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Szenen eines Wahlsonntags

Von K.Huhold, S. Melichar, M.Nagl, S.Dirnbacher, W.Zaunbauer

Politik

Am Wahlsonntag ist die Stimmabgabe die letzte Inszenierung vor der Stunde der Wahrheit. Begleitet von Journalistentrossen, schreiten die Spitzenkandidaten zur Urne - meist im Kreise ihrer Familie oder mit ihren Lebenspartnern. Für die Fotografen ergibt sich der eine oder andere Moment für einen Schnappschuss - und die Journalisten bekommen noch einmal eine Wortspende.


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KPÖ-Kandidaten blieben unerkannt

Wien. "Wer ist denn das, bitte?", fragt eine im Rollstuhl sitzende Pensionistin überrascht. Gefolgt von fast einem Dutzend Fotografen hat gerade ein kleiner Mann mit Schnurrbart und ausgewaschenem Sakko das Seniorenheim "Josef Macho" in der Leopoldstadt betreten. Begleitet wird er von einer Frau mit knallgrüner Tasche. Dunkles Rot ist aber die politische Farbe der beiden Spitzenkandidaten, die hier wählen gehen: Mirko Messner und Melina Klaus von der KPÖ.

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Auch wenn sie offensichtlich noch nicht jeder kennt, ist Klaus von dem großen Medieninteresse bei ihrer Stimmabgabe überrascht. "Am liebsten hätte ich das selbst fotografiert", schmunzelt die Pädagogin.

Generell sei die Partei in diesem Wahlkampf mit ihren Themen, wie die Verkürzung der Arbeitszeit, an die Öffentlichkeit gedrungen. Allein dies sei schon ein Erfolg.

Nun ist Klaus aber sichtlich erleichtert, dass der Wahlkampf vorbei ist. "Es ging an die Grenzen, da wir keinen Parteiapparat haben", meint die Aktivistin, die wie Messner ehrenamtlich bei der KPÖ engagiert ist.

Für die in Wien kandidierende Klaus lautet das Wahlziel, das BZÖ neuerlich wie bei den Gemeinderatswahlen 2005 in der Hauptstadt zu übertrumpfen.

Der bundesweite Spitzenkandidat Messner wäre "sehr zufrieden mit einem sichtlichen Zugewinn". Als Maximalziel gibt er ein Grundmandat aus. "Mit viel Glück ist es vielleicht drin", gibt sich der Slawist zunächst optimistisch.

Hans-Peter Martin - jetzt oder nie

Knapp nach 11 Uhr marschierte ein sichtlich gut gelaunter Hans-Peter Martin schnellen Schritts in sein Wahllokal im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Begleitet wurde er von seiner Frau, Heike Kummer, die ihm fest untergehakt den Rücken stärkte.

Noch bevor Martin seine Stimme abgab, konnte er sich vor den zahlreichen Reportern in Wahlkampfrhetorik üben: "Es ist ein guter Tag. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die Österreicher nicht werden blenden lassen von Parteien, die Millionen von Steuergeldern für den Wahlkampf verschwendet haben."

Unter viel Händeschütteln stellte er im Wahllokal zuerst seine Frau vor. Artig nannte er auch seinen Namen und überreichte der Wahlhelferin den Pass - was diese trocken quittierte: "Er ist es, unzweifelhaft."

Beim Einwerfen des Kuverts bekam Martin wieder Unterstützung von Kummer, die an seine Seite trat, während er immer wieder von den Fotografen dazu aufgefordert wurde, in die jeweilige Kamera zu schauen.

Auf die Frage eines Freundes, der die beiden zum anschließenden Brunch abholte, wen er denn gewählt habe, scherzte Martin: "Das ist doch Wahlgeheimnis."

Beim Rausgehen wurde er aber wieder ernst: Als ein Journalist die Frage stellte, ob er denn nochmals kandidieren würde, wenn er diesmal den Einzug in den Nationalrat nicht schaffte, kam ein entschlossenes: "Sicher nicht. Ich habe den Wählern ein einmaliges Angebot gemacht."

BZÖ-Chef wählte "An der Hölle"

Wien. Die "orange Sonne", die BZÖ-Obmann Peter Westenthaler im Wahlkampffinish so oft beschworen hatte, wollte nicht mitspielen. Trotz bester Wetterprognosen konnte sie sich nicht dazu entschließen, am Wahltag den Hochnebel über der Stadt zu durchbrechen.

Dass dies ein schlechtes Omen sein könnte, wies Westenthaler bei der mittäglichen Stimmabgabe in einem Kindergarten im Süden Wiens zurück. "Die Sonne kommt erst am Nachmittag heraus", erklärte der BZÖ-Chef.

Optimistisch gab sich Westenthaler nicht nur, was das Überspringen der Vier-Prozent-Hürde für einen Einzug in den Nationalrat angeht, er rechnete nach wie vor mit den als Wahlkampfziel ausgegebenen sieben Prozent der Wählerstimmen. Begleitet wurde Westenthaler von seiner Frau Dagmar und Töchterchen Conny. Man zeigte sich familiär und entspannt. Zum Familienfrühstück hätte es "Kuchen und ein weiches Ei" gegeben.

In dem Kindergarten, der an einem Weg mit dem Namen "An der Hölle" liegt, reichte der BZÖ-Chef jedem Wahlhelfer höflich die Hand. Und auch wenn keinerlei Missverständnisse zu erwarten gewesen wären, stellte er sich vor: "Mein Name ist Westenthaler."

Prompt erhielt "der Herr Ingenieur" seinen Stimmzettel. Beim Einwerfen des Kuverts in die Urne ließ er sich von seiner Tochter helfen. So rasch, wie sie gekommen war, verließ Familie Westenthaler das Wahllokal. Den Nachmittag wollte sie mit Freunden verbringen. "Vielleicht wird es ein langer Abend", meinte Westenthaler. Das könnte darauf hindeuten, dass man beim BZÖ doch mit einem engeren Ergebnis gerechnet hatte als zugegeben.

Schwarz-Grün vor dem Wahllokal

Wien. Die grünen Wahlstrategen hätten das weltoffene Ambiente nicht besser auswählen können. Doch es war Zufall, dass sich das Wahllokal des grünen Spitzenkandidaten Alexander Van der Bellen in einer zweisprachigen Volksschule in Wien-Währing befand. Von dem Medienrummel vor dem Gebäude zeigten sich die größtenteils älteren Wähler wenig beeindruckt. Nur ein kleines Mädchen beschwerte sich. "Die müssen mich auch fotografieren", forderte sie in Richtung der Fotografen. Ihr Wunsch blieb unerfüllt.

Ein älterer Herr sinnierte über das Leben und schien den Medienrummel gar nicht richtig zu bemerken. Er sagte beim Anblick eines kläffenden Dackels: "Ein Hund müsste man sein." Vielleicht war das eine Andeutung auf die Schwierigkeiten bei der Wahlentscheidung, die einem als Tier erspart blieben. Dennoch war er überzeugt: "Ich habe richtig gewählt." Ein anderer Wähler war weniger gelassen. Er erkundigte sich, wegen wem die vielen Kameras und Fotografen hier sind. "Doch ned für ihn", sagte er erregt, als er erfuhr, dass das Medieninteresse dem Grünen-Chef galt.

Der Wirtschaftsprofessor selbst hoffte auf "das beste Wahlergebnis in der Geschichte der Grünen". Auf den Kampf um Platz drei angesprochen, zeigte sich Van der Bellen, der von seiner Gattin Brigitte begleitet wurde, zurückhaltend. Es wäre ein "kulturpolitisches Signal", aber auch "wenn es nicht funktioniert, gehts am Montag weiter." Auch für ihn, wie er betonte.

Der Wahlkampf dauerte für Van der Bellen bis knapp vor der Wahlkabine. Denn Umweltminister Josef Pröll nutzte in Begleitung seiner Familie das rege Medieninteresse aus und schritt wenige Minuten vor Van der Bellen zur Wahl. Im Stiegenhaus der Volksschule kam es zum freundlichen Aufeinandertreffen mit Händedruck und Glückwünschen.

Bis zum Schluss in der Disko

Wien. "Na, den Strache brauch i ned sehen." Sichtlich unerfreut reagierte ein etwa 70-jähriger Wähler, als er erfuhr, auf wen die Journalistenmenge vor dem Wahllokal in der Hainburgerstraße in Wien-Landstraße wartete. "Um Gottes Willen", bekräftigte seine Frau. Kurz nach halb drei trat dann als letzter der Parteichefs FPÖ-Vorsitzender Heinz-Christian Strache den Urnengang an. "Wir waren bis zum Schluss in diversen Diskotheken wahlkämpfen", begründete Strache, sichtlich blass und gewohnt heiser, den späten Termin. Er kam allein, hatte der seit einem halben Jahr Geschiedene doch schon im Wahlkampf verkündet: "Meine Braut heißt Österreich."

Etwas inszeniert wirkte es, als sich Strache auf einen vorbeikommenden Passanten stürzte: "Haben sie schon gewählt?" Prompt begann der Mann zu applaudieren.

Begleitet von vereinzelten "Buh-" und "Pfui"-Rufen ging es dann ins Wahllokal, wo aus der geheimen beinahe eine öffentliche Stimmabgabe wurde: Ein Kameramann filmte über den Paravent, hinter dem der FPÖ-Chef seinen Wahlzettel ausfüllte. Empörte Wahlhelfer pfiffen ihn zurück.

"Wir sind guter Dinge", kommentierte Strache Journalistenfragen nach seinem Befinden und wiederholte noch einmal seine Wahlziele: "Wir wollen ein zweistimmiges Ergebnis einholen und die Grünen auf Platz vier verweisen." Denn eine Zuwanderungsministerin Teresija Stoisits, bei der dann 365 Mal im Jahr Tag der offenen Tür ist, könne nicht im Sinne der Österreicher sein, spielte Strache auf die liberale Einwanderungspolitik der Grünen an.

Gusenbauers guter Tag

Ybbs/Wien. "Ich will ihn nur sehen", schwärmte die 82-jährige Grete Höller. Geduldig wartete die zierliche Dame in der Eingangshalle der Hauptschule Am Schulring auf Alfred Gusenbauer. In seinem Heimatort Ybbs an der Donau erhielt der SPÖ-Spitzenkandidat einen gebührenden Empfang. Vor dem Wahllokal hatten sich rund dreißig Gusenbauer-Fans versammelt. Sie alle warteten bei frischen Temperaturen und Nebel auf das Eintreffen des Parteivorsitzenden. Ein älteres Pärchen hatte sich sogar auf dem Balkon eines Wohnhauses mit Fotoapparat adjustiert.

Kurz nach zehn traf dann ein gestriegelter Gusenbauer gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Eva Steiner in der Hauptschule ein. Die beiden wurden von Fotografen, Kameramännern und Journalisten umringt. Gusenbauer gab sich betont lässig und wirkte gut gelaunt. Immer wieder drehte er sich von den Fotografen weg, um jemanden zu begrüßen und Hände zu schütteln. Auch Grete Höller wurde eine persönliche Begrüßung zu Teil. Die Ybbserin strahlte über das ganze Gesicht und wünschte dem SPÖ-Chef "alles Gute".

Steiner amüsierte sich unterdessen über den Rummel um ihren Lebensgefährten, ärgerte sich dann aber doch ein wenig, als sie mit den Medienvertretern um die Nähe zu Gusenbauer ringen musste. Dieser stattete noch kurz seiner Mutter Gertrude einen Besuch ab, die als Wahlhelferin in der Hauptschule im Einsatz war. Dann gab er seine Stimme ab. Andere Wähler mussten für diese Zeit draußen bleiben. Sonst hätten die Fotografen und Kameramänner keinen Platz gehabt. "Alles startklar?", fragte Gusenbauer die Medienvertreter, bevor er vor den Kameras zu posieren begann und schließlich den Stimmzettel einwarf.

Im Anschluss an die Stimmabgabe wollte Gusenbauer seinen Vater besuchen, "ein bisserl laufen gehen" und bei seiner Schwester Mittagessen. Konkrete Wahlprognosen traute er sich nicht abzugeben. "Ich habe gehört, dass es knapp werden wird", äußerte sich der SPÖ-Spitzenkandidat. Dennoch war er zuversichtlich und glaubte, dass es "ein guter Tag" werden würde. "Sie sehen mich sehr ruhig und gespannt", lachte Gusenbauer.

Bundeskanzler vergab keine Vorzugsstimme

Wien. "Jede Wahl hegt eine gewisse Spannung", aber nervös sei er nicht, richtete ein ernster aber entspannter Bundeskanzler den zahlreichen Journalisten aus, als er gegen Mittag mit raschem Gang zur Wahl schritt. Gewählt hat Wolfgang Schüssel nach eigenen Angaben "nicht gerade überraschend" die ÖVP, allerdings verzichtete er auf die Vergabe einer Vorzugsstimme. Dafür seien zu viele hervorragende Köpfe auf der Liste, "da war die Qual der Wahl zu groß", meinte ein schmunzelnder Kanzler. Während sich seine Frau Krista bald verabschiedete, stellte sich der Kanzler bei einer Tasse Kaffee den Fragen der Pressevertreter.

Für den heftig und mitunter schmutzig geführten Wahlkampf machte Schüssel die Konkurrenz verantwortlich. Am eigenen Wahlkampf, den nicht er sondern Generalsekretär Reinhold Lopatka konzipiert habe, würde er nichts ändern.

Auf die Frage nach möglichen künftigen Regierungspartnern sagte Schüssel, eine Eigenschaft der österreichischen Demokratie sei es, dass jeder mit jedem reden könne. Auch wenn dieser Grundkonsens in der Vergangenheit zum Teil brüchig geworden sei, hoffe er, diesen wieder herstellen zu können. Angesprochen auf eine bevorzugte Koalitionsform meinte der Kanzler: "Heute hoffe ich auf eine Koalition mit den Wählern". Natürlich werde es nach der Wahl Gespräche geben, sagt der Kanzler. "Wo ist die Alternative?" Reden werde er mit drei anderen Parteien, nämlich mit der SPÖ, den Grünen und dem BZÖ, wobei es ja unsicher sei, ob letzteres überhaupt als Partner infrage komme. Eine Koalition mit der FPÖ schloss Schüssel aus.