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Symbiose aus Okzident und Orient

Von Beatrix Neiss

Politik

Charakteristisch für moderne, leistungsstarke Gesellschaften ist ihr Wille, sich weltoffen nach außen hin zu präsentieren. Dabei wird gleichzeitig ihre Attraktivität für Immigranten erhöht. Betrachtet man die aktuellen Zahlen der Einbürgerungen bestätigt die Statistik den Trend, Österreich als attraktives Einwanderungsland zu sehen. Faktum ist, dass im 1. Quartal 2003 rund 2.900 Menschen aus der Türkei und rund 1.800 Menschen aus Bosnien die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten haben und diese Gruppen im Spitzenfeld der rund 92 Nationen liegen. Das heißt, dass sich das künftige Wählerpotenzial für alle Parteien verstärkt aus muslimischen Bürgern und Bürgerinnen zusammensetzt. Allerdings: Welche Interessen vertreten die muslimischen Verbände und PolitikerInnen?


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Gesellschaftsentwicklung ist, folgt man der These von Norbert Elias, eine stete Entwicklung der Beziehungen zwischen den so genannten "Etablierten", also "alten Familien" und den "Außenseitern", den Neuankömmlingen.

Dabei ist es notwendig, dass die Zeit als wesentlicher Faktor in die Diskussion mit einbezogen wird.

In Wien lebt bereits die zweite und dritte Generation der ehemaligen Gastarbeiterfamilien. Während sich die "Etablierten" bis vor kurzem noch gegenüber den Menschen aus den ehemaligen Ostländern abgrenzten, ist jetzt die muslimische Bevölkerungsgruppe ins Blickfeld gerückt.

Die politischen Entscheidungsträger sind gefordert, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Und diese sind nicht so leicht festzustellen, besonders nach den Ereignissen des 11. September 2001 und den übrigen besorgniserregenden Medienberichten über Gewalt und Aufruf zum weltweiten "heiligen Krieg" von einigen Gruppierungen. Trotzdem ist es falsch, laut Omar Al-Rawi, Landtagsabgeordneter der SPÖ in Wien, eine "soziale Stigmatisierung" einer Bevölkerungsgruppe vorzunehmen. Er wehrt sich gegen die Praxis der deutschen Behörden, die bereits nach äußeren Merkmalen, wie Bart und Kleidung, die Spreu vom Weizen trennen wollen.

"In welcher Moschee jemand sein Gebet verrichtet, kann meiner Meinung nach kein Kriterium für eine Einbürgerung darstellen", befindet Omar Al-Rawi. In Deutschland herrscht Verwirrung speziell in Bezug auf Anhänger der als militant eingeschätzten türkischen "Milli Görüs"-Gruppe. Sie soll MigrantInnen fernab des Mutterlandes zum Jihad - den heiligen Krieg - gegen den ungläubigen Westen aufrufen.

Ekici Sirvan, Integrationsbeauftragte der Wiener ÖVP und Politikwissenschafterin, sieht keine Beeinflussung von Migranten durch radikale Gruppen des Mutterlandes. "Der Dialog und Offenheit auf allen Seiten ist das wichtigste, um Ängste und Falschinformationen zu verringern" ist Ekici überzeugt, dass der eingeschlagene österreichische Weg der richtige sei.

In diese Kerbe schlägt auch der prominente Islamexperte Heinz Nußbaumer, der in seinen Vorträgen immer wieder darauf hinweist, dass Muslime ganz normale Mitmenschen und Mitbürger sind, die eben nicht auf ewig unterbezahlte Arbeit leisten, um zum Dank dafür ignoriert und abgeschoben zu werden. Nußbaumer sieht es als wachsende Aufgabe der Christen, den Prozess der Akzeptanz mitzutragen und dafür sei es auch nötig, auf Missionierung zu verzichten.

Der muslimische SPÖ-Politiker Omar Al-Rawi versteht den Dialog zwischen den Kulturen im europäischen Kontext und spielt hier auf die EU-Richtlinien gegen Antidiskriminierung an, die auch Österreich in Form eines Gesetzesentwurfes umzusetzen hat. Al-Rawi sieht das Ziel in einem Dreistufenplan, wo Diskriminierungen am Arbeitsplatz, zum Beispiel aufgrund der muslimischen Bekleidung von Frauen, entgegengewirkt werden soll.

SPÖ: Bezirks-Wahlrecht, VP: Gratiskindergartenjahr

Während die SPÖ in der Durchsetzung des Wahlrechtes für Migranten auf Bezirksebene in Wien einen Schritt in Richtung Zukunft sieht, ist dieser Punkt für die ÖVP-Politikerin Ekici zur Zeit eher vernachlässigbar. Sie ortet wichtigere Bedürfnisse der Migranten, in der "Erhöhung des Bildungsgrades, ein Gratiskindergartenjahr sowie die Öffnung der Gemeindewohnungen für MigrantInnen."

Was bleibt ist die Frage, wie eine Akzeptanz gegenüber dem so genannten Anderen gefunden werden kann.

Ekici betont, dass "das Ausleben der jeweiligen Religion ein Menschenrecht ist". Einschränkend meint sie: "Allerdings, sollten Menschen nicht glauben, dass ihr Weg der einzig richtige ist. Die goldene Mitte sollte auch im Zusammenleben mit mehreren Kulturen gefunden werden."

Fundamentalisten?

Geht man davon aus, dass - nach Meinung von namhaften Ethnologen - Radikalisierungen in jeder Richtung gerne als "attraktives Verhaltensmuster" von Jugendlichen angenommen wird, um gegen den Leidensprozess der Ausgrenzung anzukämpfen, ist es wahrscheinlich nötig, bereits das Wort "Fundamentalist" näher zu beleuchten.

Omar-Al-Rawi unterstreicht, dass es seiner Ansicht nach ein Fehler sei, von "Islamisten und Fundamentalisten zu sprechen" und sie deshalb gleich auszuschließen. Er stellt umgekehrt die Frage: "Was machen wir mit jenen Menschen, die in einer Republik leben und der Ansicht sind, dass die Monarchie der beste Weg sei. Bürgere ich sie aus?"

Vielleicht ist das Miteinander gar keine Frage der Religion, sondern eine Frage der "gelebten Vielfalt" eines Landes, wie es Haydar Sari, Leiter des Referates für Interkulturelle Angelegenheiten im Kulturamt der Stadt Wien und Mitbegründer der Plattform "Vielfalt ist Zukunft" vermutet. Für Haydar Sari gibt es einen "kulturellen Reichtum, eine Vielfalt an Kulturen aus der ganzen Welt, die hier ihre neue Heimat gefunden haben und die Entwicklung des Landes mitverantworten wollen." Dafür ist es, laut Haydar Sari, notwendig, dass all jene, die hier leben, aus welchem Herkunftsland auch immer, endlich die "reale Chance erhalten, in Schlüsselpositionen der Gesellschaft, gemäß ihren Ausbildungen, ihren Platz zu erhalten, um als Bürger und Bürgerinnen wahrgenommen zu werden."

Trennung Religion-Politik

Die Angst vor radikalen Strömungen sieht Haydar Sari überall dort berechtigt, wo "schöne Worte genauso wie die Gläubigkeit der Menschen für politische Zwecke missbraucht werden" und die Karten nicht offen auf den Tisch liegen. Aus diesem Grund steht für ihn die strikte Trennung von Politik und Religion außer Frage.

Eine vielfach unbeachtete Gruppe im Islam, die Staat und Religion trennt, sind die Aleviten. In Wien leben circa 25.000. Sie sehen den Menschen als die höchste Erfahrungsquelle an und bezeichnen sich als weltoffen und humanistisch. Anstelle der "fünf Säulen" des Islam und der Scharia, des Gesetzes, gelten bei den Aleviten nur die einfachsten muslimischen Verpflichtungen - die liebende Hingabe an Gott, die Liebe zum Propheten und zum Mitmenschen, die Teilnahme von Frauen und Männern am rituellen Tanz. Sogar Weingenuss, Musik und Gesang sind nicht verpönt. Daher wundert es nicht, dass jene Strömung des Islam bis in die Gegenwart allerorts angefeindet und unterdrückt wird.

Unterdrückung und Ausgrenzung sind keine Erfindungen unserer Zeit, sondern sie finden sich nach Norbert Elias überall dort, wo "Etabliertengruppen alle Anstrengungen daran setzen, um ihre monopolistischen Machtquellen, ihr Gruppencharisma und ihre Gruppennormen gegen Neuankömmlinge zu verteidigen."

Den so genannten Außenseitern liegt es, nach der Studie, meistens fern, die Alteingesessenen anzugreifen. Aber meistens sind sie in einer unglücklichen und erniedrigenden Position.

Erich Fried beschrieb es mit den Worten: "...nun würde man bei genauerem Zusehen zwar mit der Zeit merken, dass es nicht die Hässlichkeit der Wahrheit ist, die so entsetzlich wirkt, sondern nur die Hässlichkeit dessen, was sie nicht umhin kann zu zeigen und bei längerer Betrachtung der Lüge würde man nach und nach ihre rissigen Stellen entdecken und sie dann gar nicht mehr so schön finden".

Gesellschaften sind im Wandel begriffen und es gilt zu beobachten, wie - speziell die EU - mit ihren "Neuankömmlingen" umgehen wird.