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Syriens Rebellen hungern Zivilbevölkerung aus

Von Michael Schmölzer

Politik

Oppositionelle nehmen immer öfter Zivilisten in Geiselhaft.


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Damaskus/Wien. Die syrischen Aufständischen wollen die Industriestadt Aleppo unter ihre Kontrolle bringen - und das um jeden Preis. Kämpfer der Opposition haben Stadtteile, die von der Armee gehalten werden, systematisch abgeriegelt. Damit sollen der Nachschub für Staatschef Assads Soldaten unterbrochen und die Regierungskräfte in die Knie gezwungen werden. Folge ist, dass sich die Versorgung von zwei Millionen Zivilisten mit Nahrungsmitteln dramatisch verschlechtert hat. Die Lebensmittelpreise in den abgeriegelten Stadtteilen sind bereits ins Unermessliche explodiert, es droht eine Hungersnot. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatten die Rebellen die in den Westteil führenden Straßen Aleppos offen gehalten, damit die Ernährung der Zivilisten sichergestellt ist.

Die Einkesselung ist auch unter den Assad-Gegnern umstritten. Einige sprechen von einem "Verbrechen", andere von einem "unvermeidlichen Nebeneffekt" des Bürgerkrieges. Das Abschnüren des Westteils sei nicht geplant gewesen, sondern eine unglückliche Folge der Kämpfe, rechtfertigt sich etwa ein Rebell. Mitschuld trage das Regime, das die Soldaten versorge und die Zivilisten hungern lasse. Außerdem würde auch die Armee auf jedes Auto schießen, das in den Westteil überwechseln wolle. Andere Oppositionelle rufen zu einer sofortigen Beendigung der Blockade auf: "Das ist ein Verbrechen und manche unserer Einheiten - Gott belehre sie eines Besseren - machen mit. Es herrscht schrecklicher Mangel", so ein Rebell gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Greift Opposition

zu Chemiewaffen?

In der Tat ist es so, dass die zerstrittenen Oppositionsgruppen den Druck auf Zivilisten in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sukzessive erhöhen. Die "Neue Zürcher Zeitung" berichtet, dass Rebellen seit Tagen Wohnsiedlungen im Westen Aleppos mit Granaten und Raketen beschießen. Angesichts der täglichen Luft- und Artillerieangriffe der syrischen Armee auf Wohngebiete im ganzen Land sei das gerechtfertigt, lautet die Argumentation. Unklar ist, ob die Rebellen mittlerweile auch zu Chemiewaffen greifen. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin will Beweise dafür haben und diese den Vereinten Nationen bereits vorgelegt haben. Russische Experten hätten nach einem Rebellen-Angriff auf ein Dorf in der Nähe von Aleppo Spuren des Nervengases Sarin gefunden, so Tschurkin. Die USA, Frankreich und Großbritannien beschuldigen die syrische Armee, Chemiewaffen eingesetzt zu haben.

Unterdessen sehen sich die Rebellen im Süden Syriens in die Defensive gedrängt. Rund um Damaskus ist die Initiative auf die Armee übergegangen, Oppositionelle mussten einige Vororte räumen. Dramatisch ist die Lage aus Sicht der Assad-Gegner in Homs, der drittgrößten Stadt Syriens. Die verbliebenen Aufständischen im Zentrum und im Norden werden seit Tagen von der Armee bombardiert. Die Angriffe haben ganze Straßenzüge in Kraterlandschaften verwandelt, hier halten sich kaum noch Zivilisten auf. Jetzt ist die Armee in das seit über einem Jahr umkämpfte Viertel Khaldiyeh eingedrungen. Die Nachschubverbindungen der Rebellen sind zusammengebrochen, es besteht die Gefahr, dass auch die letzten Bastionen fallen. Dann hätte die Armee einen weiteren wichtigen Verkehrsknotenpunkt unter ihre Kontrolle gebracht, an dem sich die zentralen Nord-Süd und Ost-West-Achsen des Landes kreuzen. Die Rebellen in Homs kamen unter Druck, nachdem die Armee im Juni die Stadt Kusair erobert hatte. Damit waren für die Rebellen die Verbindungswege in den Libanon gekappt.

Militärexperten sagen gegenüber der "Wiener Zeitung", dass die syrische Armee trotz ihrer Erfolge nicht damit rechnen kann, den Bürgerkrieg rasch für sich zu entscheiden. Die Streitkräfte seien nach wie vor zu schwach, um an den verschiedenen Kriegsschauplätzen gleichzeitig die Initiative zu übernehmen - was für einen Sieg nötig wäre. Assads Soldaten gewinnen im Süden Territorium, während sie im Norden Verluste hinnehmen müssen.