Der taiwanesische Präsident Chen Shui-bian ist am Donnerstag für eine zweite Amtszeit vereidigt worden. In seiner Rede zur Amtseinführung vor 200.000 Menschen vor dem Präsidentenpalast in Taipeh bekräftigte er sein Versprechen, nicht die Unabhängigkeit anzustreben, solange China militärisch nicht angreift. Ungeachtet der Drohungen der kommunistischen Führung hält der Präsident aber an seinen Plänen zur Schaffung einer neuen Verfassung für Taiwan fest, die in Peking als "Zeitplan" für die Unabhängigkeit betrachtet werden.
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Chen, der zugleich ankündigte, Taiwans Verteidigung auszubauen, ist für China schon lange ein rotes Tuch, hat dieser doch bereits kurz nach Beginn seiner ersten Amtszeit vor vier Jahren die Maxime "Ein Land, zwei Systeme" für fragwürdig erklärt und Taiwans Eigenständigkeit zu seinem politischen Programm gemacht. Die Führung in Peking sandte daher vor dessen Amtsantritt eine unmissverständliche Botschaft an die "abtrünnige Provinz": Entweder ihre Führung ziehe sich von "ihrem gefährlichen Schlingern in Richtung Unabhängigkeit" zurück oder sie folge "ihrem separatistischen Pfad" und werde "durch das Spiel mit dem Feuer den eigenen Untergang finden", heißt es in der Erklärung aus dem Büro für Taiwan-Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei.
"Wir meinen das sehr ernst", bekräftigte am Mittwoch auch Chinas Botschafter in Österreich, Lu Yonghua. Die Regierung habe "viel Geduld aufgebracht, aber die Geduld hat Grenzen". Peking werde den Unabhängigkeitsbestrebungen der Insel keinesfalls mehr tatenlos zusehen, wenngleich weiterhin eine friedliche Lösung angestrebt werde. "Voraussetzung ist aber, dass Taiwan das Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' anerkennt", so der Missionschef. Für den Fall verspricht Peking eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit und, wie Lu betonte, "weitgehende Autonomie, wie dies bereits in Macao und Hongkong erfolgreich praktiziert wird". Taiwan könnte sogar seine Armee behalten, und Taiwanesen könnten an der Verwaltung Festland-Chinas mitwirken.
Bedenken gegen Verfassung
Mit besonderem Argwohn blickt die kommunistische Führung auf die Pläne Chen Shui-biens für eine neue Verfassung ab 2008, über die er in zwei Jahren Taiwans Bevölkerung per Referendum abstimmen lassen will. Zwar bekräftigte er gestern neuerlich, dass eine Unabhängigkeitserklärung darin nicht enthalten sein wird, doch wähnt Peking nichtsdestotrotz einen Meilenstein zur Eigenstaatlichkeit und reagiert entsprechend nervös. Als offenen Affront hatte China schon ein im März parallel zur Präsidentschaftswahl durchgeführtes Referendum empfunden, das dann allerdings an der 50-Prozent-Hürde gescheitert war. Abgefragt wurde, ob Taiwan seine Rüstungsanstrengungen verstärken soll, wenn Peking weiterhin mit Gewalt drohe sowie ob es mit Festlandchina Verhandlungen aufnehmen soll, um Frieden und Stabilität zum gemeinsamen Wohlstand der beiden Völker zu fördern.
Chen begründet die Notwendigkeit der neuen Verfassung damit, dass die gegenwärtige noch aus der Zeit vor der Machtübernahme der Kommunisten 1949 und der Flucht der nationalchinesischen Truppen nach Taiwan stammt, und viele Artikel daher "keinen Bezug mehr zur gegenwärtigen und künftigen Situation" hätten.