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Antonio Tajani, der neue Präsident des EU-Parlaments, habe als Kommissar nichts unternommen, als Autokonzerne die Abgaswerte ihrer Fahrzeuge illegal manipulierten. Das sagt Kathleen Van Brempt, die den entsprechenden Ausschuss leitet.
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"Wiener Zeitung":Sie leiten den Ausschuss zur Untersuchung des Diesel-Abgasskandals (Emis). Es heißt, Tajani habe in seiner Zeit als EU-Verkehrskommissar Hinweisen, dass VW und andere Autokonzerne ihre Abgaswerte beschönigen, keine Konsequenzen folgen lassen. Welche Verantwortung trägt er in diesem Skandal?
Kathleen Van Brempt: Aus den Anträgen der Berichterstatter des Ausschusses geht hervor, dass die damalige Kommission verantwortlich für diese Misswirtschaft war. Es werden keine einzelnen Namen genannt, denn die Kommission arbeitet als Team und trägt als solches die Verantwortung für diese schlechte Führung: Wir hätten die Sache viel früher aufdecken können. Und der verantwortliche Kommissar damals war Tajani.
Er wusste also von den Tricksereien der Konzerne, drückte aber beide Augen zu. Wieso?
Es gab schon seit 2005 Hinweise darauf, dass es da ein großes Problem gibt. Und die Beweislast wurde immer mehr. Das JRC - das wissenschaftliche EU-Institut, das den Fall untersuchte - hatte herausgefunden, dass sich die Testergebnisse, die einige Autokonzerne in den Labors erzielten, stark von den tatsächlichen Emissionen auf der Straße unterschieden. Auch in der Vergangenheit gab es ähnliche Skandale betreffend Lkw in den USA. Die Technologie war hier dieselbe wie bei den Autos. Die Kommission wusste das, sie musste nur eins und eins zusammenzählen. Jeder Wissenschafter würde sagen: Interessant, dass hier eine so große Lücke klafft. Die Kommission sagte schlicht, das JRC hatte nicht das Mandat, um darauf hinzuweisen. Doch sie hätte es Tajani geben können.
Wieso tat sie das nicht?
Wir haben keine Beweise dafür, aber es scheint nur logisch, dass sie die Augen verschlossen hat, weil sie in der Wirtschaftskrise die Autokonzerne nicht noch mehr belasten wollte, als sie es ohnehin schon waren. Was wir nicht beweisen können, ist, ob sie davon wussten und die ganze Sache dann vertuscht haben. Eines ist aber klar: Diese Misswirtschaft unterlag Antonio Tajanis Verantwortung.
Wann wird der Bericht des Emis-Ausschusses vorliegen?
Wir befinden uns in der Endphase und rechnen Ende Februar mit einer Abstimmung.
Wird Tajani dann doch Probleme bekommen?
Das denke ich nicht, denn viele, die am Dienstag für ihn stimmten, wussten sowieso davon. Teile des Parlaments haben ihn sozusagen rehabilitiert und zum Präsidenten gemacht. Man kann also nicht nur ein schlechter Kommissar sein, sondern auch noch einer, der seiner Verantwortung nicht nachkommt - und wird trotzdem gewählt. Das ist ein schlechtes Signal für die Europäische Union. Vor allem für die Liberalen ist das seltsam: Einer ihrer Leute hat den Ausschuss-Bericht mitverfasst und hier sehr klar die Verantwortung Tajanis hervorgestrichen. Und sie machen ihn trotzdem zum Präsidenten des Europäischen Parlaments.
Die Liberalen haben ihren Vorteil davon. Nun bekommen sie etwas mehr Macht.
So läuft das. Ich bin unzufrieden mit Tajani, aber ich bin nicht böse über die Verhandlung von Mehrheiten - so funktioniert Demokratie eben. Was mich überrascht, ist der Mangel an Prinzipien. Die haben die Liberalen und vor allem Guy Verhofstadt, der sich immer sehr pro-europäisch gibt, bei der Abstimmung nun über Bord geworfen.
Was ändert sich nun, mit dem neuen Forza-Italia-Präsidenten, im Europaparlament?
Was die Gesetzgebung betrifft; sind wir auch auf Augenhöhe mit dem Rat, aber wir müssen das immer wieder deutlich machen. Bei aller Kritik an Martin Schulz - er hat das Parlament politisch relevant gemacht. Über Tajani muss man sagen, dass jeder ihn für einen schwachen Kommissar hielt. Er wird auch ein schwacher Parlamentspräsident sein. Ich denke, er ist ein verlässlicher Präsident, aber er hat kein Charisma.
Kommissions-, Rats- und Parlamentspräsident stellen nun die Konservativen. Was kann die S&D da noch tun?
Der Rat ist momentan extrem schwach. Diese Leute wollen nur ihre nationalstaatlichen Interessen durchsetzen. Dann suchen sie den gemeinsamen Nenner. Aber so funktioniert Europa nicht, es bräuchte eine ordentliche Führung. Die bringt weder Donald Tusk (Präsident des Europäischen Rates, Amn.) noch Tajani. Der Einzige, der das könnte, ist Juncker. Er war sehr ehrgeizig und wollte die Kommission zu einer politischen Institution umbauen. Wir haben das unterstützt. Doch nach zweieinhalb Jahren ist er müde. Wir haben also drei schwache EVP-Präsidenten in der EU.
Eine weitere Gemeinsamkeit der EU-Spitzen ist, dass es sich ausschließlich um Männer handelt. Frauen gibt es mit 37 Prozent der Abgeordneten im Europäischen Parlament zwar genug, aber Präsidentin gab es bislang noch keine. Wann wird sich das ändern?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Als Frauen sprechen wir viel darüber. Das Problem ist, dass Frauen in der Regel zwar sehr loyal und konstruktiv sind, aber nicht so machtbewusst wie ihre männlichen Kollegen. Wir müssen uns im Parlament viel besser untereinander vernetzen. Naja, zumindest habe ich für einige Frauen als Vizepräsidentinnen gestimmt.
Kathleen Van Brempt, Jahrgang 1969, ist eine belgische Politikerin und seit 2000 Abgeordnete im Europaparlament (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten). Seit 2016 leitet sie den Ausschuss Emis zur Untersuchung des Abgasskandals. Zudem ist Van Brempt Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie sowie in der Delegation für die Beziehungen zum Iran.