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Seit dem Beginn des Aufstandes im Irak haben viele alliierte Soldaten und Irakis ihr Leben gelassen. Einige Medien behaupten, dass die Inkompetenz der USA dieses Gemetzel ausgelöst habe, andere wiederum sprechen von einer vorsätzlichen Tat, die einem durchdachten Plan folge. Die Wahrheit wurde schon in einer Sitzung des Pentagons am 7. April enthüllt, wenn auch die Emotionen der Anwesenden sie kurzfristig wieder verdeckt haben. Aber der höchste Militäroffizier der USA, Stabschef General Richard Myers, beschrieb damals die Rolle Amerikas in der bewussten Herbeiführung der derzeitigen Geschehnisse.
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Überraschenderweise gab General Myers zu, dass die USA die Gewalt im Irak vorsätzlich provoziert hatten. Er sagte, dass die Aktionen der Amerikaner, die den Aufstand auslösten, nicht zufällig durchgeführt worden sind. Das geht aus einem offiziellen Sitzungsdokument hervor, dass dem Verteidigungsministerium zugegangen ist. Die US-Truppen wussten, dass ihre aggressiven Taktiken zu "Widerstand" führen würden, so Myers. Die offensiven Militär-Aktionen der USA führten zum Aufstand, nämlich die Schließung der Zeitung und die Verfolgung eines Mitarbeiters von Muktada al Sadr, betonte Myers. "Es war nicht unvorhersehbar und nicht unerwartet, dass wir daraufhin einigen Widerstand sehen würden".
Das Gemetzel im Irak ist bewusst durch US-Aktionen ausgelöst worden. Das nun folgende Inferno wird sich jetzt höchstwahrscheinlich jeder Möglichkeit der Kontrolle entziehen.
Die Umstände des Todes der US-Söldner in Falluja und dann die Schließung von "Al-Hawza", der Zeitung, die mit dem Schiitenführer Al Sadr in Verbindung gebracht wird, haben die Lunte für irakischen Widerstand gelegt. In der folgenden äußerst gespannten Atmosphäre und unmittelbar vor dem Beginn des Aufstandes inhaftierten Koalitionstruppen den wichtigen Stellvertreter Al Sadrs, Mustafa al-Yacoubi. Das entzündete die Revolte. Wie schon General Myers erklärte: Der "Widerstand" war weder "unvorhersehbar" noch "unerwartet".
Die Regierung unter US-Präsident George Bush spielt also mit dem Feuer, aber es sind die Soldaten und die Iraker, die verbrennen. Es gibt Gerüchte, wonach die US-Regierung so gehandelt hat, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. Dazu gehört etwa eine Langzeit-Präsenz von US-Truppen im Irak. Außerdem wolle Bush die Öffentlichkeit von Fragen ablenken, die den 11. September oder Öl in Afrika und El Kaida betreffen.
Gleich nach dem Angriff der Aufständischen sagte der republikanische Vorsitzende des außenpolitischen Kommittees des Senats in einer US-Nachrichtensendung, die am 4. April landesweit übertragen wurde: "Unsere Bemühungen waren auf den 11. September gerichtet, um herauszufinden wer was getan hat und wer nicht, aber sie sollten auf den 30. Juni gerichtet sein" - den Tag an dem die Koalition dem Irak die Souveränität wiedergeben soll. Und tatsächlich wandte sich sowohl das öffentliche Interesse als auch jenes der Medien von Fragen über den 11. September ab.
Plötzlich drehte sich in Washington alles um die Debatte, welches Sicherheitsrisiko eine Machtübergabe an die Irakis in sich berge. Ein wichtiger Faktor rund um den 30. Juni wurde jedoch immer vergessen - das Datum ändert nichts an der Militärpräsenz der USA im Irak. Die Übertragung von Verantwortungen im Sicherheitsbereich an die Iraker war nie vorgesehen. Dem Plan des Pentagons zufolge erhalten die Irakis am 30. Juni nur eine beschränkte politische Macht, sonst gar nichts.
Laut einer Protokollabschrift des Verteidigungsministeriums von der Sitzung der provisiorischen Regierung der Koalition im Irak am 3. März ist der 30. Juni militärisch unbedeutend. "Für uns ist dieses Datum nicht wichtig. Es wird nichts an unseren Taktiken, unseren Techniken, unserer Vorgangsweise oder unserer Mission ändern", sagte US-General Mark Kimmitt, stellvertretender Leiter der Operationen der Koalitionstruppen. Um den Punkt noch weiter zu betonen, fügte Kimmitt hinzu: "Wir rechnen fest damit, dass wir am 15. Juli noch genauso vorgehen werden wie am 15. Juni."
Die "Sicherheits"-Diskussion rund um den 30. Juni ist also eine falsche, ein offensichtlicher Trick. Aber der 11. September 2001 scheint dennoch in die Schlagzeilen zurückgekehrt zu sein. Am 6. April bestätigte der US-Vizepräsident Dick Cheney, dass es niemals Intentionen gegeben habe, Sicherheitsverantwortungen abzugeben. Er nannte die "Sicherheits"-Diskussion "ein wenig irreführend". Ihre Hoffnungen auf den Irak als Militärbasis und Energiequelle sehen viele jedoch sehr klar.
Laut einem Artikel des Inter Press Service (IPS) vom Februar argumentierte der frühere Irak-Koordinator Generalleutnant a. D. Jay Garner, dass die USA eine dauerhafte Militärbasis im Irak haben sollten. Er verglich den Irak mit einer früheren US-Kolonie, den Philippinen: "Blicken wir zurück auf die Philippinen . . . sie waren eine Kohle-Versorgungsstation für die Navy. Und genau das wird der Irak für die nächsten Jahzehnte sein: Unsere Versorgungsstation, die uns zu einer starken Präsenz im Nahen Osten verhilft."
Übersetzung: Barbara Ottawa