Die Aufhebung des Waffenembargos der Europäischen Union gegenüber China könnte zu einem Innovationsschub für die Militärindustrie des kommunistischen Landes führen und eine Rüstungsspirale mit weit reichenden Folgen in Gang setzen, befürchtet der Sicherheitsexperte Erich Reiter im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Militärtechnologisch könnte China Fortschritte bereits in fünf bis zehn Jahren erzielen, die ansonsten 25 Jahre dauern würden."
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Für die Befürworter ist die Embargo-Aufhebung in erster Linie ein symbolischer Akt, denn auch nach dem Aus würden weiterhin sowohl internationale und nationale Verpflichtungen wie auch europäische Übereinkommen einen ungehinderten Rüstungsexport nach China verhindern. Ein EU-Verhaltenskodex aus dem Jahr 1998 verpflichtet alle Mitgliedstaaten bei der Bewilligung von Rüstungsgeschäften zur Einhaltung bestimmter Kriterien. Im Falle Chinas haben von diesen insbesondere zwei Gewicht: die Respektierung der Menschenrechte im Empfängerland sowie die Erhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in der jeweiligen Region. Beide Bedingungen stellen - trotz zum Teil beachtlicher Fortschritte, die auch vehemente Kritiker Chinas nicht bestreiten - eine objektive Hürde für Waffenexporte ins Reich der Mitte dar.
Für Reiter widerspricht die Aufhebung des Waffenembargos den langfristigen sicherheitspolitischen Interessen Europas, würde doch ein solcher Schritt den "Startschuss für ein Wettrüsten im ostasiatischen Raum geben". Den Beteuerungen sowohl von französischer als auch von offizieller chinesischer Seite, wonach es für diesen Fall zu keinem nennenswerten Anstieg der Waffenlieferungen nach China komme, schenkt Reiter keinen Glauben: "Natürlich wird die Aufhebung langfristig zu einem verstärkten Rüstungsexport nach China führen." Und zwar möglicherweise nicht nur von Seiten Europas.
Vor allem Russland, das jetzt bereits der mit Abstand größte Waffenlieferant Chinas ist, könnte aufgrund der neuen Konkurrenz aus Europa versucht sein, die Beschränkungen im Hochtechnologiebereich, die es sich selbst auferlegt hat, aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus fallen zu lassen, befürchtet Reiter. Aber auch die USA könnten für den Fall einer Embargo-Aufhebung zunehmend unter den Druck ihrer eigenen Rüstungsindustrie geraten, die nicht tatenlos zusehen wird, wie die europäischen Konzerne am dynamischen Markt Chinas mitnaschen.
Am stärksten käme aber wohl Japan unter Druck, das in China seine Hauptbedrohung sieht. Ein Innovationsschub für Chinas militärische Fähigkeiten würde unweigerlich zu einer Aufrüstung Tokios führen, das sich derzeit sicherheitspolitisch noch vor allem auf die USA verlässt. Die Folge wäre über kurz oder lang eine Emanzipation Japans von Washington, wogegen sich wiederum China durch verstärkte Aufrüstungsbemühungen wappnen würde - eine fatale Dynamik wäre in Gang gesetzt.
Anstatt das Waffenembargo aufzuheben, müsste es das langfristige Konzept Europas sein, überhaupt keine Waffen in Länder zu exportieren, hinter deren sicherheitspolitischen Absichten ein Fragezeichen steht - und die USA sowie Russland in diese Strategie miteinzubeziehen. "Ein solcher Schritt wäre ein Beitrag zur globalen Stabilität", ist Reiter überzeugt.