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Symbolik und verdrängte Realitäten

Von Herbert Kaspar

Analysen

Symbolische Politik wird - laut "Politlexikon" - eingesetzt, um entweder über fehlendes politisches Handeln hinwegzutäuschen, oder nur mäßig politisches Handeln zu kompensieren; also hierzulande in letzter Zeit besonders häufig. Denn die SPÖ muss wortreich begründen, warum sie bei den Wahlversprechen regelmäßig umfällt und die ÖVP muss ebenso wortreich erklären, dass sie nicht nur von sozialer Wärme durchflutet, sondern dabei auch weltoffen und liberal ist. Die Opposition muss ohnehin bei jedem Vorschlag reflexartig "Nein" schreien, denn wozu wäre sie sonst da?


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Hierzulande ist der Sozialminister, laut Eigendefinition "das soziale Gewissen dieser Regierung", zuständig, in zahllosen Interviews die "sozialdemokratische Handschrift der Regierungsarbeit" zu betonen und ständig einschlägige Themen, von der Grundsicherung bis zur 24-Stunden-Pflege, zu spielen. Um die Finanzierung muss sich der umtriebige Medienstar nicht kümmern, dafür sind andere zuständig.

Auf ÖVP-Seite ist Neoministerin Andrea Kdolsky, die "binnen weniger Wochen zur Vorzeige-Liberalen der ÖVP geworden ist" (so die "Presse" am 5. April), für einschlägige Ankündigungspolitik zuständig. "So lange es geht, werde ich Raucher nicht diskriminieren" meinte sie noch im Jänner. In der ORF-Pressestunde vom 25. Februar war sie dann plötzlich für strikten Nichtraucher-Schutz, für die räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern in Lokalen und für effektive Strafen bei Nichtbefolgung, weil sonst ja die Strafandrohungen wirkungslos wären.

Durchaus vernünftig für eine Gesundheitsministerin, und hoffentlich bleibt sie dabei und knickt nicht doch noch - wie ihre Vorgängerin - vor der mächtigen Raucherlobby ein. Dafür hielt die in der ORF-Pressestunde sowie gegenüber den "Salzburger Nachrichten" erklärte Ankündigung der Schließung von Ambulanzen ("In Wahrheit brauchen wir die Ambulanzen nicht, mit Ausnahme hochspezialisierter Bereiche") nur einen Tag. Bereits am 26. Februar hieß es: "Die Ambulanzen erbringen einen wichtigen Versorgungsauftrag, deshalb steht eine Schließung nicht zur Diskussion."

Die "sprücheklopfende und kondomverteilende Ministerin" (so der "Standard") fordert auch scharfe Maßnahmen gegen jugendliche Besäufnisorgien in heimischen Gaststätten - das sind wohl die gleichen "armen" Gastwirte, die auch den Nichtraucherschutz konsequent ignorieren - verhandelt nebenbei mit der Staatsdruckerei wegen neuer Jugendausweise, kümmert sich um ein "Gen-Kartenspiel" und muss sich mit den finanzmaroden Krankenkassen auseinander setzen. Dazu meinte sie schon einmal im "Kurier" vom 24. Februar: "Ich habe nie gefordert, dass die Krankenkassen bei der Verwaltung sparen sollen."

Heute gibt es in den Medien praktisch keinen Kdolsky-freien Tag mehr, die vielseitige Ministerin ist nämlich auch für Familien zuständig; noch im Jänner meinte sie unter anderem: "Mein Ziel: Paare ohne Kinder dürfen nicht diskriminiert werden. Was doch eher eigenartig für eine "Familien"-Ministerin anmutet, die mittlerweile allerdings mit dem Kindergeld-Fiasko des glücklosen Ex-Ministers Herbert Haupt abgelenkt ist; vielleicht hat man deshalb diesbezüglich noch keine Korrektur gehört; dafür macht sie sich neuerdings für die "Ehe light" für homosexuelle Paare stark.

Manche Journalisten finden derartige Aussagen "erfrischend ehrlich" oder "erstaunlich liberal". Man sieht, symbolische Politik funktioniert nur dann, wenn die Medien brav mitspielen und dankbare Journalisten - vor lauter Ergriffenheit über spaltenfüllende Wortspenden - schon einmal die Übersicht verlieren.