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Synthetische Embryonen "ändern nicht die Vorstellung von Leben"

Von Eva Stanzl

Wissen

Pionier Jürgen Knoblich über die Implikationen von Künstlichen Embryonen ohne Eizellen und Bewusstsein bei Mini-Gehirnen aus dem Labor.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Künstliche Organe sollen irgendwann Menschen heilen. Die millimetergroßen Zell-Strukturen funktionieren wie Gehirne, Herzen oder Lungen. Und es gibt weitere revolutionäre Werkzeuge in Zellkulturen: Kürzlich berichtete ein israelisches Team, aus Stammzellen Mäuseembryonen mit Kopf, Darmrohr und Herz geschaffen zu haben. Könnte das auch beim Menschen funktionieren und wollen wir das? Wie verhält es sich mit Gehirn-Modellen im Labor? Könnten sie irgendwann zu denken beginnen? Der Stammzellenforscher Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Leiter des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, hat Antworten.

"Wiener Zeitung": Wissenschafter haben aus Stammzellen synthetische Mausembryonen erschaffen - ohne Befruchtung. Wie ähnlich sind die synthetischen Embryonen den echten?

Jürgen Knoblich: Es handelt sich um Modelle von Maus-Embryonen, aber nicht um Embryonen. Wenn man diese Modelle in die Gebärmutter einsetzt, entwickeln sie sich nicht zum Tier. Das wurde mit Mäusen versucht, und zwar oft genug, dass absolut klar ist, dass das nicht geht. Die Modelle entwickeln sich immer bis zu einem bestimmten Stadium und sterben dann ab. Das spielt für die ethische Debatte eine Rolle, ganz ähnlich wie bei den Gehirn-Organoiden, an denen wir forschen: Um gewisse Funktionen unseres Denkorgans besser verstehen zu können, brauchen wir kein komplettes Gehirn, sondern die Organoide müssen nur bestimmte Aspekte abbilden. In der embryonalen Entwicklung gilt es, vor allem die frühen Stadien besser zu verstehen, weil da die meisten Defekte entstehen, die zu Entwicklungsstörungen führen. Wir wissen etwa über die Einnistung des menschlichen Fötus in die Gebärmutter sehr wenig, weil man sie ja nicht am lebenden Objekt studieren kann.

Man will also mit "Modellen" des Embryos ganz frühes Leben erforschen?

Dazu dienen diese Modelle, die trefflicher als "Embryoide" zu bezeichnen sind. Wenn man Eizellen per In-vitro-Fertilisation künstlich im Reagenzglas befruchtet, müssen überzählige befruchtete Eizellen, die nicht in den Mutterleib eingebracht werden, laut Gesetz nach 14 Tagen entsorgt werden. Diese Grenze ist willkürlich, denn selbst etwas später gibt es noch keine funktionierende Nervenzelle. An künstliche Embryonen könne man länger forschen und jetzt wurde der richtige Cocktail aus Stammzellen gefunden, der einen solchen Organismus heranwachsen lassen kann. (Gemeint sind induzierte pluripotente Stammzellen. Mit der Nobelpreis-gekrönten Technik lassen sich Körperzellen in den alles könnenden embryonalen Zustand zurückversetzen, Anm.).

Ethisch umstritten ist schon bei herkömmlichen Embryonen, die in vitro erzeugt werden, ob ihnen Menschenwürde zukommt oder nicht. Müsste, wer diese Frage bejaht, das Gleiche auch von synthetischen Embryonen sagen?

Diese Frage steht im Mittelpunkt der Diskussion. Es geht darum, ob eine solche Forschung in Ländern wie Deutschland oder Österreich, wo man an Embryonen nicht forschen darf, erlaubt wäre. Führende Ethiker tendieren zu Ja, weil es kein Embryo ist.

Wie prägt die Arbeit die Vorstellung davon, was Leben ist und wie es entsteht?

Neues Leben entsteht aus einer befruchteten Eizelle - zumindest bei allen Tieren. Das wissen wir lange und darüber werden uns die neuen Modelle keine neuen Einsichten geben.

Können Sie sicher sein, dass Embryoide nichts fühlen können?

Das kann ich mit Sicherheit ausschließen, denn das ist einfach zu früh. Außerdem reden wir gegenwärtig über die Maus. Um es beim Menschen zu machen, sind ethisch tief gehende Zulassungsverfahren nötig.

Bereits 2013 gelang es Ihnen, Organoide des menschlichen Gehirns im Labor herzustellen. Wie stark ähneln die Modelle unserem Denkorgan?

Sie ähneln in sehr frühen Entwicklungsstadien dem menschlichen Gehirn sehr stark. Wenn man sie aber länger wachsen lässt, sehen sie überhaupt nicht mehr aus wie ein Gehirn. Dennoch tun sie bestimmte Dinge, die unser Denkorgan macht. Sie bilden die richtigen Zellen aus, die sich verdrahten und Schaltkreise bilden. Sie machen Muster der Aktivität wie beim Menschen und bilden Gesundheit und Krankheit ab.

Wie lange ist das Organoid ein gutes Modell?

Wir fangen mit induzierten pluripotenten Stammzellen an, die, wie im menschlichen Fötus, alle mehr oder weniger gleich sind, und dann passieren zunächst einfache Entwicklungsschritte. Mit jedem weiteren Schritt wird es komplexer und je komplexer es wird, desto weniger gut vollzieht das Organoid diese Schritte. Es gibt keine Blutgefäße, die Form weicht ab, die Interaktionen zwischen den einzelnen Teilen des sich entwickelnden Organismus lassen sich nicht mehr nachahmen. Und irgendwann bricht das Ganze in sich zusammen. Wie lange das Modell funktioniert, kommt auf die Frage an: Wenn ich wissen will, welche Zelltypen es erzeugt, geht das vier Monate. Wenn ich sehen will, wie sich Schaltkreise ausbilden, fünf Monate. Aber wir bauen nicht das große Ganze. Wir bauen kein Gehirn, sondern nur Stücke seines Gewebes, an denen wir viel studieren können.

Nehmen diese Gehirn-Modelle ihre Umwelt wahr?

Nein, die Gehirn-Modelle haben keine Sinneszellen. Zwar existieren Organoide mit Foto-Rezeptor-Zellen, die wir Menschen zum Sehen benötigen, aber sie haben keinerlei strukturierte Wahrnehmung und können kein Bild erzeugen. Das kann auf lange Zukunft ausgeschlossen werden.

In einer Studie konnte der US-Neurowissenschafter Alysson Muotri von vom Medizinischen Institut der Universität Kalifornien in San Diego zeigen, dass seine Mini-Gehirne spontane elektrische Impulse registrieren. Die Nervenzellen feuern in einem Takt, dessen Oszillationen gleich Gehirnströmen von Frühgeborenen ist. Haben diese Organoide Bewusstsein?

Diese Arbeiten werden kontrovers diskutiert und kritisiert. Zwar sind die Arbeiten selbst ziemlich gut, aber es handelt sich um eine Über-Interpretation. An der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina verfassen wir eine ethische Stellungnahme zu Organoiden, die im Oktober veröffentlicht wird. Zwei Jahre hat sich ein Gremium aus Biologen, Neurobiologen, Philosophen, Juristen und Ethikern mit diesen Fragen beschäftigt und kommt zu diesem Schluss. Muotri misst zwar die Aktivität von Nervenzellen und hat festgestellt, dass es da Schwingungen gibt, die eine ähnliche Frequenz haben wie jene im Gehirn eines späten Fötus. Aber es würden nur wenige Menschen außerhalb dieses Forschungsgebiets auf den Gedanken kommen, das etwas, das mit einer bestimmten Frequenz schwingt, Bewusstsein ist. Ich halte das für einen absurden Gedanken.

Wie misst man Bewusstsein?

Es gibt viele Forschungsarbeiten dazu, was Bewusstsein ist, was es tut und wozu wir es haben. Was diese Arbeiten gemeinsam haben, ist die Erkenntnis, dass Bewusstsein eine Eigenschaft ist, die das gesamte Gehirn benötigt. Wenn man Patientinnen ganz kurze Lichtimpulse schickt, nehmen sie diese unbewusst wahr. Mit Kernspin-Tomographie kann man verfolgen, dass diese Impulse in der Sehrinde verarbeitet werden und dort bleiben. Erst wenn den Testpersonen die Lichtblitze bewusst werden, sodass sie sagen: "Jetzt habe ich es gesehen!", blitzt das ganze Gehirn auf. In bestimmten Situationen gibt es also eine Instanz, die Informationen allen Teilen des Gehirns zur Verfügung stellt. Bewusstsein hat hochrangige Interpretationen zur Folge, die die Sinne zusammenfassen. Wenn man dem jetzt ein kleines Gehirn-Organoid gegenüberstellt, dann ist die Frage, ob es Bewusstsein hat, komplett lächerlich und der Zusammenhang so weit hergeholt, dass er keine Berechtigung hat. Oder soll etwa ein Chirurg, der einen Hirntumor von einem Kubikzentimeter entfernt, dieses Gewebe am Leben erhalten, weil es Bewusstsein haben könnte?

Wie beschreiben Sie die Aktivität des Mini-Gehirns in der Petrischale?

Da ist einiges los! Jedes Mal, wenn es in einem bildgebenden Verfahren leuchtet, ist eine Nervenzelle aktiv. Bei Epilepsie-Patienten etwa sind die Aktivitätsmuster in den Modellen charakteristisch verändert. Derzeit arbeiten wir an einer Krankheit namens Tuberöse Sklerose, eine sehr schwere Form der Epilepsie. Wir haben an Organoiden herausgefunden, dass sogenannte "Clip"-Zellen im Gehirn für einen Prozess verantwortlich sind, der normalerweise nach der Geburt passiert. Das menschliche Gehirn ist nach der Geburt nämlich nicht fertig, sondern es werden noch viele Nervenzellen in die Schaltkreise eingefügt. Diese Aktivität kommt von den "Clip"-Zellen. Tuberöse Sklerose entsteht, wenn sie sich zu oft teilen. Schuld ist ein überaktiver Rezeptor, gegen den es allerdings Inhibitoren gibt. Im Modell lässt sich die Krankheit damit heilen, ein Medikament ist in klinische Studien.

Was ist die größte Blackbox im Gehirn?

Das ist schon das Bewusstsein! Die Blackbox ist die Verbindung zwischen der Zellbiologie unseres Gehirns und dem, was man Psychologie nennt. Ich kann Verhaltenstests mit Kernspintomografie nachweisen, um Denken und Fühlen zu erforschen. Aber was dabei auf zellulärer Ebene passiert, ist ein Rätsel. Man kennt die die Schaltkreise, die etwa Angst auslösen, weiß aber nicht, warum dieses Gefühl das Ergebnis ist. Diese Verbindung zwischen Neurologie und Psychologie ist einer der absolut interessantesten Bereiche der Biologie. 

Zur Person~