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Syrischer Knoten

Von Michael Schmölzer

Politik

Lösung des Syrien-Krieges ohne al-Assad nicht mehr realistisch, Friede weit entfernt.


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New York. Kann es in Syrien eine Beendigung des Krieges ohne Einbindung von Machthaber Bashar al-Assad geben? An dieser Frage scheiden sich global die Geister, wie gestern bei der UN-Vollversammlung in New York zu beobachten war. Der Bürgerkrieg gleicht damit einem gordischen Knoten und er hat bereits die besten Diplomaten verschlissen: Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan hat aus Wut über die Zerstrittenheit der Weltgemeinschaft schon 2012 das Handtuch als Sonderbeauftragter geworfen. Sein Nachfolger, Lakhdar Brahimi, tat es ihm zwei Jahre später gleich. Seitdem liegt der Konflikt, der 250.000 Tote gefordert hat, auf diplomatischem Eis.

Jetzt ist Syrien, nicht zuletzt wegen der Flüchtlingskrise, stärker in den Fokus geraten, einiges gerät in Bewegung. US-Präsident Barack Obama hat gestern in seiner Rede vor der UNO betont, dass man mit dem Iran und Russland zusammenarbeiten werde, um den Krieg zu beenden. Einen gemeinsamen Nenner gibt es bereits: die Bekämpfung der Terrormiliz IS. Gleichzeitig gewinnt die Vorstellung, dass es keine Lösung in Syrien ohne Einbeziehung Assads geben kann, ständig neue Anhänger.

Kontaktgruppe

Den unmittelbaren Anstoß für die neuen diplomatischen Bemühungen liefert Moskau. Der Kreml, von Beginn an auf der Seite Assads, hat sein militärisches Engagement in Syrien massiv verstärkt. Die syrische Armee fliegt seit Tagen Angriffe mit Kampfjets, die sie von Russland bekommen hat. Zudem hat das russische Militär Panzer, Abwehrraketen und Soldaten in den Nordwesten des Landes verlegt. Parallel dazu will der Kreml eine neue Koalition gegen den IS schmieden - mit Assad an Bord. Außerdem soll eine Kontaktgruppe gebildet werden, die im Oktober zusammenkommen könnte. Vertreten sein sollen alle relevanten nationalen und internationalen Player. Derartige Treffen gab es in der Vergangenheit, sie scheiterten alle.

Auch diesmal sieht es nicht gut aus, denn die syrische Opposition lehnt Assad als Gesprächspartner ab.

Washington steht im Bürgerkrieg nicht auf der Seite Russlands. Der US-Plan, moderate Rebellen im Norden auszurüsten und Assad so zu stürzen, ist gescheitert. Jetzt ist guter Rat teuer. Obama geht auf den russischen Vorstoß ein und sucht das Gespräch. Auf dem Programm stand gestern eine einstündige Unterredung zwischen Obama und Putin.

Das Treffen ist bemerkenswert, denn seit der Affäre Snowden ist Obama direkten Begegnungen mit Putin aus dem Weg gegangen. Die Vertrauensbasis ist nach der Annexion der Krim durch Russland ramponiert. Putin hat aber Gründe, einzulenken und eine Annäherung mit dem Westen anzustreben - will er die schmerzhaften Sanktionen, die die EU und die USA verhängt haben, loswerden.

Putin schilderte vor dem Treffen mit Obama in New York zwei US-TV-Sendern seine Sicht auf Syrien: Russland werde "an keinen Operationen auf dem Territorium Syriens teilnehmen. Derzeit planen wir dies nicht." Der Kremlherr im Wortlaut: "Mehr als 2000 Kämpfer aus der ehemaligen Sowjetunion befinden sich in Syrien. Es besteht die Gefahr, dass sie zu uns zurückkommen. Anstatt auf sie zu warten, helfen wir lieber Assad im Kampf gegen sie auf dem Territorium Syriens. Wenn wir die legitimen Machtstrukturen zerstören, könnten wir eine Situation schaffen, die wir heute in anderen Staaten der Region beobachten, zum Beispiel in Libyen, wo alle staatlichen Institutionen vollkommen zerfallen sind. Es gibt keine andere Lösung des syrischen Problems als die legalen staatlichen Strukturen zu stärken, ihnen im Kampf gegen den Terrorismus zu helfen, aber sie zugleich zu einem positiven Dialog mit dem gesunden Teil der Opposition und zu einer politischen Umgestaltung anzuregen." Außerdem wolle Russland verhindern, "dass sich die Lage ,somalisiert‘".

"Die Lage" ist nach mehr als vier Jahren Bürgerkrieg freilich so verfahren, dass sie nur schwer entwirrbar ist. Und es ist gerade die Rolle, die Assad künftig spielen wird, wo es sich spießt. Der Iran will genau wie Russland auf keinen Fall, dass der Diktator geschwächt wird. Vielmehr gelte es, Seite an Seite mit dem syrischen Diktator den IS zu bekämpfen. Der Iran unterstützt das syrische Regime mit Milliarden-Krediten, Öllieferungen und Militärhilfe. Ohne Teheran und die mit dem Iran verbündete Hisbollah wäre Assads Regime längst gestürzt.

Für die USA ist Assad weiterhin indiskutabel, Obama hat ihn gestern vor der UNO wörtlich einen "Tyrannen" genannt. Und ob es nach dem Atom-Deal tatsächlich eine Zusammenarbeit mit dem Iran geben kann, ist offen. Frankreich steht an der Seite der USA, Paris ist ein ausgewiesener Gegner Assads. Hier ist man ebenfalls der Ansicht, dass der Machthaber kein Gesprächspartner sein kann und sofort entfernt werden muss. Noch.

Assad bald wieder salonfähig?

Denn gerade in diesem Punkt finden derzeit große Verschiebungen statt. Deutschland hat sich für einen pragmatischen Mittelweg entschieden. Assad könne zwar nicht Teil einer langfristigen Lösung sein, heißt es in Berlin. In der akuten Situation müsse man sich aber mit allen Kräften zusammensetzen, die Einfluss auf den Konflikt hätten - auch mit Assad. London rückt von der Forderung eines sofortigen Rücktritts Assads ab. Premier David Cameron könne sich jetzt vorstellen, dass der syrische Diktator über kurze Zeit in einer Regierung der nationalen Einheit bleiben könnte. Und die Türkei, lange der Erzfeind Assads, hat jetzt formal dem IS den Krieg erklärt und scheint ihre Position ebenfalls zu überdenken.