Noch in der Sondersitzung des Nationalrats am Dienstagnachmittag verteidigten ÖVP wie FPÖ ihren Entschließungsantrag zur Voest-Privatisierung. Nur Stunden später überraschte FPÖ-Obmann Vizekanzler Herbert Haupt mit einer eigenen Interpretation des Antrags: Die ÖIAG müsse eine Sperrminorität am Stahlkonzern behalten oder eine andere rechtssichere Methode für einen österreichischen Kernaktionär finden. Sowohl ÖVP wie auch SPÖ und Grüne zeigten sich - wenn auch in unterschiedlicher Form - verwundert.
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Quell der neuerlichen Verwirrung ist ein Punkt des Antrags, in dem die Regierung aufgefordert wird, sicher zu stellen, dass "die Anteile der österreichischen Aktionäre ausgeweitet, die Mitarbeiterbeteiligung erhöht und eine österreichische Kernaktionärsstruktur von über 25 Prozent gesichert bleibt". Diese Passage wird von den Freiheitlichen nun dahin gehend interpretiert, dass entweder die ÖIAG mindestens 25 Prozent plus einer Aktie behält oder auf anderem Weg sicher stellt, dass ein entscheidender österreichischer Einfluss weiter bestehen bleibt.
Zwar machte sich eine solche Sicht der Dinge keiner der FP-Abgeordneten am Dienstag im Nationalrat zu eigen, sehr wohl aber Haupt am Abend des selben Tages im ORF-"Sommergespräch". Gestern doppelte er mit Justizminister Böhmdorfer in einem Schreiben an Aufsichtsrat und Vorstand der ÖIAG nach: Der Pfad einer Vollprivatisierung über die Börse würde dies nicht sicher stellen, sei doch eine Kernaktionärsstruktur mehr als eine "lose unorganisierte, sich nicht abstimmende Aktionärsgruppe, die sich lediglich auf das Merkmal der Nationalität beschränkt". In einem Interview mit der heutigen "Presse" fordert Böhmdorfer nun die Einberufung eines Sonderministerrates noch vor der Sitzung des für Freitag geplanten ÖIAG-Aufsichtsrates.
Überrascht zeigte man sich in der ÖVP von dieser neuerlichen Volte der FPÖ. "Dass der Kernaktionär der Bund sein soll, das ist seit Jahrzehnten sozialistische Ideologie gewesen, aber doch nicht freiheitliche", wunderte sich Budgetsprecher Günter Stummvoll gegenüber der APA. Was den im Entschließungsantrag ausdrücklich gewünschten Kernaktionär betrifft, hielt Wirtschaftssprecher Reinhold Mitterlehner entgegen, dass 25 Prozent plus einer Aktie im Besitz österreichischer Aktionäre sein müssten. Derzeit sind - abgesehen vom ÖIAG-Anteil über 34,7 Prozent - 36,4 Prozent im Besitz österreichischer Anleger. Beide ließen keinen Zweifel, dass an der Vollprivatisierung nicht gerüttelt werde.
In Grenzen hielt sich auch die Freude bei der SPÖ darüber, dass die FPÖ wieder einmal auf die eigene Linie umgeschwenkt ist - ein neuerlicher Meinungswandel Haupts sei wohl nur eine Frage der Zeit, mutmaßte jedenfalls gestern SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos. Der Volkspartei warf er vor, "die Unwahrheit zur politischen Kategorie" erhoben zu haben. Budgetsprecher Christoph Matznetter befürchtet eine Filetierung der Voest nach.
Anlass für einen Rückgriff auf die Umgangssprache sah angesichts der jüngsten Entwicklung der Grüne Wirtschaftssprecher Werner Kogler: Einige Regierungsmitglieder seien "mittlerweile offenbar völlig übergeschnappt".
Unterdessen liefen die Vorbereitungen für die vom ÖGB geplante "Menschenkette: Stopp dem Ausverkauf Österreichs" heute Abend in Linz auf Hochtouren.
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