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Tage des Zorns auch in Georgien

Von Gerhard Lechner

Politik

Anführer der Rosenrevolution von 2003 unter Druck. | Auch im Westen immer weniger Unterstützung. | Tiflis/Wien. Vielleicht erinnert sich Georgiens Präsident Michail Saakaschwili noch an das Jahr 2005. Damals war der Anführer der Rosenrevolution, der im Spätherbst 2003 Eduard Schewardnadse aus seinem Amt verdrängte, am Zenit seines Ansehens: Der junge, energische Staatschef erhielt europäische und US-Preise für Demokratie, Recht und Ordnung und wurde von den damaligen US-Senatoren Hillary Clinton und John McCain sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.


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Solcher Ruhm und Glanz ist längst vergangen. Mittlerweile protestieren die Georgier gegen Saakaschwili ebenso wie früher gegen das korrupte System seines Vorgängers Schewardnadse, das der in den USA ausgebildete Hitzkopf eigentlich verändern hatte wollen. Analog den Protesten in der arabischen Welt werden auch in Tiflis "Tage des Zorns" ausgerufen. Dem Aufbegehren schließen sich viele frühere Weggefährten Saakaschwilis an, wie Ex-Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die bereits vom Beginn einer "neuen Revolution" sprach. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gingen die Sondereinheiten des Innenministeriums am Mittwochabend mit Gummiknüppeln, Tränengas und Wasserwerfern "unverhältnismäßig brutal" gegen eine friedlich protestierende Menge vor. Mindestens 39 Menschen wurden verletzt, mehrere prominente georgische Oppositionelle gelten als vermisst. Auch Tote waren zu beklagen: Ein Polizist und ein Zivilist wurden von einem Auto überfahren.

Versandete Reformen

Der Unmut in Georgien ist groß: Die vom strikt prowestlich orientierten Saakaschwili anfangs initiierten Reformen gegen die tief eingewurzelte Korruption haben nicht zur Anhebung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten geführt. Vor kurzem wurden dazu noch Unterstützungszahlungen für Pensionisten und sozial Bedürftige gestrichen. Noch schwerer wiegt, dass der Präsident schon nach kurzer Zeit an der Macht einen autoritären Kurs einschlug.

Dabei wollen auch üble Gerüchte nicht verstummen: Dass die Gasvergiftung, an der der schillernde Premierminister Surab Schwania im Februar 2005 starb, ein Unfall war, hatten Angehörige des Politikers nicht glauben wollen. Nach Vorwürfen, Saakaschwili habe die Liquidierung eines missliebigen Geschäftsmannes angeordnet, kam es im November 2007 erstmals zu Massenprotesten gegen den Präsidenten. Der musste den Ausnahmezustand ausrufen. Auch Gerüchte über Begünstigung von Verwandten heizten den Zorn der Menge an.

Die daraufhin festgesetzten Neuwahlen im Jänner 2008 gewann - unter Betrugsvorwürfen - aber erneut Saakaschwili: Die zersplitterte Opposition hatte sich für den schnell durchgeführten Urnengang auf keinen zugkräftigen Kandidaten einigen können.

Problematisch für Saakaschwili ist auch, dass er, seit seinem Angriff auf Südossetien im August 2008, der eine russische Intervention herausforderte, im Westen als unberechenbar und impulsiv gilt. Auch US-Medien beschreiben den einstigen Liebling mittlerweile als undemokratisch, von illegalen Festnahmen und Folterungen ist die Rede. Saakaschwili selbst verfällt bei Kritik an seiner Person in bekannte Muster: Die Proteste würden den Versuch darstellen, "ein Szenario umzusetzen, das außerhalb Georgiens geschrieben wurde", meinte der Präsident in Anspielung auf mögliche Einflussnahme aus Russland. Da am Donnerstag die Militärparade zum 20. Jahrestag der Unabhängigkeit stattfand, unterstellte Saakaschwili der Opposition, ihr Ziel sei Rache an der georgischen Armee, "die 2008 einer mehrfach überlegenen Kraft heroisch Widerstand leistete."