Eine Million Iraker sind auf der Flucht. | Soziale Spannungen nehmen zu. | Damaskus. "Brot für Iraks Hoffnung" steht auf dem Verkaufstisch der kleinen Bäckerei in Jaramana, einem Vorort von Damaskus. Viel Hoffnung auf eine Besserung der Lage in ihrem Heimatland haben die hier arbeitenden irakischen Flüchtlinge aber nicht. Genauso wenig wie ihre Kunden: Vier Jahre nach Beginn des Irak-Krieges ist Syrien für viele ein zweites Zuhause geworden - oder eine Zwischenstation auf der Weiterreise ins endgültige Exil nach Europa, Australien oder die USA.
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Auf knapp eine Million beziffert das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) die Zahl der aus dem Irak nach Syrien Geflohenen und das bei einer Bevölkerung von 17 Millionen. Insgesamt sind zwei Millionen Iraker ins Ausland geflohen, im Land selbst sind weitere 1,7 Millionen auf der Flucht.
Fast 4000 am Tag seien in den vergangenen Wochen über den Grenzübergang al-Tanf nach Syrien gekommen, erzählt eine UNHCR-Mitarbeiterin. Anfangs sorgte der Zuzug für eine Belebung der Wirtschaft, doch inzwischen bereiten die Langzeitbesucher den Behörden zunehmend Sorgen: Weil die Kriminalitätsrate im vergangenen Jahr merklich angestiegen ist und militante Islamisten nach Syrien eingesickert sind, verschärfte das Regime von Präsident Baschar al-Assad Anfang des Jahres die Visabestimmungen. Sehr zum Leidwesen der Flüchtlinge.
Erst auf Druck des UNHCR wurden die strengen Einreiseregeln Ende Februar gelockert - und das Aufenthaltsrecht wieder auf drei Monate hoch gesetzt. Aber auch das erscheint angesichts des andauernden Kriegs im Irak nur als temporäre Lösung. In Vorstädten von Damaskus wie Jaramana haben sich viele Iraker bereits für länger eingerichtet. Die Namen der Restaurants, die hier in den vergangenen Jahren aus dem Boden schossen, zeigen das: "Baghdad", "Forat" oder "Baghdad Palm Tree". Und der Flüchtlingsstrom aus dem Nachbarland reißt nicht ab.
Iraker treiben Preis hoch
Jeden Monat kommen Zehntausende weitere nach Syrien, allein in der letzten Februar-Woche haben sich rund 16.000 Flüchtlinge beim UNHCR gemeldet. Gleichzeitig sinkt die internationale Unterstützung für die Flüchtlinge: Waren es 2003 noch 150 Millionen US-Dollar, die dem UNHCR zur Verfügung standen, fiel die Summe 2006 auf 29 Millionen. Wie lange die fragile syrische Gesellschaft die Gastfreundschaft durchhält, ist ebenfalls fraglich.
Schon jetzt können sich viele Damaszener die gestiegenen Preise nicht mehr leisten - die Kosten für Lebensmittel sind bis um das Fünffache gestiegen, auch der Wohnungsmarkt ist explodiert: Selbst gut verdienende Mitarbeiter internationaler Organisationen haben Schwierigkeiten, Wohnraum zu finden. Denn nicht nur arme Iraker sind nach Syrien gekommen, für den Anstieg des Preisniveaus haben vor allem wohlhabende Flüchtlinge gesorgt. Professoren, Ärzte, Lehrer und Geschäftsleute zählten zu den ersten, die den Irak verließen - und fehlen nun beim Wiederaufbau des geistig wie materiell am Boden liegenden Landes.