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Tag der Entscheidung

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Erneut liegt das politische Schicksal von Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi in den Händen der Justiz.


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Rom. Drogendealer werden heute, Donnerstag, vor Gericht in Mailand erscheinen, Diebe und Betrüger. Am Abend werden die Richter dann auch den bekanntesten Straftäter Italiens hereinbitten und über seinen Fall entscheiden: Silvio Berlusconi. Darf der viermalige italienische Ministerpräsident wie beantragt seine einjährige Haftstrafe mit Sozialarbeit abbüßen, oder muss er in den Hausarrest?

Menschen, die Berlusconi nahestehen, beschreiben den 77-Jährigen als nervös, niedergeschlagen und wankelmütig. "Beklommen" sei Berlusconi, gestand sein politischer Berater Giovanni Toti. Ursache sei die Verhandlung, in der sieben Monate nach Berlusconis definitiver Verurteilung wegen Steuerbetrugs im Zusammenhang mit seinem Medienunternehmen Mediaset über die Verbüßung seiner Strafe entschieden wird. Sozialstunden bei einer gemeinnützigen Einrichtung, etwa in einem Altenheim in der Nähe von Mailand, oder Hausarrest? Die Frage ist für Berlusconi entscheidend. Ins Gefängnis muss er wegen seines Alters nicht.

Von Renzi an den Rand gedrängt

Im Sozialdienst bliebe dem Ex-Premier ein gutes Stück Bewegungsfreiheit, die für das Überleben der völlig auf seine Person ausgerichteten Partei Forza Italia vor der Europawahl am 25. Mai wesentlich ist. Entscheiden die Richter auf Hausarrest, muss der Ex-Cavaliere bei guter Führung für mindestens neun Monate von der politischen Bildfläche verschwinden. Jeder Kontakt zur Außenwelt müsste mit den Richtern abgestimmt werden. Berlusconis Gegner hoffen auf dieses Szenario, die Folgen für ihn und seinen Wahlverein wären verheerend.

Berlusconi ist ratlos. "Die tödliche Umarmung zerstört uns alle, aber er weiß nicht, was er machen soll", gestand Toti im Hinblick auf den geschickt agierenden Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Mit ihm hatte Oppositionschef Berlusconi noch vor Monaten einen Pakt für Verfassungsreformen geschlossen. Der Straftäter Berlusconi, der im Oktober aus dem Senat ausgeschlossen wurde, war durch die Hintertür wieder auf die politische Bühne gekommen. Inzwischen aber hat Renzi ihn mit seinem Gespür für Macht und Medien wieder an den Rand des Geschehens gedrängt.

Berlusconi hat auch physisch schon bessere Tage erlebt. Sein Meniskus schmerzt, vielleicht muss er sich operieren lassen. Der verzweifelte Versuch, bei Staatspräsident Giorgio Napolitano um Gnade zu bitten, schlug fehl. Noch mehr dürfte dem Ex-Premier auch die Gewissheit zusetzen, dass sich seine Partei in einem internen Dauerstreit befindet und in den Umfragen immer weiter an Zuspruch verliert. Weniger als 20 Prozent der Italiener würden Forza Italia ihre Stimme geben. Die meisten von ihnen glauben weiter an die vom Verurteilten selbst verbreitete Version, dass eine Verschwörung aus Richtern und Staatsanwälten ihr Idol aus dem Spiel nehmen will.

Deshalb hatte Berlusconi in diesen Tagen auch per Eilantrag beim EU-Gerichtshof für Menschenrechte einen Antrag stellen lassen, um doch noch als Kandidat für die Europawahl zugelassen zu werden. Millionen Italiener könnten dem von ihnen gewünschten Kandidaten ihre Stimme nicht geben, so lautete das Argument. Nun lehnte das Gericht den Antrag als unbegründet ab. Die Freiheitsstrafe mache seine Kandidatur auch in der EU unmöglich.

Berlusconi hat es verpasst, rechtzeitig seine Nachfolge zu klären. Spekuliert wird weiter über eine Kandidatur seiner Tochter Barbara, die das wichtigste aller Qualitätsmerkmale für Forza-Italia-Wähler besitzt: Sie trägt den Namen Berlusconi. Alles hängt von der Entscheidung der Richter ab, die auch darüber befinden werden, ob der Senior Wahlkampf machen darf. Wenn nicht, muss er sich in seine Villa San Martino in Arcore bei Mailand zurückziehen. Sie war einst Schauplatz der Bunga-Bunga-Feste.