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Heftige Kämpfe bedrohen eines | der ältesten Klöster der Welt.
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Maalula. "Maalula muss man unbedingt gesehen haben", sagt Abu Hassan in seinem klapprigen weißen Peugeot und fährt in einem Affenzahn aus Damaskus Richtung Norden. "Das ist so wie die Pyramiden in Ägypten oder Petra in Jordanien", umschreibt der Syrer die Nominierungen als Weltkulturerbe. Die 56 Kilometer schafft der 54-jährige Schreibwarenhändler in etwas mehr als einer halben Stunde. Als es den Berg nach oben geht, kommt sein Gefährt ins Stocken. Die Kalamun-Berge verursachen dem alten Auto - Baujahr 1981 - einige Qualen. Maalula liegt 1500 Meter hoch. Die letzten 200 Meter Anstieg müssen zu Fuß bewältigt werden. Zwei enge Schluchten führen zu dem in die Felsen gebauten Dorf, das einmalig ist auf der Welt. Denn hier wird wie nirgendwo sonst auf der Welt Aramäisch gesprochen, die Sprache Jesu.
Wenn Abu Hassan wütend und frustriert ist, kommt er hierher, setzt sich in die kleine Kapelle des Klosters Mar Sarkis, redet ein wenig mit dem Pater und fühlt sich besser. Obwohl er Muslim ist, fühlt er sich bei den Christen in Maalula gut aufgehoben. "Es ist, als ob sie den Teufel austreiben könnten", sagt er und hebt die Stille und Ausgeglichenheit hervor, die der Ort ausstrahlt. "Hier hat das Böse keinen Platz."
Kampf gegen "Kreuzfahrer"
Abu Hassan ahnt nicht, dass gut zweieinhalb Jahre später der Teufel in Form des Bürgerkriegs Einzug hält in Maalula, und der Umgang zwischen Muslimen und Christen immer problematischer wird. Seit Tagen wüten islamistische Rebellen, vor allem die mit Al-Kaida in Verbindung stehende extremistische Al-Nusra-Front, in dem berühmten Wallfahrtsort und liefern sich erbitterte Gefechte mit den Regierungstruppen. Eine erfolgte Meldung vom Ende der Kämpfe und dem Abzug der sunnitischen Rebellen aus Maalula nordöstlich der Hauptstadt stellte sich inzwischen als falsch heraus. Geflohene Bewohner berichten von weiter anhaltenden Schießereien, schweren Verwüstungen, Beschimpfungen und sogar Zwangskonvertierungen zum Islam mit Waffengewalt. Maalula sei die "Wunde Christi", hätten die Rebellen gebrüllt und die Bewohner als "Kreuzfahrer" bezeichnet.
Dabei sind die Vorwürfe gegen die zumeist christlichen Einwohner gänzlich unbegründet, denn Maalula ist viel älter und keineswegs Zeuge aus der Zeit der Kreuzfahrer. Die beiden Klöster, die den Ort prägen und ihn berühmt gemacht haben, stammen aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts. Sarkis, Sergius oder auch Serge, in welcher Sprache auch immer man sich bewegt, war ein römischer Soldat, der wegen seines christlichen Glaubens verfolgt und zum Märtyrer wurde. Anfangs boten die Höhlen der unbewachsenen Kalamun-Berge Unterschlupf für religiös Verfolgte. Mit der Zeit sind Häuser aus Stein daraus erwachsen, zwei Klöster gebaut worden. Mar Sarkis ist eines der ältesten Klöster der Welt. Ohnehin gilt das heutige Syrien als Ursprung des Christentums, als der Ort, von wo aus sich die Lehre Jesu in alle vier Himmelsrichtungen ausgebreitet hat.
Viele Bewohner geflüchtet
Man muss sich gründlich ducken, will man das Innere des "Couvent de St. Serge et Bacchus" betreten, wie die Schriftzeichen auf dem alten Steinhaus verkünden. Durch ein Kellergewölbe gelangt der Besucher dann in einen idyllischen Innenhof. Youssef führt durch das Weltkulturerbe und preist seine selbst gemachte Marmelade und den Messwein, der ebenfalls im Kloster hergestellt wird. Pater Michel ist der einzig noch verbliebene Abt in Maalula. An jenem Tag im April 2011 empfängt er nur noch wenige Touristen, denn in Deraa, an der Grenze zu Jordanien, toben bereits Demonstrationen gegen das Regime in Damaskus. Die erste Militäroperation der Regierungstruppen steht kurz bevor. Der Pater hat ein ungutes Gefühl, was durch die Ereignisse der letzten Monate drastisch bestätigt wurde. Trotzdem wollte er ausharren so lange es geht, obwohl seine Mönchsbrüder in Frankreich und Griechenland ihm schon damals signalisierten Syrien zu verlassen. Inzwischen sind über 100.000 Tote zu beklagen und das Inferno scheint kein Ende zu nehmen. Über den Verbleib des Paters seit Beginn der Kämpfe in Maalula gibt es widersprüchliche Angaben. Eine Quelle besagt, er sei in Damaskus untergetaucht und versuche medizinische Versorgung für seine Gläubigen zu organisieren. Viele Bewohner von Maalula haben ihr Dorf bereits verlassen.
Zuerst der Irak, jetzt Syrien: Krieg und Terror treiben die Christen in Scharen aus der Region. Wenn die Entwicklung so weiter geht, wird es bald keine Assyrer, Aramäer, Chaldäer, Armenier, Kopten und Griechisch-Orthodoxe im Stammland der Christen mehr geben. Die Vielfalt der christlichen Konfessionen - in Syrien sind es elf - wird dann für immer verschwunden sein. Minderheiten werden leicht zu Zielscheiben von Konfliktparteien.
Während sich die Zahl der Christen seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten im Irak vor zehn Jahren halbiert hat und heute nur noch zwei Prozent der fast 30 Millionen Iraker Christen sind, droht in Syrien das gleiche Szenario. Als das Land 1945 unabhängig wurde, waren rund 20 Prozent der Syrer christlichen Glaubens, bei Ausbruch des Bürgerkrieges vor zweieinhalb Jahren wurden sie nur noch auf knapp zehn Prozent geschätzt. Mit zunehmendem Einfluss der radikalen Islamisten könnte sich diese Zahl jedoch weiter drastisch verringern. Denn die Mehrheit der Christen in Syrien gilt als Anhängerschaft von Machthaber Bashar a-Assad und dessen Regime, obwohl die Freie Syrische Armee auch über ein christliches Rebellenbataillon verfügt. Doch je mehr die Dschihadisten um Al-Nusra und Al-Kaida an Einfluss in Syrien gewinnen, je mehr sind die Christen gefährdet. In einem islamischen Staat, wie ihn die Radikalen propagieren, haben Christen keinen Platz - auch wenn Al-Kaida-Anführer Ayman Al-Zawahiri die Islamisten Anfang der Woche in einer Videobotschaft ausdrücklich dazu aufgefordert hat, in ihrem Krieg gegen die Regierungen Christen und andere religiöse Minderheiten zu schonen.
Entsprechend skeptisch äußert sich der armenisch-katholische Erzbischof von Aleppo, Boutros Marayati, über die Zukunft der Christen in Syrien. Weder von den oppositionellen Gruppen noch von den ebenfalls gegen das Regime kämpfenden Dschihadisten gebe es irgendein Zeichen der Ermutigung für die Christen. Er habe keine Hoffnung mehr, dass das Land zu einem friedlichen Zusammenleben der Religionen wie früher zurückkehren werde. Der Angriff auf Maalula habe "symbolischen Wert".