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Syriens Kurden sagen Goodbye

Von Michael Schmölzer

Politik

Die Welt blickt nach Genf - Kurden gründen unterdessen autonome Region.


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Erbil/Genf. Den syrischen Kurden ist es gelungen, im Windschatten der Ereignisse ihre Autonomie im Norden zu festigen. Während in Genf gestritten wird, schafft die bevölkerungsstarke Minderheit einfach Tatsachen. Ohne an den kontroversen internationalen Verhandlungen beteiligt zu sein, konstituierte sich diese Woche in Amuda eine autonome kurdische Provinzregierung. Offizielle Bezeichnung der Behörde: "Cizîre Kanton West Kurdistan". Autonomie ist dabei keineswegs eng definiert: Es wurden bereits ein eigener Präsident, ein Außenminister, ein Minister für Verteidigung, einer für Justiz und einer für Bildung nominiert. Amtssprachen werden Kurdisch und Arabisch sein. Die Verfassung wurde ausgearbeitet, in vier Monaten soll es Wahlen geben.

Mosaik an Stadtstaaten?

Stolz werden gelb-rot-grüne kurdische Flaggen gehisst, ein weiterer Schritt in Richtung endgültiger Zerfall Syriens ist getan. Experten rechnen damit, dass es in dem Bürgerkriegsland bald mindestens drei separate Territorien geben könnte: einen kurdischen Landesteil, einen alawitischen Reststaat am Mittelmeer, in dem Assad seine Getreuen um sich schart, und einen arabischen Teil.

Möglich auch, dass es zu einer völligen Aufsplitterung des Landes kommt, in dem verschiedene Warlords das Sagen haben. Forscher des "Network of researchers of international affairs" (Noria) haben in Feldstudien versucht, in etwa die Grenzen der künftigen Einflussbereiche in Syrien festzustellen. Zumindest vorübergehend könnte ein buntes Mosaik an Stadtstaaten entstehen: säkulare Gebiete mit basisdemokratischer Selbstverwaltung, radikalislamistische Mini-Gottesstaaten, Teheran-hörige Gottesstaatsvarianten und Orte, wo die libanesische Hisbollah das Sagen hat.

Zerstrittenes Volk

Auch die syrischen Kurden, die in etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung Syriens ausmachen, sind untereinander zerstritten. Manche stehen auf der Seite des Regimes, andere kämpfen mit den Rebellen. Fallweise schlagen sich die kurdischen "Volksverteidigungskomitees" auf die Seite der Armee und kämpfen gegen Islamisten. Innerhalb der Opposition, die die Verhandlungen in Genf führt, gibt es ebenfalls Kurden; doch die werden von der stärksten Kurden-Vertretung im Norden, der Partei der Demokratischen Union (PYD) nicht als legitim anerkannt. Die PYD treibt die Autonomie voran.

Die Kurden können trotz aller Differenzen innerhalb Syriens als Profiteure des Bürgerkrieges gelten. Von den Truppen Assads werden sie in Ruhe gelassen und schon im Jahr 2012 haben sie von dem Diktator in Damaskus Autonomie-Zugeständnisse erhalten. Er hatte damals bereits die Kontrolle über den Gesamtstaat verloren, das kurdische Autonomie-Projekt konnte also von langer Hand vorbereitet werden.

In der angrenzenden Türkei, die sich derzeit in einem fragilen Friedensprozess mit der kurdischen PKK befindet, läuten die Alarmglocken. Im Norden des Irak gibt es bereits eine autonome Kurden-Region, wo Kämpfer der PKK ungehindert ein- und ausreisen. Die syrische PYD ist eng mit der PKK verflochten, das Erstarken der Kurden an der türkischen Süd-Ostgrenze ist für Ankara ein Sicherheitsrisiko. Und eine weitere Motivation, die Versöhnung mit der Minderheit voranzutreiben. Erdogan geht auf die Kurden zu, im letzten Jahr gab es sogar ein Treffen mit dem irakischen Kurden-Präsidenten Massoud Barzani in der türkischen Kurden-Hochburg Diyarbakir. Doch immer wieder stocken die Verhandlungen, weil die Kurden der Regierung vorwerfen, die getroffenen Vereinbarungen nicht einzuhalten.

Hoffen auf Ölgeschäft

Von Abspaltung wollen die Kurden im Norden Syriens freilich nicht sprechen. Man strebe vielmehr "ein föderales System" an, so der PYD-Chef, Salih Muslim, das drei autonome Provinzen, Kobane, Afrin und Kamishli umfassen soll. Insgesamt leben 30 Millionen Kurden in den Staaten Türkei, Syrien, Iran und Irak.

Dass sich die neuen autonomen Regionen in Syrien mit den Kurden im Norden Iraks vereinen, ist nicht wahrscheinlich. Es gibt hier immer wieder Konflikte, die das verhindern. In Erbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, sollte zuletzt eine pankurdische Konferenz stattfinden, auf der Repräsentanten aller Teile Kurdistans eine Vertretung wählen. Aufgrund der zahllosen Rivalitäten wurde die Konferenz mehrmals verschoben und schließlich abgesagt.

Ob sich die Kurden in Syrien durchsetzen können, hängt auch davon ab, ob es gelingt, eine ökonomische Basis zu schaffen. Wie im Irak gibt es auch in Nordsyrien Erdöl. Wenn es den Kurden gelingt, Verträge mit ausländischen Ölgesellschaften zu schließen, stünde die Siegerstraße offen.

Das ist im Autonomiegebiet Irakisch-Kurdistan der Fall: Dort ist seit Jahren eine der wenigen Erfolgsgeschichten des Nahen Ostens zu beobachten. Große internationale Fluglinien steuern Erbil an. In den Straßen ist von terroristischen Anschlägen nichts zu bemerken. Man sieht neue, teure Autos, eine reich gewordene Mittelschicht tummelt sich in den Shopping Malls, man trinkt Cappuccino in mondänen Kaffeehäusern. Hier sitzen die großen Sieger er Arabischen Revolution, heißt es.

Noria-Studie