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Täglicher Nahkampf im Ort Vrutky

Von WZ-Korrespondentin Karin Bachmann

Europaarchiv

Reportage: Vrutky kämpft mit Vorwurf der Ghettoisierung von Roma. | Polizei und Sozialarbeiter haben resigniert. | Vrutky. Jan Mlynar ist sichtlich überfordert. "Ich sage dazu gar nichts mehr, die Sache ist erledigt, jetzt ist Schluss": Der Amtsvorsteher der nordslowakischen Kleinstadt Vrutky redet sich in Rage, sobald das Wort "Roma" fällt. Die Slowakei und das benachbarte Ausland blicken auf ihn und Oberbürgermeister Miroslav Mazur als mutmaßliche Vorkämpfer der Ghettoisierung von Roma. | Umstrittenes Gesetz zum Sprachgebrauch


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Am 21. Juni beschließen die Stadtverordneten auch über die Umsetzung von Mazurs Programm bis 2014. Der Parteilose hat den Bürgern eine Lösung ihrer Probleme mit Roma in Aussicht gestellt. Damit ist der tägliche Nahkampf in der Kafendova-Straße unweit des Bahnhofs gemeint.

In fünf städtischen Wohnhäusern und drei Wohncontainern leben hier Roma. Wie viele es tatsächlich sind, weiß niemand. Der Rat der Nichtregierungsorganisationen der Roma-Gemeinschaften hat im Vorjahr in ganz Vrutky 122 Roma gezählt. Das für seine sauberen und schmucken Fassaden an sich oft gerühmte Städtchen hat insgesamt rund 7300 Einwohner. Schätzungen zufolge halten es auf der Kafendova deutlich mehr als 200 Roma, allesamt ohne Job, mehr schlecht als recht miteinander aus.

Gleich gegenüber liegt ein Kindergarten. Zwischen ihm und den Roma-Häusern will Mazur einen zwei Meter hohen Betonzaun errichten lassen. Damit nimmt er sich scheinbar zum Vorbild, was beispielsweise in den ostslowakischen Städten Trebisov und Michalovce geschehen ist. Dort zogen Bürger kurzerhand Mauern hoch, um sich vor aus ihrer Sicht marodierenden Roma-Banden aus der nächsten Umgebung zu schützen, die angeblich vor ihren Häusern schubkarrenweise Müll hinterließen oder dort ungeniert urinierten.

"Sind keine Kannibalen"

Mazur besteht darauf, dass es ihm gerade nicht um eine Mauer geht. Vielmehr wolle er die ohnehin vorgeschriebene Umzäunung des Kindergartens erneuern. Der Betonzaun soll länger halten als die kläglichen Überbleibsel von Maschendraht, der längst an unzähligen Stelle zerrupft, eingetreten oder aus seiner Halterung herausgerissen ist. Die Mitarbeiter des Regionalbüros des Romabeauftragten der Regierung in Banska Bystrica geben Mazur Recht; in einem Bericht ist von Erneuerung einer bestehenden Vorrichtung die Rede.

Die Roma auf der Kafendova bestreiten nicht, dass sie den Zaun auf dem Gewissen haben. "Wir sind aber keine Kannibalen, die man wegmauern muss", empört sich einer. Gleich danach spuckt er verächtlich in Richtung Kindergarten, auf den Boden. Ein älterer Passant muss aber ein Taschentuch zücken, um den Speichel eines weiteren Kafendova-Anwohners abzuwischen. Aggressionen bestimmen das tagtägliche Geschehen vor den fünf Häusern, die so übel an sich keiner in Vrutky fände, wären da nicht der Lärm, der Gestank und der Dreck, gegen den sich bei so vielen Menschen an einem Ort nur mit äußerster Disziplin vorgehen lässt.

Nicht immer sah es in der Kafendova so aus. Deren heutige Bewohner arbeiteten und wohnten vor einiger Zeit noch am Bahnhof. Dann wurden sie entlassen. Bald konnten sie die Miete nicht mehr zahlen. Trotzdem blieben sie in ihren Häuschen und wandelten sich so zu Besetzern, derer man sich mit dem Abriss ihrer Bleibe entledigte. Deshalb verschlug es die Roma 2005 auf die Kafendova. Die Leiterin des Kindergartens bot damals an, die Kinder der Roma könnten sich gern auf ihrem Spielplatz austoben.

Doch im Nahkampf der Gegenwart scheint sich Entgegenkommen zu erübrigen. "Wir sind froh, wenn an einem Tag mal keine Steine fliegen", klagt eine Mutter.

Die Spannungen seien unerträglich geworden, "als die ganzen Verwandten aus der Ostslowakei nachzogen. Es ist einfach zu eng", glaubt Miroslav Mazur. Wohnungen, in welche einige Roma umziehen könnten, gibt es aber nicht.

Entlassungen geplant

Ohnehin liegen die Nerven in Vrutky derzeit blank. Die Stadt gehört zu den ersten Orten, wo die Slowakischen Eisenbahnen mit den im Frühjahr angekündigten Massenentlassungen ernst machen wollen. In solchen Situationen sehnen sich viele Menschen nach Ordnung. Von einem unumstößlichen Zaun versprechen sie sich zumindest für einen Augenblick da Ruhe, wo selbst professionelle Ordnungshüter ratlos sind. "Hoffnungslos, einfach nur noch hoffnungslos": Die beiden Sozialarbeiterinnen und die Polizisten, die hier täglich nach dem Rechten sehen, schütteln den Kopf, so einhellig wie resigniert.