Zum Hauptinhalt springen

Tadic ist Favorit des Westens

Von Piotr Dobrowolski

Politik

In Serbien trifft in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen der Reformer Boris Tadic auf den radikalen Nationalisten Tomislav Nikolic. Obwohl alle demokratischen Parteien für | Tadic aufrufen, ist der Wahlausgang alles andere als gewiss.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ginge es nach der Papierform, wäre der Reformer Tadic bereits serbischer Präsident: Die Partei von Vojislav Kostunica (DSS), deren Kandidat im ersten Wahlgang Vierter wurde, ruft ebenso für Tadic auf wie der Drittplatzierte serbische Medienmagnat Bogoljub Karic. Die am Milosevic-Sturz entscheidend beteiligte Jugend- und Studentenorganisation "Otpor" stellt sich genauso hinter den Demokraten Tadic wie die meisten liberalen Intellektuellen. Und schließlich lassen auch die USA und die Europäische Union keine Zweifel offen, wer serbischer Präsident werden muss, damit die Hilfsgelder nach Serbien wieder reger fließen. Über seine Sprecherin ließ EU-Chefdiplomat Javier Solana die Serben wissen: "Alle demokratischen Kräfte sollten sich jetzt hinter Tadic stellen und so für die Zukunft ihres Landes sorgen."

Der radikale Nationalist Nikolic, der in der ersten Runde mit 3 Prozent vor Tadic lag, kann auf derart prominente Fürsprecher nicht zurückgreifen. Hinter ihm und seiner Serbischen Radikalen Partei SRS stehen vor allem die Frustrierten und Enttäuschten: Wendeverlierer, Günstlinge des früheren Regimes und jene, die wider besseres Wissen immer noch großserbischen Allmachts-träumen nachhängen. Sie bilden gewiss nicht die Mehrheit in Serbien und so müsste ein Sieg von Tadic eigentlich ausgemachte Sache sein. Doch wie im Fußball, so entscheidet auch in der Politik nicht immer die Papierform - und schon gar nicht, wenn es sich um serbische Politik handelt.

Entscheidung hängt von der Wahlbeteiligung ab

Serbische Meinungsforscher wagen daher keine eindeutigen Prognosen. Auch nach dem Fernsehduell von Mittwochnacht, das überraschend ruhig und unspektakulär verlief, sind sie überzeugt: der Schlüssel zur Präsidentschaft liegt in der Wahlbeteiligung. "Fällt die Wahlbeteiligung unter 32 Prozent, wird Nikolic gewinnen, bei einer Beteiligung zwischen 32 und 36 Prozent kann sowohl der eine als auch der andere Kandidat siegen, erst ab 37 Prozent neigt sich die Waagschale eindeutig zu Gunsten von Boris Tadic", sagt Srdan Bogosavljevic, Chef der bekanntesten serbischen Meinungsforschungsagentur "Stratedzik marketing".

Womit ein spannendes Rennen programmiert ist: Denn aller Voraussicht nach wird die Wahlbeteiligung kleiner als in der ersten Runde sein und möglicherweise genau in dem unvorhersehbaren Bereich liegen.

Dass die Prognosen sich derart schwer gestalten, hat aber auch andere Gründe: Premier Vojislav Kostunica ruft zwar für Tadic auf, er tut es aber recht halbherzig. Niemand vermag daher zu sagen, ob die Anhänger von Kostunicas DSS auch wirklich dem Aufruf des Chefs folgen. Denn die Gräben zwischen der DSS und der Demokratischen Partei (DS) von Tadic sind tief. Die einstigen Weggefährten beim Sturz von Milosevic, Vojislav Kostunica und der damalige Chef der Demokraten Zoran Djindjic sind sehr bald nach der Wende zu erbitterten Gegnern geworden. Die Kooperation mit Den Haag, die Djindjic befürwortete, Kostunica aber ablehnte, war nur ein, wenn auch zentraler, Streitpunkt. Auch nach Djindjics Ermordung blieb das Verhältnis der beiden Parteien gespannt. Kostunicas DSS ging gar so weit, den toten Djindjic zu bezichtigen, er hätte das Attentat, bei dem er ums Leben kam, selbst inszeniert. In einer Erklärung die aus der Kanzlei der DSS-Partei kam, war zu lesen: "Djindjic wollte mit seinen politischen Gegnern abrechnen und sie alle verhaften lassen. Deshalb hat er als Vorwand ein Attentat vorbereitet, bei dem er nur leicht verletzt werden sollte. Doch es kam anders."

Zum Standardrepertoire der Kostunica-Vorwürfe an die Demokraten und an deren Spitzenkandidaten Tadic gehören auch: Zu große Westlastigkeit und die angebliche Finanzierung der Demokraten durch die Mafia.

Kampf um die Stimmen der Unentschlossenen

Der Drittplatzierte Karic wiederum, der nun ebenfalls für Tadic aufruft, hat im Wahlkampf immer wieder national-chauvinistische Töne anklingen lassen - etwa wenn er dem belustigten Publikum vorrechnete, dass die Serben pro Jahr 20 Millionen Euro für importierten grünen Salat ausgeben: "Wäre ich Präsident, ich würde den Salatimport verbieten und wir würden den Salat viel billiger selbst anbauen." Ob Wähler, die in der ersten Runde Argumente dieser Art für überzeugend hielten, in der zweiten Runde tatsächlich für den erklärten EU-Befürworter Tadic stimmen, bleibt ungewiss. Sie wählten Karic ja vor allem, um gegen das politische Establishment zu protestieren. Und in den Augen vieler Serben ist der Demokrat Tadic in deutlich größerem Maß Teil des Establishments als der Nationalist Nikolic.

Um die noch Unentschlossenen auf seine Seite zu ziehen, hat der Wahlstab von Nikolic in den letzten Tagen vor dem zweiten Wahlgang daher auch eine Reihe von Angriffen gestartet, die Tadic als einen Privilegienritter entlarven sollten. Der Chef des Nikolic-Wahlstabs etwa warf Tadic vor, dieser würde gar nicht daran denken, seine Amtsvilla im Belgrader Nobelbezirk Dedinje, die er als Verteidigungsminister von Serbien und Montenegro bezog, zu räumen - obwohl er schon seit Monaten nicht mehr Minister ist: "Der Mann lässt das ganze Haus renovieren. Für wen tut er das, frage ich. Für seinen Nachfolger vielleicht?"

Von Kostunicas DSS wiederum hat der Nikolic-Wahlstab den Vorwurf übernommen, Tadic würde seinen Wahlkampf von korrupten Geschäftleuten finanzieren lassen. Eine Anschuldigung, auf die Tadic allerdings mit einer deftigen Retourkutsche reagierte: "Oft haben diejenigen, die besonders laut `Haltet den Dieb` schreien, die engsten Verbindungen mit der kriminellen Welt. So unklar es auch bleibt, wem die Wähler ihre Stimme letztlich geben werden, so klar sind hingegen die Stärken der beiden Kandidaten. Tadic punktet laut Meinungsumfrage überall dort, wo es um die Integration mit dem Westen, Arbeitsplätze und Fragen der ökonomischen Entwicklung geht. Nikolic spricht vor allem jene an, denen radikalpatriotische Werte und autoritär geführter Kampf gegen die Korruption wichtig sind.

Karic hofft auf Gegenleistungen für seine Unterstützung

Doch selbst wenn das demokratische Serbien sich der Herausforderung gewachsen zeigt und verhindert, dass der Radikalnationalist Nikolic die Präsidentschaft übernimmt - eine Lösung der politischen Probleme im Land wird damit nicht unbedingt erreicht sein. Denn um eine möglichst breite Unterstützung im zweiten Wahlgang zu bekommen, ging Tadic auch im gemäßigt nationalen Lager auf Stimmenfang. Sein etwaiger Sieg wird von dieser Hypothek belastet sein. Denn natürlich haben Karic und Kostunica Tadic nicht ausschließlich aus reiner Nächstenliebe und Staatsräson unterstützt. Sie erwarten sich vielmehr auch Gegenleistungen: Karic etwa hofft, auch wenn viele diese Hoffnung für absurd halten, dass er nach den nächsten Parlamentswahlen so stark ist, dass er mit Tadics Hilfe Regierungschef wird. Kostunica wiederum spekuliert, dass Tadic auch in Zukunft auf das gemäßigt nationale Lager Rücksicht nimmt und die vom Westen eingeforderte Zusammenarbeit mit Den Haag nicht übertreibt.

Und genau darin sehen manche Beobachter auch das Hauptproblem von Tadic: Dass er nach einem möglichen Sieg die hohen Erwartungen, die der Westen in ihn setzt, allein schon aufgrund von innenpolitischem Druck nicht erfüllen wird können.