehe ich im vollen Bewusstsein entgegen. Das ist ein Vorwurf, den man mir machen wird. Da würde ich mich sofort auf Hardcore-Debatten einlassen.

Mit wem?

Setzen Sie sich einmal mit jemandem zusammen, der verantwortet hat, dass der "Ring" in einem Großraumbüro stattfindet. Das würde ich mir gerne auseinandersetzen lassen. Sie ahnen nicht, was da für dummes Zeug rauskommt. Es ist doch einfach unsinnig zu sagen, die "Walküre" sei politisch. Wo? Oder ökologisch! Geht´s um verrottete Wälder? Quatsch! Die interessanten Aspekte der "Walküre", das ist einerseits die Willensphilosophie Wagners, andererseits die Erlösungssehnsucht. Und drittens: Was macht Wotan mit seinen Geschöpfen? Wieso soll etwas, das allgemeingültig sein will, ins Besondere rückgeführt werden? Es wäre doch wunderbar - auch auf die Gefahr hin, dass man mich einen Idioten schimpft, der sich für nichts entscheidet -, in der Oper zu sitzen und sich ihr emotional und bildhaft nicht entziehen zu können. Dann würde ich sagen: Da haben wir wirklich etwas hingekriegt.

Glauben Sie, dass die Wagnerianer Sie dafür lieben werden?

Wenn Sie den "Ring" machen, wird Sie niemand lieben. Den einen werden Sie zu gewagt erscheinen, den anderen zu blass. Da wissen es nun wirklich alle besser. Wer so ein Projekt annimmt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er zwei Jahre sehr einsam ist.

Aber wie erleben Sie den Medienrummel? Und die Aufregung vor der ersten "Ring"-Premiere?

Es gibt da einen Druck, den ich mir aber nicht mache. Ich bin jetzt schon gelangweilt von mir selber, weil ich so viel über mich geredet habe und mir selbst in Fransen zum Mund raushänge. Mühsam, dauernd diese Interviews. Ich bin ganz froh, wenn ich einmal wieder durch den Wald gehe und nicht wichtig bin.

Ist der Rummel in Wien ärger als in Zürich?

Nein, das ist in jeder Stadt so. Wenn Sie einen "Ring" machen, lehnen Sie sich weit aus dem Fenster.

Hat sich Patrice Chéreau mit seiner legendären "Ring"-Inszenierung zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Nein, der ist fantastisch.

Weil der doch genau auf politische Aspekte zuspitzt.

Wenn ich den "Ring" vor 30 Jahren hätte machen müssen, wäre es auch eine andere Regie als jetzt, man befindet sich ja gottseidank in einer Rezeptionsgeschichte. Das ist Glück: Weil die anderen schon alles abgegrast haben, habe ich die Chance, etwas anderes zu machen. Ich finde es wahnsinnig komisch, dass für den "Ring" noch Aspekte bemüht werden, die längst in den Political Correctness-Kanon eingeflossen sind wie "Die Welt ist verschmutzt" oder "Oh, der Kapitalismus!", das sind doch Sprüche aus dem Poesiealbum. Das Neue bedeutet heute, noch einmal zurückzugehen. Kann ich wieder auf das Theater setzen? Darf ich das Dunkle behalten? Eine Wiederverzauberung ist mir lieber als diese Entlarvung.

Chéreau sind in den 70er-Jahren zwei tolle Sachen gelungen: erstens ließ er die Leute spielen, was früher nicht stattfand. Dann nahm er die Handlung im übertragenen Sinn und verlegte sie in die Entstehungszeit der Oper, womit er romantischen Topoi nahe kam. Und er nahm die Industrialisierung mit herein. Eine ganz tolle, und meiner Ansicht nach nicht wiederholbare Inszenierung. Heute gibt es diese Vertrashung: dass die Leute glauben, wenn ein Kühlschrank auf der Bühne steht, ist es heutig. Aber das ist zu kurz gegriffen.

Chéreaus "Ring" soll sich ja erst über die Jahre zu seiner vollen Qualität entwickelt haben.

Man hat ihn jahrelang fertig gemacht. Der Arme ging nach der Premiere raus, wurde ausgebuht, ging zurück, wurde von den Darstellern beklatscht. Das rührt mich so, wenn ich denke, welche Arbeit der sich gemacht hat innerhalb von drei Monaten. Dann gehen Sie raus und werden fertig gemacht.

Sind Sie schon einmal brutal ausgebuht worden?

Oh ja, mehr als einmal.

Wie nehmen Sie das auf? Schuldgefühle? Hass auf das Publikum?

Nein, ich denke nur, ich habe kein Gesicht dafür. Wie soll man dabei schauen?

Claus Peymann hat seinem Publikum einmal eine lange Nase gezeigt...

Das gehört sich aber nicht. Man muss sich auf allerlei einstellen: Kritiker etwa, die einem dann richtig einschenken, so dass man fast vor Gericht ziehen könnte. Aber das muss man in diesem Beruf in Kauf nehmen.

Sind Sie schon einmal vor Gericht gezogen?

Nein! Ich habe dem Kritiker nicht einmal zurückgeschrieben.

Einmal wurden Sie von Journalisten ziemlich hart angefasst: Als Sie am Hamburger Tha liatheater Intendant werden sollten. Später starteten Sie einen zweiten Versuch in Zürich. Sind Intendanten-Pläne mittlerweile noch ein Thema - wie wär´s mit Bayreuth?

Um Gottes Willen, um Gottes Willen, nein. Das ist vollkommen abwegig. Intendanzen an anderen Häusern sind zurzeit auch kein Thema. Und wenn, würde ich es Ihnen wahrscheinlich nicht sagen. Ich lasse es auf mich zukommen. Bisher sind die Dinge immer auf mich zugekommen. Und ich bin ganz zufrieden so.

+++ Zur Person

Sven-Eric Bechtolf wurde am 13. Dezember 1957 in Darmstadt geboren. Vor seinem 50. Geburtstag steht noch ein wichtiges Datum in seinem Terminplan: Am Sonntag feiert Richard Wagners "Walküre" an der Staatsoper Premiere - als Monumental-Vorgeschmack auf den neuen "Ring", den Bechtolf inszeniert (Dirigent: Franz Welser-Möst). Seit Jahren agiert der Deutsche vornehmlich als Opernregisseur (Bergs "Lulu", Mozarts "Don Giovanni" in Zürich, Strauss´ "Arabella" an der Wiener Staatsoper u. a.). Begonnen hat Bechtolf aber als Schauspieler: Er studierte am Salzburger Mozarteum und spielte später am Schauspielhaus Zürich, dem Hamburger Thalia theater, dem Schauspielhaus Bochum, dem Wiener Burgtheater (1999 bis 2006). Er gehört zu den besten Mimen der Gegenwart. In Hamburg entdeckte er unter der Intendanz von Jürgen Flimm ein neues Talent: Theaterregie. Mit seiner zweiten Inszenierung, Marivaux´ "Der Streit", wurde er 1995 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seine Inszenierung von Schnitzlers "Reigen" am Burgtheater ist wieder ab 2. Jänner zu sehen. Jürgen Flimm, mittlerweile Intendant der Salzburger Festspiele, landete 2007 einen Coup und holte den Schauspieler Bechtolf auf den Domplatz: In der Doppelrolle Guter Gesell/Teufel in Hofmannsthals "Jedermann" wurde dieser als Sensation gefeiert. Nun hat sich Bechtolf auch noch ans Schreiben gewagt: "Vorabend. Eine Aneignung" ist im Haymon Verlag erschienen und verbindet persönliche Erinnerungen mit der "Rheingold"-Geschichte. Bechtolf ist mit der Schauspielerin Charlotte Schwab verheiratet.