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Sylvester Huber war 46 Jahre im Gastgewerbe tätig, davon viele Jahre als Oberkellner im Wiener Hotel Imperial. Nun erzählt er von seinen erstaunlichen Erfahrungen mit Kaisern, Königen | und sonstigen Prominenten.
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Wiener Zeitung: Herr Huber, Sie waren über 40 Jahre im Hotel Imperial tätig, wie kam es dazu? Sylvester Huber: Mit vierzehn habe ich beim "Grünen Anker" in der Grünangergasse als Kellnerlehrling begonnen, unter meinen ersten Gästen waren Figl und Raab, aber wenn man jung ist, denkt man sich nichts dabei. Im Oktober 1957 hat dann das Imperial aufgesperrt, damals wurden überall Leute gebraucht, und es war kein Problem, dort eine Stelle zu bekommen.
Warum haben Sie Ihre Lehre ausgerechnet in der Spitzengastronomie begonnen? Warum gerade im Imperial?
Erst einmal muss man den Beruf wollen. Im Leben gibt´s zwei Möglichkeiten: entweder Sie leben, um zu arbeiten, oder Sie arbeiten, um zu leben. Wenn Sie nur arbeiten gehen, um am Ersten den Lohn zu kassieren, haben Sie in unserem Beruf nichts verloren. Sonst war alles Zufall. Damals hat man nicht viel Aufhebens gemacht. Mit zwölf bin ich in der Schule gefragt worden, was ich werden möchte, und ich hab´ halt "Gastgewerbe" gesagt. Das wurde weitergeleitet, und dann bekam ich einen Brief vom "Grünen Anker".
Das heißt, Sie haben sich im Imperial von ganz unten hochgedient?
Ja, ich war drei Jahre Lehrling auf allen Abteilungen. Sie fangen als Page an, dann auf der Etage, dann im Restaurant, dann Bankett - also Veranstaltungsservice, danach werden Sie Jungkellner.
Anschließend bin ich mit einem Freund nach England gegangen, wo ich meine Frau kennen gelernt habe, später nach Belgien, von dort nach Oberstdorf und schließlich wieder zurück nach Wien. Danach war ich zehn Jahre auf der Etage.
Was bedeutet "auf der Etage"?
Zimmerservice, vom Frühstück bis Mitternacht. Heute heißt das "Butler". Nach der Oper um 11 Uhr in der Nacht das Mineralwasser bringen - damals gab es noch keine Minibars und auch kein Telefon, sondern nur einen Klingelknopf im Stock. "Heißes Wasser für ein Teesackerl!", na und dann sind Sie schon gerannt. Einer dreht im Badezimmer den Hahn falsch auf, ein anderer zieht immer an der Notleine, weil er glaubt, es ist die Dusche.
Wie ging Ihre Karriere weiter?
Ich wurde ins Restaurant geholt. Erst habe ich zehn Jahre lang Bankett gemacht, die letzten 15 Jahre war ich dann Oberkellner im Restaurant. Insgesamt war ich 46 Jahre im Gastgewerbe tätig. Und ich will keinen Tag missen! Es gab Momente . . . also was ich erlebt habe, das klingt gar nicht glaubwürdig, obwohl alles stimmt.
Das macht neugierig . . .
Angefangen von den Kennedy-Brüdern, König Saud oder Königin Elisabeth habe ich eigentlich sämtliche Regierungschefs und Königshäuser hautnah miterlebt. Das war die Zeit, als ich auf der Etage war. Als Zimmerkellner kommen Sie ja in den Intimbereich, soweit es der Kammerdiener eben zulässt.
Können Sie uns ein paar Anekdoten erzählen, oder ist das alles streng geheim?
Will ich gar nicht. Es ist einfach nicht glaubwürdig.
Wieso?
Was immer Sie erzählen, es muss ja nicht stimmen. Ich hab nicht einmal meiner Gattin - ich bin über 40 Jahre verheiratet - viel erzählt. Sie hat die Geschichten dann immer von anderen gehört.
Haben Sie als Zimmerkellner auch Dinge erlebt, bei denen Sie an Ihre kulturelle Grenzen gestoßen sind?
Ja, sicher! Ob das jetzt der Gaddafi war oder der Arafat oder der Schah von Persien, die haben ja alle eine ganz andere Kultur. Oder der Emir Saud, was die alle aufgeführt haben . . .
Was zum Beispiel?
Zum Beispiel, ja das kann ich erzählen: Ich bin 15 Jahre alt und der Chruschtschow kommt nach Wien. Und Sie wissen, wie das nach dem Krieg war, es gab nicht alles in Hülle und Fülle, so wie heute. Der aß zum Frühstück Forellen, Lachs - der ist extra eingeflogen worden - Fleisch, alles durcheinander, warm, kalt. Das war für mich unvorstellbar. Nicht Joghurt, Brot und Butter, sondern Fleisch und Fisch, gekocht und gebraten. Was wir in einer ganzen Woche zu Mittag aßen, aß der allein zum Frühstück!
War das bei anderen Gästen anders?
Naja, beim Staatsbesuch kostet es ja nichts. Der Emir Saud hatte ein ganzes Stockwerk, da wurde gegessen von 8 Uhr früh bis Mitternacht. Ständig wurde aufgetragen. Erst aß der Saud, dann die zweite Garnitur, dann die Hofbeamten, zum Schluss die Diener. Danach wurde viel weggeschmissen, denn was die überließen, das konnte man nicht mehr essen.
Wie nah sind Sie an Persönlichkeiten wie König Saud tatsächlich herangekommen?
Ich war in meiner Jugend relativ selbstbewusst und natürlich naiv. Also hat man mich überall hingeschickt. Als der Emir Saud beim Professor Fellinger seine internen Untersuchungen hatte, setzte man mich mit einem Frühstück in einen Cadillac und brachte mich ins Allgemeine Krankenhaus. Als er um halb elf völlig genervt aus dem Behandlungszimmer kam, stand ich mit dem Essen da, ohne "Hangerl", ohne Handschuhe! Ich hatte an gar nichts gedacht! Aber der Emir Saud war hungrig und die Kammerdiener wurden ungeduldig, also hab´ ich ihm die Buttersemmel halt mit Messer und bloßen Fingern gestrichen.
Das klingt nach einer aufregenden Lehrzeit . . .
Ich war fünfzehn, als mein erstes Pressefoto erschienen ist - mit dem Hund von Sophia Loren. Den durfte ich "äußerln" führen, wofür ich fünf Schilling bekam. Ich bin mit dem Hund über die Feststiege hinunter, in dem Moment kommt ein anderer Hund herauf. Und die zwei Hunde beginnen sofort zu raufen! Und die Fotografen . . . na, mehr hab´ ich nicht gebraucht: "Wie kannst du nur mit dem Hund über die Feststiege gehen, dafür gibt´s den Hinterausgang", musste ich mir dann anhören.
Was hatten Sie sonst noch so zu meistern?
Den Arafat! Der rannte immer so schnell, der war Beduine. Ein Wahnsinn! Dem ist keiner nachgekommen. Beim Gaddafi mussten wir die Büsten auf der Feststiege verhängen, Sie wissen schon: das barbusige Donauweibchen! Bei Staatsbesuchen bestimmt ja das Protokoll im Vorhinein, wie die Zimmer aussehen. Wenn da zum Beispiel ein Bild von Waterloo oder irgendeiner Kriegsszene, die für den Betroffenen nicht glücklich ausgegangen ist, hängt, dann muss das vom Depot in Schönbrunn ausgewechselt werden. Oder wenn auf Bildern Damen "oben ohne" zu sehen waren, dann mussten die weg, wenn der Arafat oder der Schah kam.
Für jeden Gast wird umdekoriert?
An einem Staatsbesuch hängt so viel Kleinarbeit! Bereits Wochen vorher besichtigen die Securities die Zimmer. Zwei Tage vorher wird dann nochmals alles gecheckt, die Zimmer werden nicht mehr vergeben. Einmal gab es bei Charles de Gaulle im letzten Moment ein großes Theater, weil das Bett für ihn zu kurz war. Da mussten wir dann in Windeseile ein Bett mit 2,04 Meter Länge herbeischaffen.
Hat es Ihnen denn Spaß gemacht, mit so vielen prominenten Personen in Kontakt zu kommen?
Nein, im Gegenteil. Ich hab´ auch alle Interviews und Fernsehauftritte abgelehnt. Aber ich wurde trotzdem immer wieder vorgeschickt. Ich war halt furchtlos. Erst aus Naivität, später war ich einfach abgebrüht. Mit der Zeit ist das gar nichts Besonderes mehr, ein Präsident oder ein König.
Werden bei Staatsbesuchen auch alle kulinarischen Details im Voraus festgelegt?
Ja, der Protokollchef gibt schon Wochen vorher alle entsprechenden Wünsche bekannt: salzlos, zuckerlos, ohne Alkohol und so weiter. Die Direktion leitet das dann an die Küche und ans Service weiter.
Wissen Sie auch schon vorher, wer was trinkt?
Ja, auch das teilt uns der Protokollchef mit. Beim Schah haben wir es so gemacht, dass er statt des Rotweins Johannisbeersaft bekam und statt des Weißweins Apfelsaft.
Und wie ist es bei Staatsmenüs?
Ich habe zum Beispiel sechs Tage lang Simon Wiesenthal begleitet, als er bei uns wohnte. Der aß koscher. Da wir selbst keine koschere Küche haben, ließen wir uns alles von der Seitenstettengasse liefern. Ich durfte aber nichts angreifen.
Nicht einmal den Teller?
Nein, gar nichts. Auch nicht das Besteck, alles wird mitgeliefert. Das Essen kommt in Folie verpackt und wird von einem eigenen Servicemann auf den Tisch gestellt.
Gibt es ähnliche Rituale auch für andere Kulturen?
Für Moslems gibt es natürlich kein Schweinefleisch und für gläubige Inder vegetarisches Essen, aber das wird alles normal serviert. Außer bei heiklen Staatsbesuchen, da dürfen Sie nichts angreifen, wegen der Vorkoster.
Die gibt es wirklich?
Natürlich! Bei ägyptischen oder israelischen Staatsgästen steht unten in der Küche ein eigener Koch und kostet vor. Dann kommt die Platte direkt zum Gast. Die Sicherheit heute ist schon ein Wahnsinn. Manchmal müssen Sie sich an vier bis fünf Securities vorbei kämpfen, um zu servieren. Hysterisch sind zum Beispiel die Amerikaner, da müssen Sie froh sein, wenn Sie überhaupt bis zum Gast durchkommen. Manchmal dürfen Sie nicht einmal das eigene Hotel betreten. Die Russen sind dagegen recht locker.
Wie läuft denn so ein Staatsbankett ab? Wird da mehr geredet als gegessen?
Ja. Reden sind protokollmäßig vorgeschrieben. Der Zeitpunkt wird natürlich mit uns abgesprochen, damit wir nicht gerade mit dem Fleisch daherkommen - und genau dann steht einer auf und spricht eine halbe Stunde. Am liebsten haben wir es nach der Hauptspeise, weil dann das Fleisch nicht verbrutzeln kann. Die Nachspeise ist weniger heikel, außer es gibt Salzburger Nockerln. Sie können ja schwer den Redner unterbrechen und sagen: "Das Soufflé ist fertig!"
Interessanterweise sieht man wichtige Leute eigentlich nie beim Essen?
Ja, weil Essen gefährlich ist. Niemand ist davor gefeit, dass ihm das Reiskorn von der Gabel fällt. Und wenn dann die Boulevardpresse so ein Missgeschick breittritt, ist der Gast kompromittiert.
Wie oft finden bei Ihnen Staatsbankette statt?
Von Jahr zu Jahr weniger. Unter Kreisky war noch jede Woche jemand da, die Golda Meir, die Gandhi, der Arafat. Heute läuft alles über Brüssel. Mein letzter Staatsbesuch war der japanische Kaiser. Da mussten wir 14 Tage vorher üben. Der Professor Elmayer kam zu uns ins Hotel, zeigte uns den japanischen Hofknicks und brachte uns ein bisschen Japanisch bei.
Wann mussten Sie den Knicks denn machen?
Gleich beim Empfang. Der Kaiser ging durch ein Spalier und wir haben uns auf Japanisch verbeugt.
Sind Prominente anstrengender als "normale" Leute?
Nein, und die wollen gar nicht anstrengend sein. Die wollen ihre Ruhe haben. Die müssen in einer Stunde den ganzen Weltfrieden retten oder ein Konjunkturpaket in 15 Minuten schnüren. Dann gibt´s Handshake und ab zum nächsten Termin.
Verliert die Spitzengastronomie an Glanz?
Die Sitten ändern sich. Früher haben wir das Besteck beim Eindecken umgedreht. Das kommt aus dem spanischen Hofzeremoniell, nach dem wir zu meiner Zeit noch viel gearbeitet haben. Die adelige Gesellschaft traf sich ja jeden Tag woanders, und das Wappen auf der Rückseite des Bestecks half, sich zu orientieren, bei wem man gerade eingeladen war. Das spanische Hofzeremoniell entstand aus einer Not heraus, weil die Fürsten bei großen Einladungen nicht genug Kellner hatten. Deswegen mussten auch Förster, Stallmeister und Gärtner servieren - und weiße Handschuhe tragen, um die abgearbeiteten Hände zu verbergen. Wir lernen in der Gastronomie, fünf Teller gleichzeitig zu tragen, das können Sie aber von einem Gärtner nicht verlangen. Deshalb trägt der Kellner nach spanischem Zeremoniell immer nur einen frischen Teller zum Tisch und serviert einen schmutzigen ab. Und schmutzig war ein Teller schnell, denn wenn die Gastgeber das Besteck weglegten, durfte niemand anderer mehr essen. Unten am Tisch haben die Gäste manchmal überhaupt nicht gegessen, denn bis sie serviert bekamen, war der Kaiser schon wieder fertig.
Das ist aber heute bei Banketten nicht mehr üblich?
Der alte Treichl war einer der Letzten, der das bei CA-Aufsichtsratsessen noch praktiziert hat. Unten sind die Betriebsräte gesessen, und bis die ihr Essen hatten, war er schon wieder fertig.
Gelten im Restaurant spezielle Benimmregeln?
Theoretisch schon, Krawattenpflicht beispielsweise. Aber dann sagt der Gast, er hat den Koffer am Flughafen nicht bekommen. Oder der Karajan sagt, der Rollkragen sei sein Markenzeichen, oder der Arafat kommt mit seinem Beduinentuch - Regeln gibt es schon, aber die praktische Umsetzung ist oft schwierig.
Und andere Regeln?
Auch ein Hund ist in einem Nobellokal aus hygienischen Gründen eigentlich nicht erlaubt. Seinerzeit haben wir die Hunde in der Garderobe abgegeben. Aber dann steht der Schimanko mit seinem Bullterrier da und will das nicht einsehen.
Und haben Sie ihm den Zutritt verweigert?
Das war ein Kollege. Denn Gott sei Dank gibt es auch Tage, an denen man nicht da ist! Aber der Schimanko ist nie wieder gekommen, und das macht natürlich auch keine gute Nachrede.
Gibt es auch Gäste, die sich bei Ihnen unwohl fühlen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen?
Immer weniger. Der Gast ist mündig geworden. Er reist viel, liest Fachbücher, kennt die Kochshows im Fernsehen. Sie können dem Gast heute nichts mehr vormachen.
Außerdem deckt man heute ohnehin nicht mehr richtig. Früher war Luxus Breite, jedes Gedeck hatte 90 cm und bis zu 6 Besteckpaare. Heute sind die Tische schmäler und die Standteller größer, folglich gibt es weniger Besteck. Früher war unser Restaurant mit 25 Personen voll. Heute sitzen vorm Philharmonikerball dort 70 Personen. Da hört sich die ganze Vornehmheit auf. Da geht es einfach ums Geschäft.
+++ Sylvester Huber
Sylvester Huber wurde 1943 als eines von vier Kindern eines ÖBB-Angestellten in Wien geboren. Nach Abschluss der Hauptschule in Wien-Favoriten begann er 1957 seine Kellnerlehre im Restaurant "Zum grünen Anker" in der Grünangergasse. Noch im selben Jahr wechselte er in das eben wiedereröffnete Hotel Imperial. Auf die Lehrabschlussprüfung im Jahr 1960 folgten weitere berufliche Stationen als Jungkellner und Commis de Rang. In den Jahren 1964 und 1965 sammelte er berufliche Erfahrungen im Ausland, unter anderem in Belgien, Deutschland und England, wo er auch seine spätere Frau Elfriede kennen lernte.
Ende 1965 kehrte er nach Wien zurück, trat wieder in die Dienste des Hotel Imperial und heiratete. Von 1965 bis 2003 arbeitete sich Sylvester Huber vom Etagenkellner zum Bankettservice und schließlich bis zum Restaurantleiter hoch. Im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit hat Sylvester Huber viele Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik "betreut", unter anderem Sophia Loren, König Saud, Indira Gandhi, die englische Königin, den Schah von Persien, John F. Kennedy, Jassir Arafat und Herbert von Karajan. Im August 1997 wurde Huber das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen. 2003 trat Sylvester Huber nach 46 Berufsjahren in den Ruhestand.
Sonja Stummerer, geb. 1973, und Martin Hablesreiter, geb. 1974, leben als Architekten, Designer und Autoren in Wien. Jüngste Publikation: "Food Design XL", Springer Verlag, 2010.