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Syriens Palästinenser vor verschlossener Tür

Von Michael Schmölzer aus dem Libanon

Politik

Lokalaugenschein der "Wiener Zeitung" im Beiruter Palästinenser-Lager Schatila.


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Beirut. Es ist ein trostloses Ghetto. Hoch ragen die Mauern auf, die Gassen sind eng, überall lose Stromkabel: Im Beiruter Palästinenser-Lager Schatila sind 18.000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht, die Wohnungen sind überbelegt, oft gibt es keinen Strom und kein Wasser. 1949, nach der großen Vertreibung aus Israel, haben die ersten Palästinenser hier Zuflucht gefunden, seitdem ist das Lager ständig gewachsen. In die Höhe, denn Platz war immer schon Mangelware.

Jetzt gibt es wieder Zuzug. Täglich flüchten 200 Palästinenser vor dem syrischen Bürgerkrieg in den Libanon, sie finden bei Verwandten oder Freunden Unterschlupf , auch in Schatila. Zusätzlicher Wohnraum wird nicht geschaffen, man hofft, die leidlich geduldeten Gäste bald wieder los zu sein. Syrische Palästinenser erhalten keine Aufenthaltserlaubnis - das wollen Libanons Christen so, die in den Neuankömmlingen eine politische Gefahr sehen. Immerhin hat der Libanon einen blutigen Bürgerkrieg hinter sich, in dem die Palästinenser keine unwesentliche Rolle gespielt haben. Abgeschoben werden die Flüchtlinge nicht. Sie dürfen bleiben, bis der Krieg zu Ende ist.

Ziad Himmo, Vorsitzender des lokalen Volkskomitees und damit Bürgermeister von Schatila, beschreibt die Zustände im Ghetto. Das Areal ist nicht an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen, hier gibt es Grundwasser, das nicht trinkbar ist. Die Flüssigkeit, die aus den Hähnen kommt, ist braun und schmeckt brackig, Strom gibt es nur sechs Stunden. Ein Arzt hat sich täglich um 70 Patienten zu kümmern, "gegen jede Krankheit wird Aspirin verschrieben", zuckt Himmo mit den Schultern. Eine Arbeitserlaubnis hat hier niemand, die Mehrheit lebt von Zuwendungen Verwandter aus dem Ausland. Dazu kommen Spenden der Hisbollah, des Islamischen Jihad und der Hamas. Von der UNO fühlt man sich im Stich gelassen.

Der Bürgerkrieg in Syrien hat zu einer Völkerwanderung geführt, deren Folgen noch nicht abschätzbar sind. Insgesamt 500.000 Palästinenser leben in Assads Staat, 170.000 davon in dem Damaszener Stadtteil Yarmuk. "Dort herrschen unter normalen Umständen gute Wohnverhältnisse, das ist kein Ghetto, da könnte man neidisch werden", sagt Imad al Kara, stellvertretender Bürgermeister von Schatila.

Doch in Zeiten wie diesen ist nichts normal. Im Dezember wurde es für die Bewohner Yarmuks gefährlich, syrische Rebellen und Palästinenser, die die Regierung Assad unterstützen, gingen schwer bewaffnet aufeinander los. Die Folge war eine enorme Flüchtlingswelle, schon 100.000 Menschen haben Yarmuk den Rücken gekehrt; sie sind in den Libanon und nach Jordanien geflüchtet. Jetzt leben sie in Notunterkünften ohne Wasser, Heizung und Strom oder in Zelten wie im jordanischen Flüchtlingslager Zaatari.

Dort ist es kalt geworden, die Zelte versinken im Schlamm, Schneestürme fegen durch das Lager. Drei Kinder sind bereits erfroren, die Gasheizungen setzen Zelte in Brand. Vor den Parlamentswahlen am gestrigen Mittwoch hat Jordanien die Grenzen für palästinensische Flüchtlinge dichtgemacht. Schon 1970 war das jordanische Königshaus mit einem palästinensischen Putsch konfrontiert, seitdem ist man vorsichtig. Wurden zuletzt täglich 1000 Neuankömmlinge aufgenommen, heißt es nun: "Das Boot ist voll."